1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Keine europapolitische Routine-Entscheidung

Sabine Kinkartz29. März 2012

Bis Ende Mai will die Bundesregierung die gesetzlichen Grundlagen für den Euro-Rettungsschirm ESM und den europäischen Fiskalpakt unter Dach und Fach haben. Doch die Opposition will mehr Zeit.

https://p.dw.com/p/14UPe
Zwei Ein-Euro-Münzen, eine davon aus Griechenland, stehen auf einem Granitpoller vor dem Bundestag in Berlin. Foto: Tim Brakemeier (dpa)
Bild: picture alliance/dpa

Ernst wirkt er und sehr selbstbewusst. "Gehen Sie nicht davon aus, dass Ihnen die Zustimmung einfach mal so in den Schoß fällt", warnt der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier und richtet seinen Blick dabei auf die Regierungsbank im Deutschen Bundestag. Es ist kurz nach 9.30 Uhr an diesem 29. März und gerade hat Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble 23 Minuten lang für eine schnelle Zustimmung zum europäischen Fiskalpakt und zu dem ab Juli geplanten Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM geworben.

Den Rettungsschirm kann die Bundesregierung im Parlament mit eigener Mehrheit beschließen, für die Ratifizierung der im Fiskalpakt genannten europäischen Schuldenbremse ist jedoch eine Zweidrittelmehrheit nötig, die ohne die Zustimmung der Opposition nicht zustande kommen kann. Die Regierung ist der Meinung, dass Rettungsschirm und Schuldenbremse unmittelbar miteinander zusammenhängen, deshalb will sie über beide Vorhaben gemeinsam abstimmen lassen.

Der deutsche Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble spricht während der Bundestagsdebatte am 29.03.2012. Foto: Thomas Peter (Reuters)
Finanzminister Schäuble: Bausteine zur Überwindung der KriseBild: dapd

Jeder kehre vor seiner Tür

Entscheidend für die Stabilisierung der gemeinsamen Währung sei, dass die Ursachen der Krise wie zu hohe Verschuldung und mangelnde Wettbewerbsfähigkeit bekämpft würden, sagte Schäuble. Jeder kehre "vor seiner Tür. Wir machen es mit unserer Politik und andere machen es auch und dann brauchen wir die Struktur für eine Stabilitätsunion, die wir in den 1990er Jahren nicht zustande gebracht haben." Wenn man das habe, so der Finanzminister als Replik auf die jüngsten Forderungen der OECD, den Rettungsschirm auf eine Billion Euro zu erhöhen, dann müsse die Firewall gar nicht mehr so groß sein. "Sie können eine Brandmauer bauen so hoch wie sie wollen, das nützt gar nichts, wenn die Probleme nicht bekämpft werden."

Doch so nachdrücklich Wolfgang Schäuble auch für eine schnelle Umsetzung des europäischen Fiskalpakts wirbt, SPD, Grüne und die Linke wollen ihm nicht folgen. So wird die Regierung ihren Zeitplan wohl nicht einhalten können, nach dem am 25. Mai, nach nur zweimonatiger parlamentarischer Beratung, nicht nur der ESM, sondern auch der Fiskalpakt vom Bundestag beschlossen werden sollten.

Frank-Walter Steinmeier spricht während der Bundestagsdebatte am 29.03.2012 Foto: Thomas Peter (Reuters)
Wir werden uns nicht abspeisen lassen: SPD-Fraktionschef SteinmeierBild: dapd

Es gebe beim Fiskalpakt, so betont der SPD-Fraktionsvorsitzende Steinmeier, noch rechtlichen Klärungsbedarf, der "nicht von Pappe" sei. Es gehe um Entscheidungen, die tief in die Verfassungsordnung der Bundesrepublik, vielleicht auch in die Rechte des Parlaments eingreifen würden. "Wie verhält sich die Schuldenbremse im Fiskalpakt zur nationalen Schuldenbremse? Gibt es Verschärfungen für Bund und Länder? Gibt es Konsequenzen für die innerstaatliche Finanzordnung und auch für das Haushaltsrecht? Wer ist für eventuelle Verstöße in Zukunft verantwortlich?", fragt Steinmeier. Die Bundesregierung könne doch nicht Unterstützung aus den Reihen des Bundestages erwarten, wenn diese Fragen nicht beantwortet seien.

