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Mammutaufgabe für Italien

15. März 2021

Italien will die Konjunktur nach Corona mit Geld von der EU ankurbeln. Was jetzt getan werden muss, sagt Jörg Buck, Geschäftsführer der deutsch-italienischen Handelskammer in Mailand im DW-Gespräch.

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Italien Fiat Chrysler | Coronavirus | Schutzmaßnahmen
Motorenmontage bei Fiat-Chrysler in Atessa: Auch in der Pandemie wird produziertBild: picture-alliance/AP Photo/La Presse/C. Fabiano

Italien geht heute in den dritten Lockdown. Die Infektionszahlen steigen. Gleichzeitig entwirft die Regierung des neuen Ministerpräsidenten Mario Draghi ein Aufbauprogramm, um viele Milliarden an EU-Geldern und eigene Rettungsfonds sinnvoll zu investieren. Seit Jahren verschleppte Reformen in Wirtschaft, Justiz und Verwaltung sollen eingeleitet werden. Die DW hat mit dem Geschäftsführer der deutsch-italienischen Handelskammer, Jörg Buck, in Mailand gesprochen.

DW: Wie geht es der Industrie in Nord-Italien nach einem Jahr Pandemie?

Jörg Buck: Die Lage ist gut, wenn wir über die Industrie sprechen. Das sind die rund 2000 Unternehmen, die wir vornehmlich vertreten. Die Industrie hat in diesem Januar um ein Prozent zugelegt gegenüber einem schon sehr guten Januar im letzten Jahr. Danach hat die Corona-Pandemie ja erst gegriffen. Unsere Unternehmen schätzen zu 75 Prozent ihre eigene Situation sehr positiv ein. Aber wenn wir in den Bereich Kundenservice und Gastgewerbe gehen, dann sieht die Lage ganz anders aus. Die Erwartungen sind sehr hoch, was die Pandemiebekämpfung angeht. Die Krisenprogramme sind aufgestellt. Die Auswirkungen der Krise wird man aber sicher erst später sehen, weil das mit möglichen Insolvenzen von Klein- und Kleinstunternehmen zusammenhängt. Bei der Industrie an sich, und das ist die Schubkraft, mit der wir hier in Italien segeln, ist die Aussicht eigentlich positiv.

Italien Wirtschaft | Jörg Buck
Jörg Buck vertritt die deutsche Wirtschaft im industriellen Herzen ItaliensBild: Bernd Riegert/DW

Das industrielle Herz Italiens hier im Norden schlägt also weiter, konnte weiter produzieren?

Ja, das konnte weiter produzieren. Wir haben hier ja eine ganz eng verflochtene Produktion zwischen Deutschland und Italien in verschiedenen Sektoren. Das hat eigentlich bis auf ganz wenige Ausnahmen weiter funktioniert. Auch die Logistik stand. Das gilt vor allem für Unternehmen von einer Größe, die gut aufgestellt sind für Innovation und Ausrichtung auf die Zukunft.

Wie ist die Stimmung bei den Unternehmen? Wird weiter investiert trotz Krise? 

Die Stimmung ist gut oder zufriedenstellend, wenn es um das eigene Unternehmen geht. Wir stellen fest, dass nicht de-investiert wird. Das ist schon eine gute Nachricht. Es wird zurückhaltend beobachtet, wie laufen die Konjunkturprogramme und der Recovery-Fund der EU an? Welche Stimuli kann man hier in Richtung Investitionen erwarten? Man ist auf dem Sprung, damit man, wenn der Rahmen gesetzt ist, auch wieder investieren kann.

Sie haben den Recovery-Fund, das Wiederaufbauprogramm der Europäischen Union angesprochen. Italien soll daraus etwa 200 Milliarden Euro erhalten. Wo sollte dieses Geld ihrer Meinung nach angelegt werden?

