Bergbau gegen Biodiversität
16. Januar 2022Hinter den Mauern des Dhamma Sakyamuni-Klosters ist die Luft spürbar kühler als draußen. Es ist ganz still. Auf dem polierten Steinboden sitzen Mönche im Schneidersitz. Sie meditieren vor einem goldfarbenen Buddha. Von der rauen Kalksteindecke über ihnen hängen Stalaktiten, lange Tropfsteine, die sich in Tausenden von Jahren bildeten, weil kalkhaltiges Wasser andauernd an der gleichen Stelle von der Decke tropft.
Das Dhamma Sakyamuni-Kloster zählt zu den letzten verbliebenen Kalksteinhöhlentempeln in Malaysia. Es liegt am Fuße des Bergs Kanthan, einem der zwölf Kalksteinhügel, die sich aus dem Kinta-Tal im malaysischen Bundesstaat Perak erheben. 15 buddhistische Mönche leben zurzeit in diesen Höhlen und praktizieren hier ihren Glauben.
Damit könnte es bald vorbei sein. Draußen vor dem Kloster sind laute Explosionen zu hören. Wie Gewehrschüsse hallen sie durch das Tal. Es wird gesprengt, um Kalkstein abzubauen, einen wichtigen Rohstoff für die Zementindustrie.
Seit Anfang der 1960er Jahre hat die Regierung des Bundesstaates Perak den Berg Kanthan an das Baustoffunternehmen Associated Pan Malaysia Cement (APMC) verpachtet. Der Berg wurde damals in vier Zonen geteilt. Zwei davon gibt es nicht mehr. Sie sind dem Kalksteinabbau zum Opfer gefallen. Wie eine große offene Wunde klafft das, was von ihnen übrig geblieben ist. Nun gibt es nur noch im Süden einen gesunden Wald, daneben im Norden jedoch karge Flächen aus hellem Fels mit jeder Menge Geröll.
APMC hat gerade das Genehmigungsverfahren angeschoben, um schon bald mit dem Kalksteinabbau in einer weiteren, bisher unberührten Zone zu beginnen. Hier liegt das Kloster. Die Mönche sollen weg, denn nach Ansicht von APMC leben sie hier illegal.
Ein spirituelles Heiligtum
Der Berg Kanthan ist ein beeindruckendes Beispiel für eine Karsttopografie, also für eine Landschaft, bei der weicher, poröser Kalkstein auf natürliche Weise erodiert und ein Netz von Tälern, Höhlen und Vertiefungen schafft. Hier gibt es eine große Vielfalt an Tieren und Pflanzen, die sich speziell an diese Umgebung angepasst haben. Auch Menschen leben schon lange in dieser Gegend.
Bhante Kusala leitet das Kloster, andere Mönche und Freiwillige helfen ihm. Die religiöse Gemeinschaft wurde vor rund einhundert Jahren von einem Meister namens Fu gegründet, erzählt Bhante Kusala. Demnach habe sich Fu zu dem Berg Kanthan hingezogen gefühlt, weil seine Form der Figur eines liegenden Buddhas ähnelte.
"Unser Gründer hat diesen Ort wegen seiner ruhigen und friedlichen Umgebung ausgewählt", sagt Kusala. Es sei eine alte Tradition buddhistischer Mönche, den Frieden in der Natur zu suchen, ergänzt er.
Ein wenig gespenstisch klingt es schon, wenn das Wasser leise von den Stalaktiten tropft und im Kloster widerhallt. Über ein Rohrsystem fangen die Mönche das Wasser auf. Darin baden sie, waschen ihre Kleidung und reinigen damit die Tempelböden.
Seongyee arbeitet als Freiwillige seit fünf Jahren im Sakyamuni-Höhlenkloster. Sie macht sauber und hilft bei Wartungsarbeiten. "Für uns ist der Ort ein spirituelles Heiligtum", sagt sie. "Wir brauchen ihn. Er ist Teil unserer spirituellen Reise."
Bedrohte endemische Arten
Aber nicht nur die religiöse Gemeinschaft des Klosters steht vor dem Aus. Zieht das Zementunternehmen seine Pläne durch, würden mit diesem Teil des Berges auch vom Aussterben bedrohte Tierarten, wie Falltürspinnen und Bogenfingergeckos, verschwinden, sagt Ruth Kiew der DW. Die Botanikerin arbeitet unter anderem mit der gemeinnützigen Malaysian Cave & Karst Conservancy zusammen, einer Organisation, die sich für den Erhalt von Höhlen und Karsts in Malaysia einsetzt.
2014 hatte Kiew in einer Studie die bedrohte Fauna am Kanthan untersucht. Sie fand 32 Pflanzenarten, die laut Fachleuten von großer Bedeutung für den Naturschutz sind. Unter ihnen entdeckte sie auch zwölf gefährdete Arten sowiedrei erst kürzlich entdeckte Baumarten. Diese wachsen vermutlich nur hier.
APMC und die Muttergesellschaft, der Baukonzern YTL, lehnten ein Interview mit der DW zu diesem Thema ab. Nach Angaben auf der Firmenhomepage von YTL arbeitet das Unternehmen jedoch mit der malaysischen gemeinnützigen Organisation Tropical Rainforest Conservation and Research Centre (TRCRC) zusammen, um die bedrohte Flora des Mount Kanthan in einer speziellen Gärtnerei zu erhalten.
Ein Sprecher vom TRCRC erklärte der DW, das Ziel des Projekts habe darin bestanden, ein Team von YTL zu schulen: Wie legt man eine Baumschule an, wie wird Saatgut gewonnen? Alle diese Ziele seien erreicht worden, so der Sprecher weiter. Ob und wie der Baukonzern YTL das so gesammelte Wissen zum Schutz der bedrohten Pflanzen nutzt, ist unklar.
Wissenschaftler sagen jedoch, dass mit jeder weiteren Zerstörung des Berges immer auch einzigartige Arten verloren gehen. "Wegen der ganz unterschiedlichen und zerklüfteten Topografie des Berges gibt es hier verschiedene einzigartige Lebensräume und nur jeweils darauf spezialisierte Arten", erläutert Kiew. So seien Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen nicht gleichmäßig über die Karsthügel verteilt.
Yong Kien Thai ist Botaniker an der Universität Malaya. Mehrmals hat er hier am Berg die Artenvielfalt untersucht - und sich Gedanken zu den möglichen Plänen von YTL gemacht. "Vielleicht werden sie irgendwann einige der vielen verschiedenen Arten, die hier aus dem Kalkstein stammen, neu ansiedeln. Aber sie haben nicht erklärt, wo sie diese wieder anpflanzen werden", sagt er. "Die Wiederansiedlung ist auch deshalb ein Problem, weil die verschiedenen Kalksteinhügel jeweils ihre ganz eigene Vielfalt haben."
Das kulturelle Erbe steht auf dem Spiel
Bhante Kusala sieht sich und die anderen Mönche als "Hüter dieses Berges". Im Januar 2021 hat APMC einen Gerichtsbeschluss eingereicht, um eine Räumung des Kanthan zu erwirken. Die Mönchen werden darin als "nicht identifizierte Besatzer des Landes" bezeichnet. Sie hielten sich ohne die Genehmigung des Unternehmens im Berg auf.
Immerhin haben sechs der Mönche inzwischen erwirken können, als offizielle Gegenparteien in dem Fall auftreten zu dürfen. Das stärke ihre rechtliche Position, erklärt Klostersprecher Leon Cheok Keng im DW-Gespräch. Zugleich kämpfen die Mönche darum, das Kloster offiziell zum Kulturerbe erklären zu lassen. Vor der Coronapandemie strömten Gläubige aus Städten wie Kuala Lumpur zu den Sakyamuni-Höhlen, um dort gemeinsam mit den Mönchen zu meditieren.
Ende Dezember 2021 erhielt das Kloster ein Unterstützungsschreiben des Stadtrats von Ipoh, der Verwaltungshauptstadt von Perak. Darin sprachen sich die Offiziellen dafür aus, das Land als Kulturerbe auszuweisen. "Wenn das Kloster diesen Status bekommt, kann niemand mehr die Strukturen auf dem Gelände verändern. Die Stätte wäre dann vor Eingriffen von außen geschützt", sagt Leong.
Kusala bleibt frohen Mutes. Ihm ist bewusst, dass seine Lebensweise und die der anderen Mönche auf dem Spiel steht. Die Werte seines Klosters konkurrieren mit wirtschaftlichen Interessen. "Heutzutage wollen nicht mehr viele Menschen Mönch werden", sagt er mit freundlichen Augen. "Sie wollen nicht in einer Höhle oder einem Wald leben. So sind auch wir inzwischen eine wirklich seltene Spezies", schiebt der Mönch lachend hinterher.