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Bundestag beschließt Tarifeinheitsgesetz

22. Mai 2015

Für Linke und Grüne ist sicher, dass mit dem neuen Gesetz ein erheblicher Machtverlust kleinerer Gewerkschaften verbunden ist. Mit Verve tauschten daher Opposition und Koalition nochmals ihre Standpunkte aus.

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Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (Foto: Getty Images/AFP/T. Schwarz)
Bild: Getty Images/AFP/T. Schwarz

Das umstrittene Gesetz zur Tarifeinheit in gewerkschaftlichen Arbeitskämpfen kann voraussichtlich im Juli in Kraft treten. Der Bundestag beschloss das Gesetz mit den Stimmen von Union und SPD. Für das Gesetz votierten in namentlicher Abstimmung 448 Abgeordnete, 126 stimmten dagegen, 16 Parlamentarier enthielten sich. Damit gab es auch Gegenstimmen aus der großen Koalition.

Klaus Ernst von der Linkspartei (Foto: picture-alliance/dpa/R. Jensen)
Die Hauptopponenten im Bundestag: Arbeitsministerin Andrea Nahles und Klaus Ernst von der LinksparteiBild: picture-alliance/dpa/R. Jensen

Verfassungsklage angedroht

Wenn demnach zwei Gewerkschaften in einem Betrieb dieselbe Beschäftigtengruppe vertreten, soll künftig im Streitfall nur der Tarifvertrag der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern in diesem Betrieb gelten. Gerichte könnten daher womöglich Streiks der Minderheitsgewerkschaft verbieten. Kleinere Berufsgewerkschaften wie die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), die Pilotenvereinigung Cockpit und die Ärztegewerkschaft Marburger Bund haben bereits Verfassungsklage angekündigt. Auch die Oppositionsparteien im Bundestag - Linke und Grüne - halten das Gesetz für verfassungswidrig.

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (Artikelbild) hatte vor der Abstimmung noch einmal für das Gesetz zur Tarifeinheit geworben. Es stärke die Grundlagen der gewerkschaftlichen Interessenvertretung und den Ausgleich zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen, der "ein echter Standortvorteil für Deutschland" sei, sagte die SPD-Politikerin vor dem Parlament. Das Koalitionsrecht und das Streikrecht würden durch das Gesetz nicht angetastet, wies sie Kritik aus der Opposition zurück. "Manchmal muss gekämpft und manchmal muss gestreikt werden. Auch wenn es am Ende einen Kompromiss gibt, ist es notwendig", betonte Nahles. "Fortschritt und soziale Errungenschaften kommen nicht von alleine", sagte sie mit Verweis auf Themen wie Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Arbeitsschutz oder das Recht auf Weiterbildung. Auch deswegen stehe das Streikrecht "überhaupt nicht in Rede."

"Sie wollen Streiks von kleineren Gewerkschaften verunmöglichen"

Der Vorwurf, die Bundesregierung wolle kleine Gewerkschaften "wegräumen", habe "weder Hand noch Fuß", wies sie die Vorwürfe der Opposition zurück. So sei die 1867 gegründete Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) eine der ältesten Gewerkschaften überhaupt, und sie habe auch die 60 Jahre, in denen in Deutschland die Tarifeinheit bereits gegolten habe, "gut überstanden".

Die Opposition bekräftigte hingegen ihren Vorwurf, die Regierung wolle mit dem Gesetz vor allem das Streikrecht kleinerer Gewerkschaften einschränken. "Kleine Gewerkschaften sollen um ihre Existenzberechtigung gebracht werden", kritisierte Klaus Ernst von der Linkspartei. Streiks würden unzulässig. Zudem spalte das Gesetz den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). "Sie wollen bestimmte Streiks von kleineren Gewerkschaften verunmöglichen", warf auch der Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter der Bundesregierung vor.

Auch Gewerkschaften uneins

Der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann verteidigte das geplante Tarifeinheitsgesetz. Kleinere Gewerkschaften seien in ihrer Handlungsfreiheit überhaupt nicht eingeschränkt, sagte Hoffmann dem Radiosender NDR Info. Es müsse nur gelingen, dass in Fällen, in denen in einem Betrieb mehrere Gewerkschaften tarifvertragsfähig seien, eine Kooperation vereinbart werde, die die Einhaltung des Grundsatzes "Ein Betrieb, ein Tarifvertrag" sicherstelle. "Dort, wo Belegschaften gemeinsam ihre Interessen vertreten, ist dies immer erfolgreicher, als wenn kleine Gewerkschaften partikulare Interessen nur für einzelne Berufsgruppen vertreten."

Allerdings räumte Hoffmann ein, dass auch drei DGB-Gewerkschaften Befürchtungen hinsichtlich des Tarifeinheitsgesetzes hätten. So kritisiert die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, dass das Gesetz zumindest indirekt ein Eingriff in das grundgesetzlich geschützte Streikrecht sei. Verdi-Chef Frank Bsirske sagte der Deutschen Presseagentur (dpa): "Wenn im Betrieb nur noch der Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft gelten soll, können Minderheitsgewerkschaften keinen eigenen Tarifvertrag mehr durchsetzen - ein Streik wäre damit nach bisheriger Rechtsprechung der Arbeitsgerichte unverhältnismäßig."

sti/rb (dpa, afp, rtr)