Zudem sei Haushaltsdisziplin zwar notwendig, aber wenn 27 Staaten in Europa gleichzeitig nichts Anderes machen würden, als sinn- und fantasielos zu sparen, dann könne daraus nichts entstehen. Der Fiskalpakt müsse unbedingt um Wachstumselemente ergänzt werden.

"Politische Dyskalkulie"

Ähnlich argumentiert der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Jürgen Trittin. Selbstverständlich müsse Europa raus aus der Schuldenfalle, neue Schulden müssten begrenzt und alte Schulden abgebaut werden. "Wir müssen Spekulation begrenzen und wir müssen in nachhaltiges Wachstum investieren. Das ist das, was wir auf den Weg bringen müssen. Aber dafür haben wir bis zum Jahresende Zeit." Auch Frankreich werde den Fiskalpakt frühestens im Herbst ratifizieren. Viel wichtiger sei es erst einmal, den ESM auf den Weg zu bringen, so Trittin.

Allerdings hat die Opposition auch beim Thema Rettungsschirm einiges auszusetzen. Die Entscheidung, neben dem ESM mit einem Ausleihvolumen von 500 Milliarden Euro Programme aus dem bisherigen Rettungsschirm EFSF in Höhe von mehr als 200 Milliarden Euro parallel weiterlaufen zu lassen, sei eine bewusste Täuschung und Irreführung der Öffentlichkeit. Die Regierung streue den Bürgern Sand in die Augen und verschweige ihnen, welche Haftungsgrößen über die bisher genannten 211 Milliarden Euro hinaus auf Deutschland zukämen, so SPD-Fraktionschef Steinmeier. "Sie werden mit dem Volumen für den ESM nicht hinkommen, weil das ökonomisch einfach nicht aufgeht."

Der Grünen-Fraktionsvorsitzende Jürgen Trittin spricht am Donnerstag (29.03.2012) im Plenarsaal des Bundestages in Berlin zu den Abgeordneten. Foto: Rainer Jensen (dpa)
Grünen Fraktionschef Trittin: Vorsätzliche TäuschungBild: picture-alliance/dpa

Jürgen Trittin nennt das "politische Dyskalkulie". Es sei nicht klug, den Bürgern die Wahrheit vorzuenthalten. "Wenn Sie die Brandmauer erhöhen, wächst das Haftungsvolumen, das wir in der Bundesrepublik einzugehen haben. Es wächst auf rund 400 Milliarden Euro." Diese Wahrheit dürfe nicht geleugnet werden. Klar sei, wenn die Hose nicht nass werden solle, müsse der Schirm groß genug sein. "Wir werden diesen ESM brauchen, weil wir einen quasi europäischen Währungsfond brauchen, damit die Spekulation gegen unsere Währung abgewehrt wird", so Trittin.

Wer soll das bezahlen?

Im Gegensatz zu SPD und Grünen lehnen die Linken nicht nur den Fiskalpakt, sondern auch den ESM gänzlich ab. Mit der Schuldenbremse beginne über eine Fiskalunion die Gründung einer Europäischen Förderation, der Vereinigten Staaten von Europa. Das aber lasse das Grundgesetz so nicht zu, argumentiert der Fraktionschef der Linken, Gregor Gysi. Durch die Euro-Rettungsschirme werde zudem das Haushaltsrecht verletzt. Die Linke erwägt daher eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht.

Der Fraktionsvorsitzende der Partei Die Linke im Bundestag, Gregor Gysi, spricht am Donnerstag (29.03.2012) im Plenarsaal des Bundestages in Berlin zu den Abgeordneten. Foto: Rainer Jensen (dpa)
Linksfraktionschef Gysi: Klage vor dem VerfassungsgerichtBild: picture-alliance/dpa

"Sie tun ja so, als ob die Haftung nicht eintritt, aber ich sage Ihnen, die kommt schneller und unerwarteter, als Sie das jetzt glauben", meint Gregor Gysi an die Bundesregierung gewandt. Die bisherige Entwicklung spreche dafür. "Und dann frage ich Sie, wovon wollen Sie das eigentlich bezahlen? Wollen Sie den ganzen Bundeshaushalt ausfallen lassen, wollen Sie alle Einrichtungen schließen? Merken Sie eigentlich noch, welche irrealen Absurditäten Sie festlegen und unterschreiben?" Das sei alles nicht verantwortbar, so Gysi.