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Chemnitz: Wer tötete Daniel H.?

18. März 2019

Im Sommer 2018 sollen zwei Asylbewerber in Chemnitz den 35-jährigen Daniel H. getötet haben. Einer der mutmaßlichen Täter steht nun vor Gericht. Fragen und Antworten zum ersten Prozesstag und zum Stand der Ermittlungen.

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Sachsen, Chemnitz: Prozessbeginn zur Messerattacke in Chemnitz
Bild: picture-alliance/dpa/M. Skolimowska

Was geschah beim Prozessauftakt?

Im Mittelpunkt des ersten Prozesstags vor dem Chemnitzer Landgericht stand ein Antrag der Verteidigung des angeklagten Syrers Alaa S.: Das Verfahren solle eingestellt werden, forderten die Anwälte. Die Anklage gegen seinen Mandanten sei nicht stichhaltig, sie folge Vorurteilen und habe Widersprüche, sagte Verteidiger Frank Wilhelm Drücke. Es gebe widersprüchliche Zeugenaussagen zu Stichbewegungen gegen das Opfer. Die Anwälte versicherten, S. sei unschuldig.

Anwältin Ricarda Lang stellte außerdem einen Antrag, zu überprüfen, "ob das Gericht ordnungsgemäß besetzt ist". Sie hat einen Fragenkatalog ausgearbeitet, mit dem sie von den Richtern und Laienrichtern erfragen will, ob sie etwa an asylfeindlichen Demonstrationen teilgenommen haben.

Laut der Anklage, die am Montag im Gericht verlesen wurde, geht die Staatsanwaltschaft von fünf Messerstichen gegen Daniel H. aus, vier im Brustbereich und einem in den Oberarm. Außerdem sei der Geschädigte Dmitri M. in den Rücken gestochen worden. M. sagte am ersten Prozesstag als Zeuge aus. Er beschrieb den Täter vor Gericht als weiß gekleideten Mann, konnte jedoch nicht den Angeklagten als Täter identifizieren.

Das Gericht setzte das Verfahren trotz der Anträge der Verteidigung fort, auch der Haftbefehl gegen den Angeklagten bleibt laut Staatsanwalt Stephan Butzkies bestehen. Bis Ende Mai sollen dutzende Zeugen in dem Verfahren aussagen. Bis Ende Oktober sind insgesamt 24 Verhandlungstage angesetzt - ob alle benötigt werden, ist offen. Wegen des großen öffentlichen Interesses und aus Sicherheitsgründen findet der Prozess in den Räumlichkeiten des Dresdner Oberlandesgerichts statt.

Was ist in der Tatnacht passiert?

Am 26. August 2018 wurde der damals 35 Jahre alte Daniel H. am Rande des Chemnitzer Stadtfestes unter bislang ungeklärten Umständen erstochen. Daniel H. erlitt unter anderem einen Herzstich und einen Lungendurchstich. Ein weiterer Mann wurde schwer verletzt. Für die Tat sollen der damals 22 Jahre alte Iraker Farhad A. und der 23-jährige syrische Asylbewerber Alaa S. verantwortlich sein. Farhad A. gilt als mutmaßlicher Haupttäter, ist aber bis heute untergetaucht.

Wie ist der derzeitige Ermittlungsstand?

Den Ermittlungen zufolge geriet der flüchtige Iraker in jener Augustnacht auf der Straße mit dem späteren Opfer in Streit. Nach Informationen mehrerer Medien soll Farhad A. unter Drogeneinfluss gestanden und zusammen mit dem späteren Opfer Kokain konsumiert haben. Als es zwischen Farhad A. und Daniel H. zu einem Streit kam, sei Alaa S. dem Iraker zu Hilfe geeilt. Beide hätten anschließend "ohne rechtfertigenden Grund" mit Messern mehrfach auf den 35-Jährigen eingestochen, heißt es in der Anklage.

Angeklagt ist allein Alaa S. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm "gemeinschaftlich begangenen Totschlag in Tatmehrheit mit gemeinschaftlich versuchtem Totschlag sowie gefährlicher Körperverletzung" vor. Die Anklage soll sich vor allem auf einen Zeugen stützen. Nach der Tat wurde in der Nähe des Tatorts ein Messer mit Blutspuren des Opfers Daniel H. gefunden. Spuren des nunmehr Angeklagten Alaa S. finden sich daran allerdings nicht. Alaa S. wird vor allem von einem Zeugen belastet, der ihn bei stichartigen Bewegungen beobachtet haben will. Allerdings hat der Zeuge erklärt, er habe kein Messer sehen können. Alaa S. beteuert seine Unschuld; er sei gar nicht unmittelbar am Tatort gewesen.

Deutschland Tatort in Chemnitz
Betroffenheit und stille Trauer nach der TatBild: picture-alliance/dpa/J.Woitas

Was geschah an den Tagen nach der Tat?

