Bundespräsident fordert Reformen und mehr Jobs
15. März 2005"Deutschland ist sich selber untreu geworden", klagte Bundespräsident Köhler in seiner mit Spannung erwarteten Grundsatzrede am Dienstag (15.3.2005) vor 600 Spitzenvertretern aus Politik und Wirtschaft in Berlin: Früher habe in der Bundesrepublik eine Ordnung gegolten, die zu Leistung ermutigt und sozialen Fortschritt gebracht habe.
Zu viele Gesetze behindern Unternehmen
Doch immer neue Eingriffe hätten diese Anreize zunichte gemacht - die Unternehmen würden durch Regulierungen von Bund und Ländern sowie aus Brüssel behindert. Wirtschafts- und Sozialverbände hätten ebenso zur Talfahrt beigetragen wie Tarifpartner. Und die Bürger hätten sich viel zu gern "Geschenke" machen lassen. Nun habe der Kampf gegen Arbeitslosigkeit Priorität: "Angesichts der Lage auf dem Arbeitsmarkt brauchen wir jetzt eine politische Vorfahrtsregel für Arbeit."
Lob für den Jobgipfel
Der Bundespräsident forderte einen gemeinsamen Einsatz für einen flexiblen Arbeitsmarkt und niedrigere Arbeitskosten. Dass sich Bundeskanzler Gerhard Schröder mit CDU-Chefin Angela Merkel und CSU-Chef Edmund Stoiber am Donnerstag (17.3.2005) zu einem "Jobgipfel" treffen will, sei zu begrüßen. Köhler betonte: "Aktionismus hilft nicht." Um die Lohnnebenkosten zu senken, könne man die Finanzierung der sozialen Sicherung vom Arbeitgeber unabhängig machen.
Föderalismus-Streit soll aufhören
Mit einigen wenigen Maßnahmen sieht Köhler das Werk aber noch nicht getan: "Es sind dicke Reformbretter, die wir bohren müssen." Deutschland brauche eine Sanierung der Staatsfinanzen sowie ein effizientes Steuersystem, das gleichzeitig Leistung belohne und es dem Staat ermögliche, seine Aufgaben zu erfüllen.
Die Bürokratie will der Bundespräsident abgebaut wissen. Das föderale System müsse auf Vordermann gebracht werden - damit sollten auch die Streitigkeiten aufhören, ob Bund oder Länder für Bildung zuständig seien. Köhler forderte auch eine bessere Förderung von Wissenschaft und Forschung: "An die Spitze kommt man nicht im Schlafwagen."
Reformen brauchen langen Atem
Köhler mahnte die Politiker, sich zusammenzuraufen: "Regierung und Opposition stehen in patriotischer Verantwortung." Schröders "Agenda 2010" sei ein mutiger Anfang, die Anstrengungen würden aber mehrere Legislationsperioden dauern. "Taktische Reformpausen wegen Wahlterminen oder einen Zick-Zack-Kurs können wir uns nicht leisten", warnte Köhler.
Parteien fühlen sich bestärkt
Beide großen Parteien - SPD wie CDU - haben die Rede als Rückendeckung für ihre Strategien gewertet. FDP-Chef Guido Westerwelle erklärte, Köhlers Forderung nach einer Unternehmenssteuerreform sei "Musik in unseren Ohren". Aus der SPD kam aber auch Kritik: Der stellvertretende Fraktionschef Michael Müller sagte, Köhler werde eine Rolle eingeräumt, die ihm weder verfassungsrechtlich noch politisch zustehe. (reh)