Chance auf Frieden?
1. Oktober 2015Dass der im Februar vereinbarte Waffenstillstand für die Ost-Ukraine Anfang September plötzlich eingehalten wurde, kam so abrupt wie die Eskalation vor dem Minsker-Krisengipfel unter Beteiligung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Frankreichs Präsidenten François Hollande, dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko und seinem russischen Gegenüber Wladimir Putin. "Wer so schnell die Gewalt abstellen kann, wird sie auch schnell wieder befeuern können", sagt ein westlicher Diplomat in Kiew. Es ist klar, dass damit Moskau gemeint ist. Die Zweifel sind groß, ob der nächste Anlauf zum Frieden in der Ost-Ukraine beim Pariser Friedensgipfel am Freitag im sogenannten Normandie-Format mit Ukrainern und Russen unter Vermittlung Deutschlands und Frankreichs tatsächlich zu nachhaltigem Frieden führt – im Schatten des russischen Engagements in Syrien. Und dennoch macht sich in der Ukraine zaghaft Hoffnung breit.
Panzerbewegungen während der Waffenruhe
Anfang der Woche haben sich Kiew und Moskau und die von dort militärisch unterstützten Rebellen unter OSZE-Vermittlung auf den Abzug schwerer Waffen bis 100 Millimeter Kanonenstärke geeinigt. Damit müssten vor allem Panzer jeweils 15 Kilometer von der Frontlinie abgezogen werden. In den vergangenen vier Wochen relativer Ruhe wurden sie noch strategisch umgruppiert. "Wir beobachten militärische Bewegungen auf beiden Seiten", sagte der Vize-Chef der OSZE-Beobachter-Mission Alexander Hug noch vergangene Woche. "Es sind weiterhin zu viele Waffen in der Sicherheitszone." Ob es jetzt zum Abzug kommt – das ist der Test. Immerhin: Noch vor drei Monaten hätte niemand in Kiew eine Wette darauf abgeschlossen, dass es den Sommer über ruhig bleiben könnte in der Ost-Ukraine. Im Gegenteil: Die Kiewer Staatsführung erwartete eine großangelegte Sommeroffensive der Rebellen. Das habe intensive Diplomatie verhindern können, räumt ein Berater des ukrainischen Präsidenten nicht ohne Lob für die deutsch-französische Krisenintervention ein.
Kiews rote Linien
Kiew arbeitet schon seit Wochen mit einem Katalog roter Linien, die nicht überschritten werden dürften, um beim Pariser Gipfel weiter zu kommen, heißt es im Umfeld des ukrainischen Präsidenten. Vorneweg die einseitige Organisation von Wahlen durch die pro-russischen Rebellen ohne internationale Aufsicht. Möglich, dass die nun in den Februar verschoben werden. Auch jedwede internationale Anerkennung der besetzten Region innerhalb der Ukraine sowie "terroristische Aktivitäten" prorussischer Kräfte in der Ukraine „mit Toten“ gehören demnach zu dem Katalog. Auch "russische Friedenssoldaten" stehen auf der Giftliste. Gleichzeitig will Kiew in Paris aber erneut für eine Friedenstruppe in der Ost-Ukraine werben.
Von Minsk II zu Minsk III?
Dabei übt auch Kiew Zurückhaltung bei der Umsetzung der Vereinbarungen: Die vor kurzem noch für den Oktober geplante Parlamentsabstimmung in der Kiewer Rada über eine Dezentralisierung des Landes und damit eine Grundlage für eine Selbstverwaltung der ost-ukrainischen Separatisten ist auf Ende Dezember verschoben. Kiew will sein stärkstes Druckmittel nicht leichtfertig aus der Hand geben. "Wir bezahlen hier einen hohen Preis", sagt ein ukrainischer Spitzendiplomat. Teile der bewaffneten nationalistischen Freiwilligen-Bataillone im Land behaupten, dass dann ihr Kämpfen umsonst gewesen wäre. Bei der ersten Lesung der Verfassungsreform am 31. August flogen Handgranaten mit mehreren schwer Verletzten vor der Kiewer Rada. Auch deshalb will der ukrainische Präsident offenbar mehr internationale Präsenz.
EU-Grenzmission
Tatsächlich ist unklar, wie ohne verstärkte internationale Präsenz in der Ost-Ukraine die Minsker Februar-Vereinbarung auch nur ansatzweise umgesetzt werden soll. Denn dort steht auch ein Datum: Zum 31. Dezember sollten die meisten Punkte ins Werk gesetzt sein. Vorneweg: Die Kontrolle der zu den Rebellengebieten offenen ukrainisch-russischen Grenze. In Kiew glaubt kaum jemand daran, dass das noch erreicht werden kann. Vor allem dafür wünschen sich manche in Kiew eine EU-geführte Mission – zur Grenzsicherung. Dabei kommt die bisher einzige Mission in der Region, die der OSZE, ihrer Beobachteraufgabe kaum hinterher. Deren Mandat wurde schon vor Monaten von 500 auf 1000 Mitarbeiter aufgestockt – derzeit sind es gerademal 540 unbewaffnete Beobachter, die zudem 40 Prozent des Rebellengebietes nicht betreten können, weil sie in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden.
Die Krisendiplomatie im Hintergrund dreht sich deshalb schon seit Wochen darum, das Abkommen fortzuschreiben. Aus dem zweiten Minsker Abkommen würde dann Minsk III. Bis die zentrale Forderung des zweiten Abkommens vom vergangenen Februar umgesetzt wurde, hat es sieben Monate gedauert. Jetzt schweigen die Waffen. Immerhin.