Bundesjugendorchester auf Jubiläumstournee
28. April 2019Ein riesengroßer Orchesterapparat tritt eine Klanglawine los. Statt Noten und Melodien: Glissandi und Triller, ergänzt durch Sirenen und etwas, was wie eine Quietschente klingt.
"Amerique", ein etwa halbstündiges Stück, das 1921 vom gerade in die USA emigrierten französischen Komponisten Edgar Varèse komponiert wurde, wurde an diesem Freitag (26.04.2019) auf der Bühne der Kölner Philharmonie von 175 Musikerinnen und Musikern unter der Leitung von Ingo Metzmacher dargeboten. Auch für sie war es ein riesen Spaß - das konnte man hören.
105 der Musiker sind zwischen 14 und 19 Jahre alt und Mitglieder des Bundesjugendorchesters (BJO). Die übrigen 70 gehören verschiedenen Altersklassen an und sind ehemalige Mitglieder dieses Klangkörpers, der in Köln die Feierlichkeiten seines 50-jährigen Bestehens einläutete. Im Anschluss ging es Samstag für das junge Orchester ans Leipziger Gewandhaus und an diesem Montag geht es in die Berliner Philharmonie.
Auf dem Programm für das Jubiläumskonzert stand noch ein weiteres Mammutstück: Die Alpensinfonie von Richard Strauss. Sie ist die musikalische Verarbeitung einer Bergwanderung, die der Komponist im Alter von 15 Jahren unternommen hatte. Während es bei Varèse um Empfindungen geht, "die ein Fremder hat, wenn er sich über die außergewöhnlichen Möglichkeiten unserer heutigen Zivilisation freut", hat Strauss die Natur vertont: Wasserfälle, Nebel, Gewitter oder den Sonnenuntergang.
Arbeit, die sich auszahlt
Bislang haben über 4000 Instrumentalisten im Bundesjugendorchester gespielt. Einige sind heute Pfarrer, Unternehmensberater, Ärzte oder Wissenschaftler, aber 81 Prozent der ehemaligen Mitglieder sind Berufsmusiker geworden.
1969 von Volker Wangenheim und Peter Koch im Deutschen Musikrat gegründet, besteht Deutschlands Spitzen-Jugendorchester größtenteils aus Preisträgern des Wettbewerbs "Jugend musiziert", eine weitere Einrichtung des Deutschen Musikrats.
30 Prozent der Mitglieder sind jedes Jahr neu, und 20-25 Prozent haben einen Migrationshintergrund, erklärt der BJO-Projektleiter Sönke Lentz gegenüber der DW. Während der drei Arbeitsphasen pro Jahr verbringen die jungen Talente insgesamt 90 Tage miteinander. Da sei es unmöglich, diese Aktivitäten alle in die Schulferien zu legen. "Die Orchestermitglieder müssen erhebliche Teile der Schulaufgaben autodidaktisch bewältigen", ergänzt Lentz.
"Ich bin jetzt unter meinesgleichen"
Wieland Welzel, heute Mitglied im Schlagzeugensemble der Berliner Philharmoniker, spielte zwischen 1987-1992 im Bundesjugendorchester und erinnert sich noch gut an die Herausforderung. Für ihn war eines ausschlaggebend: "Damals, als Schlagzeuger, war ich in den Keller verbannt. Als ich aber dann ins Orchester aufgenommen wurde, entdeckte ich auf einmal: 'Ich bin jetzt unter meinesgleichen'."
Venezuela, China oder Japan: Die Liste der Länder, die das BJO im Laufe der Jahre bereist hat, ist lang. 1998 spielte es unter der Leitung von Kurt Masur in den USA zum 50-jährigen Jubiläum der Berliner Luftbrücke und 2010 zur Fußballweltmeisterschaft in Johannesburg und Kapstadt.
Im Sommer 2019 geht es wieder nach Südafrika. Dann im Rahmen des Campus Projekts, das in Zusammenarbeit mit der Deutschen Welle durchgeführt wird. Die Ergebnisse gibt es im September beim Beethovenfest in Bonn zu hören.
Dank des Projekts wirkte das BJO auch schon bei der Gründung eines nationalen Jugendorchesters in der Ukraine mit und reiste nach Indien und Mexiko.
Zukunftsmusik
Die Liste der Dirigenten, unter denen das Bundesjugendorchester in den letzten 50 Jahren gelernt und insgesamt 780 Konzerte gespielt hat, kann sich ebenfalls sehen lassen. Sie erstreckt sich von Gerd Albrecht bis Hans Zender, von Karajan und Stokowski bis Guilini, Holliger, Dudamel, de la Parra oder Nelsons. Derzeit aktiv sind Kirill Petrenko, Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, und sein Vorgänger Simon Rattle, seit 2018 Ehrendirigent des BJO.
"Was wir von ihnen lernen können, ist der frische Ansatz", sagt der deutsche Dirigent Ingo Metzmacher, der die jungen Musiker jetzt zum ersten Mal dirigierte. Und Simon Rattle sagte enthusiastisch: "Mit der Musik in euren Händen bin ich voller Hoffnung."