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Bürgerkrieg oder Hoffnung im Irak?

Peter Philipp20. März 2006

Drei Jahre nach dem Beginn des Irak-Kriegs steht das Zweistromland vor einer ungewissen Zukunft und kämpft mit zahlreichen Problemen. Selbst besonnene Iraker denken zum Teil wehmütig an die Zeit unter Saddam zurück.

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US-Marine nahe BagdadBild: AP
Irak Bagdad Parlament konstituiert
Konstituierende Sitzung des ParlamentsBild: AP

Der ehemalige irakische Interim-Premier, Ijad Allawi, findet keine bessere Bezeichnung: Was sich heute im Irak abspiele, könne doch nur als Bürgerkrieg bezeichnet werden. Wenn täglich Dutzende von Menschen getötet werden und die Gewalt weiter eskaliert, dann bewege man sich in eine ausweglose Situation und nähere sich dem Ende des irakischen Einheitsstaates. Der Schiit Allawi, einst Baath-Aktivist, dann - im Exil - Mitarbeiter der CIA und heute Führer einer weltlich orientierten Partei, die im Parlament mit nur 14 Prozent vertreten ist, malt ein düsteres Bild von der Zukunft seines Landes. Und er warnt, dass der Irak vor dem Zerfall in ethnisch und religiös gefärbte Teile, vielleicht sogar Kleinstaaten stehe.

Mehr Probleme denn je

Das ist nicht nur Schwarzmalerei, die zum Ziel hat, Allawi als Kompromiss-Politiker ins Spiel zu bringen, um die auseinander strebenden Kräfte wieder zusammenzubringen. Es ist auch eine Portion Realismus darin, denn nie zuvor hat der Irak vor so vielen Problemen gestanden wie am 3. Jahrestag des amerikanischen Angriffs vom 20. März 2003: Seit dem Anschlag auf die "Goldene Moschee" im Februar bekämpfen sich Schiiten und Sunniten mit wahlloser und blinder Gewalt, die internationale Brigade von Terroristen verschiedener Couleur treibt weiterhin ihr Unwesen und wenn die US-Truppen auch seit Tagen die größte Militär-Operation gegen Terroristen und Widerstandsgruppen im "sunnitischen Dreieck" durchführen, so dürfte ihnen doch auch klar sein, dass sie den Terror nicht mit Panzern und Kampfhubschraubern stoppen können.

Irak Bagdad Parlament konstituiert
US-Botschafter Zalmay Khalilzad mit Premier Ibrahim DschaafariBild: AP

Auch nicht mit den irakischen Sicherheitskräften, die fast die Hälfte der Einsatztruppen ausmachen: So unerschrocken sich trotz aller Anschläge auch immer weiter junge Iraker in den Rekrutierungszentren melden, so unerfahren sind sie doch auch und so wenig in der Lage, wirklich Ruhe und Ordnung herzustellen. Ijad Allawi hat wiederholt kritisiert, dass die USA die Sicherheitskräfte des alten Regimes abschafften, statt sich ihrer zu bedienen. Ein Fehler, dessen Korrektur noch viel Zeit und - vor allem - noch viele Opfer kosten wird.

Regierungsbildung nicht absehbar

Und auf politischen Gebiet ist eine rasche Lösung auch nicht in Sicht: Mehr Sicherheit erhofften sich viele Iraker zum Beispiel von den ersten Ansätzen des demokratischen Prozesses, vor allem von den Wahlen im vergangenen Dezember. Bisher sind drei Monate vergangen und das neue Parlament hat es gerade einmal zu einer kurzen und mehr symbolischen Sitzung gebracht, nicht aber zur Bildung einer Regierung. Die wird noch Wochen oder Monate auf sich warten lassen. Und die Bevölkerung ist zusehends frustriert, denn sie hatte sich mehr erhofft.

Selbst bei besonnenen Irakern kommen wehmütige Erinnerungen an die Zeit Saddams auf: Da war man zwar nicht frei, aber man hatte mehr Sicherheit. So mancher vermisst einen "starken Mann", ohne zu merken, dass das nicht gerade den Kriterien einer Demokratie entspricht - und ohne zu wissen, woher der neue starke Mann denn kommen könnte. Der alte jedenfalls kommt auch für die Frustrierten nicht in Frage. Saddam verschleppt immer wieder den Prozess, in dem er sich bisher für die Ermordung schiitischer Dorfbewohner zu verantworten hat. Wie lange der Prozess noch dauern wird, weiß niemand. Nur, dass er dem Irak nicht aus der gegenwärtigen Misere helfen wird.

Das würde auch ein amerikanischer Rückzug nicht tun. Im Gegenteil: Das Land würde noch mehr im Chaos versinken. Und so besinnt sich jeder scheinbar immer mehr darauf, seine eigenen Interessen wahrzunehmen. Die Schiiten streben mehr Autonomie in ihrem ölreichen Südteil des Landes an, die Kurden wollen mit mehr Unabhängigkeit ihres ohnehin fast autonomen Norden kontern. Bleiben die Sunniten, die hierbei ebenso leer auszugehen drohen wie bei der künftigen Machtverteilung. Sie können die Macht nicht zurückerlangen, aber sie können den anderen den Gefallen an der Macht gehörig vergällen. Drei Jahre nach dem amerikanischen Einmarsch leidet der Irak an mehr Problemen als zuvor. Und Ijad Allawis düsterer Blick in die Zukunft ist alles andere als Schwarzmalerei.