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Mutmaßlicher IS-Terrorist angeklagt

Sabrina Pabst8. Juli 2015

Er wollte als Held gefeiert werden. Dafür zog Nezet S. für den IS in den Krieg nach Syrien. Vor Gericht gesteht er und schildert seine Erlebnisse. Ein IS-Terrorist will er nicht sein.

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Nezet Alija S. IS Prozess Terrorismus Düsseldorf OLG (Foto: picture-alliance/dpa/Federico Gambarini)
Bild: picture-alliance/dpa/Federico Gambarini

"Ich wollte mit denen, die Köpfe abschneiden, nichts zu tun haben", wiederholt Nezet Alija S. mehrfach. "Ich wollte kämpfen", bestätigt er. Doch die Absicht, jemanden umzubringen, hatte er nicht, betont Nezet S. vor Gericht. "Wie haben Sie sich das vorgestellt?" fragt die Vorsitzende Richterin Barbara Havliza. Geduldig wartet sie. "Ich wollte selber an Kampfhandlungen teilnehmen, aber vorbeischießen", antwortet Nezet S. Ein Raunen geht durch das Publikum. "Ich wollte ein Held sein und mir einen Namen machen. Viele Frauen wollte ich haben."

Das sind die Phantasien eines 22-jährigen Angeklagten, der sich seit Mittwoch vor Gericht für seine Taten verantworten muss. Die "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" wird ihm vorgeworfen. Nezet S. soll sich vom 23. Juli bis zum 16. August 2014 in Syrien als Mitglied der Terrororganisation "Islamischer Staat" aufgehalten - und sich mit den Zielen des IS identifiziert haben. Mehrfach soll Nezet S. an Kampfhandlungen gegen den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad teilgenommen haben und dafür an der Waffe ausgebildet worden sein. Doch diesen Vorwurf bestreitet er.

Vertrauen in Facebook-Bekanntschaft

Nezet S. ist ein unauffälliger junger Mann. Er trägt ein grünes Polo-T-Schirt, Jeans und Turnschuhe. Die Haare sind teils abrasiert und ordentlich zurück gegelt. So erzählt Nezet von seiner Schulzeit, seinen Alkohol-Exzessen, den Straftaten und seinem Dauerarrest. Ein Leben nach strenger Islamauslegung schien für ihn die Lösung seiner Probleme. In der Essener Innenstadt wird er von Koran-Verteilern der Aktion "Lies!" angesprochen und gerät in ihren Bann. Was ihm gefehlt habe, sei Anerkennung, meint der 22-Jährige rückblickend. Durch die Reise nach Syrien wollte er zum Helden werden und sich "einen Namen machen".

In seiner Heimatstadt Mühlheim kauft er sich ein Ticket für den Hinflug in die Türkei - allerdings keinen Rückflug. Von der Türkei reisen er und 15 weitere Neuankömmlinge nach Syrien. Den Tipp bekam er von einem Freund, den er über Facebook kennengelernt habe. Ein Kosovo-Albaner, wie er, der zwar nicht in Deutschland, sondern in Österreich ausgewachsen sei. Er lebe jetzt in Syrien und habe ihm erzählt, "wie schön es dort ist", so Nezet S. Einige Wochen tauschen sie Videos aus und schicken sich gegenseitig Bilder. Nezet S. ist fasziniert von dem Zusammenhalt unter den IS-Kämpfern. „Sie singen zusammen, essen, schwimmen“, sagt er. Sein Freund könne jeden Tag ausschlafen und die Scharia studieren. Das würde auch ihm gefallen. Zuhause sei er immer alleine. Seine Eltern hätten kaum Zeit für ihn. Durch Video-Chats bauen sie innerhalb weniger Wochen gegenseitiges Vertrauen auf.