In Transformation der vorhandenen Industriestruktur in Richtung mehr Digitalisierung, in mehr Nachhaltigkeit in der Produktion und den Produkten. Wir haben eine sehr gute industrielle Grundlage, wo wir auch kleine und mittlere Unternehmer mitziehen können, wenn dort wirtschaftlich eine starke Richtung vorgegeben wird: Mehr grün, mehr digital, mehr Vernetzung. Ein anderer wichtiger Punkt in die duale Berufsausbildung. Das ist auch ein Kernstück unserer Kammer hier. Man muss Bildungssysteme auf die neuen Anforderungen ausrichten. Man muss vorbereiten auf die neuen Kompetenzen, die die Digitalisierung mit sich bringt. Weiterbildung und Fortbildung der bestehenden Mitarbeiter, um darauf vorzubereiten, was der Recovery-Fund inhaltlich vorgibt. Wir glauben, dass die Transformationsprozesse nur mit einer gut qualifizierten Mitarbeiterschaft geleistet werden können. Insofern sind dort Investitionen notwendig.

Infografik Weltwirtschaftsausblick des IWF

Italien hat gerade eine neue Regierung bekommen mit Mario Draghi an der Spitze. Vom ehemaligen Präsidenten der Europäischen Zentralbank sollte man annehmen, das er weiß, wie das geht mit der Wirtschaft. Glauben Sie, er wird den Recovery-Fund in Ihrem Sinne umsetzen können?

Die ersten Signale sind durchaus positiv zu bewerten, weil die Ministerien, die hauptsächlich für die Umsetzung des Recovery Fund verantwortlich sein werden, mit Experten besetzt sind, die nicht mit einer politischen Partei verbunden sind. Es ist aber auch wichtig, und dafür plädieren wir in einem Papier, das wir der Regierung überreichen konnte, dass es zu Public-Private-Partnerships zwischen Wirtschaft und Politik kommt. Nur so, glauben wir, kann die Umsetzung der Projekte, und das ist das Kritische, in den vorgesehenen Fristen und Zeiten auch erreicht werden. Das ist schon eine Mammut-Aufgabe, vor der wir hier stehen. Gut ist, dass es den thematischen Rahmen durch die EU gibt, den Green deal. Die italienische Regierung setzt das Eins zu Eins um. Das ist ja auch goutiert worden von den Finanzmärkten, dass es jetzt eine Regierung gibt mit entsprechender Expertenbesetzung.

Die strukturellen Probleme der italienischen Wirtschaft gab es schon lange vor der Pandemie. 20 Jahre lang hat es keinen richtigen Aufschwung gegeben. Ist der Recovery Fund jetzt die Chance, die Probleme endlich anzugehen?

Man darf die italienische Wirtschaft nicht nach ihrem Mittelwert beurteilen. Wir haben Top-Unternehmen vor allem hier im Norden, durchaus in mittelständischen Strukturen wie in Baden-Württemberg oder Bayern. Das sind die Motoren auch für Europa. Deshalb setzen wir sehr stark auf die deutsch-italienische Partnerschaft, weil die beiden Länder in der EU den höchsten Industrie-Anteil an der volkswirtschaftlichen Leistung haben. Ja, wir glauben, dass es jetzt ein guter Moment ist, den Schritt, oder besser viele Schritte in Richtung Zukunft zu tun. Der Moment ist da. Wir haben die Mittel und wir haben eine Regierung, der wir und der Markt zutrauen, dass sie das auch umsetzt.

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Neue Regierung in Rom: Mario Draghi und seine Experten sollen es richtenBild: Andrew Medichini/REUTERS

Die letzte Regierung von Ministerpräsident Giuseppe Conte ist am Streit um den Recovery-Fund gescheitert. Glauben Sie, dass Mario Draghi mit seiner extrem breiten Koalition der nationalen Einheit von links nach rechts genug Zeit haben wird, um das alles zu schaffen?

Der Konsens, den die Regierung im Parlament hat, ist extrem, ja fast historisch groß. Die Vereinbarung mit allen Parteien ist, dass die Reformen, die jetzt angestoßen werden, auch unabhängig von künftigen Regierungen umgesetzt werden können. Da fast alle im Parlament vertretenen Parteien an der Regierung beteiligt sind, wird es zu Scharmützeln und Auseinandersetzungen kommen. Das ist sozusagen notwendig. Wichtig ist, dass man die großen Ziele nicht aus den Augen verliert und dafür ist Premier Draghi der Garant.

Jörg Buck ist seit 2015 Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Auslandshandelskammer in Mailand. Außerdem ist er Delegierter der Deutschen Wirtschaft für Italien. Der Ökonom und Sozialpädagoge hat für Handelskammern in Portugal, Argentinien und Thailand gearbeitet. Die Vertretung in Mailand wird in diesem Jahr 100 Jahre alt.

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