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BTW 2021: Reaktionen aus der Kultur

Philipp Jedicke
27. September 2021

Raubkunst, soziale Absicherung von Künstlern, gar ein eigenes Kulturministerium? Historiker, Kulturpolitiker und Künstler zeigen sich verhalten optimistisch.

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Luftaufnahme vom Lollapalooza Festival 2019 in Berlin
Welche Rolle wird Kultur in einer neuen Bundesregierung spielen? Bild: Imago Images/Star-Media

Durch die "fast zwingende Teilnahme der Grünen" sei ein "politischer Kulturwandel" zu erwarten, sagt Götz Aly. Der Politikwissenschaftler, Historiker und Journalist forscht zu den Themen Antisemitismus und Rassismus und befasst sich intensiv mit der deutschen Kolonialvergangenheit. Diesen Wandel erwarte er nicht nur in Fragen der Restitution, sondern "auch in der Frage, wie über die deutsche Kolonialgeschichte nachgedacht wird und welche Veränderungen in Museen, aber auch im öffentlichen Bewusstsein und in der Förderung von historischen Forschungen im Verhältnis zu den ehemaligen Kolonialstaaten notwendig sind."

Götz Aly sitzt lächelnd an einem Holztisch, im Hintergrund ein gelber Container.
Götz Aly, Historiker, erwartet einen "politischen Kulturwandel"Bild: Andreas Labes/S. Fischer Verlag

Gerade im kürzlich eröffneten Humboldt Forum sei in Hinblick auf die Rückgabe von Kulturschätzen an ihre Herkunftsländer jede Menge zu tun. "Wichtig ist, dass wir diese Offenheit demonstrieren. Das setzt voraus, dass wir erst mal alle Inventare offen legen und sie ins Englische übersetzen", sagt Aly. "Und dass wir unsererseits auch die Verbindung zu kolonialen Gewaltaktionen dokumentieren. Davon ist das Humboldt Forum noch himmelweit entfernt."

Wenn es um Entscheidungen über Rückgaben geht, spricht sich Aly daher für eine institutionelle Trennung aus: Nicht die ethnologischen Museen selbst sollten darüber entscheiden, sondern beispielsweise unabhängige Kommissionen. "Dieser Gedanke ist im politischen Raum noch gar nicht diskutiert worden. Aber ich denke, mit der neuen Regierung kann man das machen."

Bessere soziale Absicherung für Künstlerinnen 

Dass kulturpolitische Fragen künftig eine größere Rolle spielen werden, glaubt auch Olaf Zimmermann. Vor der Wahl hatte der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates  gemeinsam mit seiner Kollegin Gabriele Schulz eine Einschätzung der Positionen der verschiedenen Parteien zur Kulturpolitik auf der Website des Kulturrates vorgenommen. Wichtig ist für ihn die Frage, ob die Kulturpolitik weiterhin dem Bundeskanzleramt zugeordnet bleibt oder ein Kulturministerium entstehen wird: "Die SPD hat deutlich erklärt, dass sie eine Aufwertung des Amtes durch die Berufung einer vollwertigen Kulturministerin oder Kulturminister im Bundeskanzleramt planen. Die Grünen haben gesagt, sie können sich sogar ein Kulturministerium, also ein Ressort außerhalb des Bundeskanzleramtes, vorstellen. Es kommt also Bewegung in diese Debatte hinein."

Deutschland Filmfest München 2021 | Volker Schlöndorff, Regisseur
Regisseur Volker SchlöndorffBild: Tobias Hase/dpa/picture alliance

Diesen Vorschlag begrüßte auch Volker Schlöndorff im DW-Interview. "Die Umwelt ist Teil der Kultur. In diesem Sinne sind die Fortschritte der Grünen auch gut für die Kultur", sagte der Oscar-prämierte Regisseur.