Das Tötungsdelikt erschütterte die sächsische Stadt. Mehrere Gruppen, darunter die Vereinigung "Pro Chemnitz", riefen über Facebook zu Demonstrationen auf. Dabei liefen Bürger Seite an Seite mit Rechtsradikalen. Mehrere von ihnen zeigten den Hitlergruß, in mindestens zehn Fällen hat die Polizei ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Mindestens 18 Menschen, darunter auch Polizisten, wurden während der Demonstrationen verletzt.

Auf der anderen Seite gab es aber auch Gegendemonstrationen und Freiluftkonzerte gegen Fremdenhass. Bei einem Konzert, unter anderem mit den Gruppen "Die Toten Hosen" und "Feine Sahne Fischfilet", wendeten sich Zehntausende gegen den Versuch, den Tod von Daniel H. politisch zu instrumentalisieren.

Hat es in Chemnitz "Hetzjagden" auf Ausländer gegeben?

Bundeskanzlerin Merkel erklärte damals: "Wir haben Videoaufnahmen darüber, dass es Hetzjagden gab, dass es Zusammenrottungen gab, dass es Hass auf der Straße gab, und das hat mit unserem Rechtsstaat nichts zu tun", sagte sie. "Es darf auf keinem Platz und keiner Straße zu solchen Ausschreitungen kommen."

Dem widersprach der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer. "Es gab keinen Mob, keine Hetzjagd und keine Pogrome", so Kretschmer. Meldungen, denen zufolge rechtsextreme Gruppen Menschen mit Migrationshintergrund durch die Stadt gejagt hätten, seien falsch. Er sagte auch, der Staat lasse sich das Gewaltmonopol nicht nehmen. Er geißelte die "politische Instrumentalisierung durch Rechtsextremisten" als "abscheulich".

Deutschland, Chemnitz: Konzert gegen Rassismus
Gegen Rassismus: Konzert in ChemnitzBild: picture alliance/AP Photo/J. Meyer

Zusätzlich aufgeheizt wurde die Lage durch den damaligen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen. Dieser erklärte in der "Bild"-Zeitung zu Videobildern im Internet, gute Gründe sprächen dafür, dass es sich bei den Hetzjagden um gezielte Falschinformation handle, "um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken". Grüne und Linke verlangten daraufhin Maaßens Rücktritt. Hinzu kam der Umstand, dass Maaßen - laut Recherchen des ARD-Magazins "Kontraste" - der AfD-Bundestagsfraktion bereits Wochen vor Veröffentlichung des Verfassungsschutzberichts 2017 Auszüge aus diesem zur Verfügung gestellt hatte. Nach anhaltender Kritik wurde Maaßen von Bundesinnenminister Horst Seehofer in den einstweiligen Ruhestand versetzt.

Hat Sachsen ein Problem mit dem Rechtsextremismus?

Politiker nahezu aller Parteien fürchten eine Ausbreitung des Rechtsextremismus in Sachsen. Seit Jahren schädigen Rechtsextreme und Fremdenfeinde immer wieder den Ruf des Freistaats Sachsen und seiner vier Millionen Einwohner: Die rechte Terrorgruppe NSU konnte bis zu ihrer Enttarnung 2011 in Sachsen unbehelligt abtauchen. In der Landeshauptstadt Dresden gehen seit 2014 regelmäßig "Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlands" bei ihren PEGIDA-Demos auf die Straße. 2015 lieferte sich ein rechter Mob in Heidenau Straßenschlachten mit der Polizei, um ein geplantes Flüchtlingsheim in einem ehemaligen Baumarkt zu verhindern.

Deutschland Rechte Demo in Chemnitz
Eine Stadt in Aufruhr: Demonstrationen in ChemnitzBild: Reuters/H. Hanschke

Im Frühjahr 2016 blockierten aufgebrachte Fremdenfeinde in Clausnitz einen Bus mit Flüchtlingen, die Polizei holte diese mit Gewalt aus dem Bus. Wenige Wochen später behindern johlende Schaulustige in Bautzen die Löscharbeiten an einer brennenden Flüchtlingsunterkunft. Im September richtete sich der öffentliche Fokus wieder auf die Stadt, als in der Bautzener Innenstadt 80 Rechte und 20 Flüchtlinge aufeinander losgehen. In der Kreisstadt Freital verübte eine rechtsterroristische Bürgerwehr mehrere Sprengstoffanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte und hatte weitere geplant; die Täter wurden im März 2018 zu langen Haftstrafen verurteilt. In Sachsen gab es 2017 laut Verfassungsschutzbericht 1959 rechtsextremistische Straftaten, darunter 95 Gewalttaten. Davon spielten sich 160 Straf-, darunter sechs Gewalttaten, in Chemnitz ab.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika