Chávez und Morales im Abseits
12. Mai 2006Das Treffen der Europäischen Union mit Zentral- und Südamerika war die größte Versammlung von Regierungschefs in der Hauptstadt Österreichs seit dem Wiener Kongreß 1815. Darauf wiesen die österreichischen Gastgeber gerne hin. Doch der Vergleich hinkt, denn damals nahmen sich die Staatsmänner neun Monate Zeit, die 62 Staats- und Regierungschefs heute hatten nur eineinhalb Tage. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel entschwand schon nach wenigen Stunden. Der Wiener Kongress fällte durchaus einschneidende Entscheidungen, während das EU-Lateinamerika-Treffen mehr dem Kennen lernen diente, aber nur wenig Konkretes produzierte.
Keine Fortschritte in punkto Mercosur
So gelang es nicht, bei den Verhandlungen über Freihandelsabkommen mit der Staatengemeinschaft Mercosur (Brasilien, Argentinien, Uruguay, Paraguay) Fortschritte zu erreichen. Mit der Andengemeinschaft (Mitglieder sind Venezuela, Kolumbien, Ecuador, Peru und Bolivien) wurde zumindest die Absicht bekräftigt, in der Zukunft irgendwann zu verhandeln. Lediglich mit sechs Staaten in Zentralamerika wird die Europäische Union jetzt Verhandlungen über ein Assozierungsabkommen aufnehmen. Der österreichische Gastgeber, Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, konnte wenigstens die Einigung auf eine Gipfelerklärung bekannt geben. "Ich habe jetzt die Ehre zu verkünden, dass die Wiener Erklärung im Konsens von den Staats- und Regierungschefs angenommen wurde", sagte er.
Die Erklärung sieht eine intensivere Zusammenarbeit beider Seiten beim Umweltschutz, der Bekämpfung der Armut, bei den Menschenrechten und der Drogenbekämpfung vor. "Wenn ich diese Stimmen richtig wahrgenommen habe, dann haben sie uns zugerufen, wir wollen die Nähe der Europäischen Union. Wir wollen noch dichtere Zusammenarbeit in den Bereichen Wissenschaft, Kultur und natürlich auch Wirtschaft", bilanzierte der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier seine Diskussionen mit den südamerikanischen Kollegen.
Chávez und Morales im Gespräch mit DW-WORLD.DE
Frank-Walter Steinmeier sagte, Lateinamerika bestehe nicht nur aus den sozialistischen Populisten Hugo Chávez aus Venezuela und Evo Morales aus Bolivien. Der Kontinent mit seinen 500 Millionen Menschen sei sehr vielfältig. Der Trend zu linken Regierungen wie in Brasilien oder Chile, der sich bei Wahlen in Peru und Mexiko fortsetzen könnte, stört den Sozialdemokraten Steinmeier nicht. Der venezolanische Präsident Hugo Chávez gefiel sich dagegen in der Rolle des Provokateurs und schilderte seine Vision von einem vereinten Südamerika gegenüber DW-WORLD.DE: "In Lateinamerika geht eine Ära zu Ende: Der imperialistische Anspruch der USA, ihr eigenes Modell in der Welt durchzusetzen, ein Modell, das nur die Interessen dieses Imperiums wahrnimmt. Dieses Modell läuft aus. Lateinamerika erlebt seine Wiedergeburt. Die Völker Lateinamerikas haben den US-Imperialismus niedergerungen. Die Völker verlangen ein neues Modell der Integration."
Der Präsident von Bolivien, Evo Morales, warb gegenüber DW-WORLD.DE um Verständnis für seine umstrittene Maßnahme, die natürlichen Ressourcen seines armen Landes zu verstaatlichen: "Europa muss verstehen, dass dem Volk historische Schaden zugefügt worden ist. Das indianische Volk will das nun reparieren, indem es über seine Ressourcen selbst entscheidet."
Mehrheit für Freihandel
Die EU und auch die meisten lateinamerikanischen Gipfelteilnehmer lehnen diese Sichtweisen ab. Der mexikanische Präsident Vicente Fox nannte die Populisten das größte Hindernis für freien Handel und Armutsbekämpfung. Da Bolivien enteignete brasilianische Energiekonzerne nicht entschädigen will, drohte der brasilianische Außenminister Celso Amorim Bolivien mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen. Der kubanische Vize-Präsident Carlos Lage Davila hingegen griff die EU wegen ihrer engen Verbindungen zu den Vereinigten Staaten scharf an.
Der Präsident der EU-Kommission, Jose Barroso, rief die Gipfelteilnehmer auf, trotz Meinungsunterschieden der Partnerschaft zwischen den Kontinenten neuen Schwung zu geben: "Dies darf keine technokratische Übung bleiben, sondern wir müssen Enthusiasmus zeigen, um unsere Gesellschaften zuhause zu mobilisieren", sagte er.
Amüsanter Zwischenfall
Während der Megakonferenz in Wien gab es nur einen Zwischenfall, der von den Staats- und Regierungschefs mit Schmunzeln quittiert wurde. Bei der Aufnahme des traditionellen Erinnerungsfotos stürmte eine argentinische Umweltaktivistin und Karnevalsprinzessin im Glitzerbikini vor die Bühne, auf der die verdutzten Gipfelteilnehmer versammelt waren. Der nächste Gipfel soll in zwei Jahren im peruanischen Lima stattfinden.