Neben der Klimaschutz-Debatte habe auch die Corona-Pandemie gezeigt, wo in der Kulturpolitik laut Olaf Zimmermann die großen Lücken herrschen, "nämlich vor allem bei der sozialen Absicherung von Künstlerinnen und Künstlern und der anderen im Kulturbereich tätigen Menschen." Hier erwartet der Kulturrat eine Verbesserung der sozialen Absicherung. "Dazu muss die Sozialgesetzgebung verändert werden - zum Beispiel so, dass es eine Art Arbeitslosenversicherung für freiberuflich arbeitende Künstlerinnen und Künstler gibt. Das ist schon eine große Veränderung. Und da zählt jeder Tag!" Die Koalitionsverhandlungen sollten nach Ansicht von Olaf Zimmermann zügig vorangehen - und spätestens vor den Weihnachtsfeiertagen beendet sein. "Die Parteien werden sich beeilen müssen, weil die Bevölkerung in Deutschland unruhig ist. Alle wissen, dass sehr viel getan werden muss."

Keine "Kanzlerin der Kultur"

Dass es kulturpolitisch schnell voran gehen wird, glaubt Joachim Helfer angesichts der anstehenden Koalitionsverhandlungen nicht. "Es ist realistisch zu vermuten, dass Frau Merkel die Weihnachtsansprache halten und dass sich das alles ein bisschen ziehen wird",  sagt der Schriftsteller und Präsidiumsmitglied des PEN-Zentrum Deutschland.

Joachim Helfer lächelt in die Kamera.
Joachim Helfer, Schriftsteller: Merkel sei keine "Kanzlerin der Kultur" gewesenBild: Marco Meyer

Helfer hat 2017 mit "Wenn ich mir etwas wünschen dürfte" ein Buch herausgegeben, in dem Intellektuelle ihre Wünsche an die Politik formulieren und war am Wahltag als Wahlhelfer bis spät in die Nacht im Einsatz gewesen. "In der Kulturpolitik erwarte ich in den nächsten Monaten ein 'Weiter so' mit den bisherigen Protagonisten." Dennoch hofft auch er, dass "die Bereitschaft, Kultur ernst zu nehmen und für ein zentrales Politikfeld zu halten, bei Scholz etwas ausgeprägter ist als bei Merkel", die nicht gerade eine "Kanzlerin der Kultur" gewesen sei. Das Programm der SPD sei diesbezüglich recht eindeutig.

Die kulturelle Bildungsbürger-Bubble

Was das politische Engagement von Künstlerinnen und Künstlern selbst angeht, sieht Joachim Helfer, ähnlich wie in seinem Buch, den "Ausweis einer gewissen Zufriedenheit". Niemand habe im Vorfeld der Bundestagswahl das Gefühl gehabt, "die Republik muss jetzt hier wirklich gerettet werden. Es steht hier nicht die Verfassung zur Debatte, oder es bricht ja kein Bürgerkrieg aus, wenn jetzt irgendein anderer Kanzler wird."

Rapperin Nura mit Mikrofon
Rapperin Nura sagt in den Sozialen Medien oft deutlich ihre Meinung Bild: Gregor Fischer/dpa/picture alliance

Ein Potenzial für politisches Engagement aus der Kultur sieht Helfer viel eher bei einer jungen Rapperin mit migrantischem Hintergrund wie Nura als im deutschen Literaturbetrieb, "der bis auf den heutigen Tag ungewöhnlich weiß, ungewöhnlich bildungsbürgerlich" sei. Laut OECD-Bildungsberichten sei der Zusammenhang zwischen dem Bildungsabschluss der Kinder und dem Bildungsabschluss der Eltern in keinem Industrieland enger als in Deutschland. "Wir sind das bildungsundurchlässigste aller Industrieländer. Und das betrifft natürlich auch die Kultur. Das ist etwas, was eine sozialdemokratisch geführte Politik nun wirklich ändern muss. Und da hätten die Grünen sicher auch nichts dagegen."