Das Hochsicherheitsgebäude des Oberlandesgerichts in Düsseldorf (Foto: picture-alliance/dpa/C. Seidel)
Im Hochsicherheitstrakt des Oberlandesgericht Düsseldorf wird über Nezet S. verhandeltBild: picture-alliance/dpa/C. Seidel

Bruch im Lebenslauf

Nezet S. ist in Deutschland geboren. Seine Eltern sind Kosovo-Albaner. Er habe sich länger für Religion interessiert. In der Schule habe er Freunde gefunden, die ihm den Islam richtig beigebracht hätten, erzählt Nezet S. Seinen neu gewonnenen strengen Glauben hat er ausgelebt. Im Internet sieht er Prediger aus Saudi Arabien - mit deutschem Untertitel - und verteilt in Innenstädten für die islamistische Bewegung „Lies!“ Koran-Bücher. Diese Radikalisierung fällt seinen Lehrern auf. Sie verweisen ihn der Schule und informieren die Behörden. Die anschließende, so genannte Gefährdungsansprache durch die Polizei kann ihn von seinem radikalen Kurs nicht abbringen. Die Moschee-Gemeinde in Solingen, in der er Syrien-Heimkehrer trifft, besucht er weiterhin. "Ich wollte auch die Verpflichtung des Dschihad erfüllen", sagt er. Doch über den Islam, die Scharia und den Dschihad weiß Nezet S. wenig - so scheint es jedenfalls während der Verhandlung.

Seine Facebook-Bekanntschaft lotst ihn in die syrische Stadt al-Bab. Kurz nach seiner Ankunft stoßen die Internet-Predigten und die Phantasien von Nezet S. mit der Realität in Syrien zusammen. "Am ersten Tag wurde ich gefragt, ob ich an Kampfhandlungen teilnehmen möchte oder mich in die Luft sprengen will", berichtet Nezet S. Er entschied sich für die Kampfhandlungen. Doch ein Angriff auf sein Quartier und ein abgeschleppter ausgebombter Panzer kurdischer Kämpfer mit getrocknetem Blut bringen ihn von seinem Entschluss ab. "Ab da war mir klar, ich will noch nicht sterben. Ich bin erst 21 Jahre und habe mein ganzes Leben vor mir." Seine Worte sind klar und gefasst. Ob ihm nicht bewusst sei, dass Kämpfen auch mit Blut und Tod zu tun habe, fragt Richterin Havliza. Seine Antwort bleibt aus.

Syrien Zerstörung nach Luftangriff auf Al-Bab (Foto: picture-alliance/AA/Stringer)
Von den zerstörten Häusern außerhalb seines Quartiers in al-Bab will Nezet S. nichts gewusst habenBild: picture-alliance/AA/Stringer

Hat Nezet S. für den IS gekämpft?

"Durch die Videos und Erzählungen anderer wurde ich manipuliert", meint Nezet. Er wollte aussteigen, ausreisen und zurück nach Deutschland. Was in den 16 Tagen bis zur Abreise von Nezet S. geschah, bleibt trotzdem ungewiss. "Ich habe gechillt und im Fluss gebadet", sagt er. Weder habe er das Ausbildungslager in al-Rakka besucht, noch habe er an Kampfhandlungen teilgenommen. Ein Handy-Foto zeigt Nezet S. mit Tarnanzug und Kalaschnikow. Das sei ein Erinnerungsfoto. "Ich war beeindruckt und wollte angeben", erklärt er. Mit anderen Aussteigern und IS-Kämpfern wurde er zurück in die Türkei gebracht. Dort nahm er Kontakt zu seinen Eltern auf und reiste zu seinen Verwandten in den Kosovo, nach Pristina, wo er von seinen Eltern abgeholt wurde. Zurück am deutschen Flughafen wird er von der Polizei in Empfang genommen.

Für das Verfahren hat das Gericht neun Verhandlungstage angesetzt. Dem Angeklagten Nezet S. drohen bis zu zehn Jahre Haft. Durch das Verfahren erhoffen sich die Staatsanwaltschaft, der Generalbundesanwalt und die Verfassungsschützer näheres über die Rekrutierung und das Vorgehen des IS zu erfahren. Die Ermittler sehen Nezet S. als einen Alleingänger, der nicht in einer Gruppe extremistischer Salafisten vernetzt ist. Inwieweit das zutrifft, werden die nächsten Verhandlungstage zeigen.