Chinas WTO-Jubiläum
3. Dezember 2006Am Montag (11.12.2006), genau fünf Jahre nach dem Beitritt Chinas in die Welthandelsorganisation WTO, will das Land mit der Reform seines Bankensektors beginnen. Das ist offenbar der komplexeste und schwierigste Schritt für die chinesische Regierung, eine ihrer Zusagen aus den WTO-Verhandlungen fristgerecht einzulösen. Als Vorbereitung dazu wurden die wichtigsten staatlichen Banken an die Börse gebracht. Ausländische Investoren dürfen jetzt bis zu 25 Prozent Anteile an den Banken des Landes erwerben. Nach einer neuen Vorschrift werden die bisherigen Beschränkungen für das Privatkundengeschäft aufgehoben - ausländische Banken können den Chinesen künftig Bankdienste und Kreditkarte anbieten.
China: Pflicht erfüllt
Die chinesische Regierung betrachtet damit ihre Zusagen aus den WTO-Verhandlungen als völlig erfüllt. In den fünf Jahren seit dem WTO-Beitritt hat China eine Reihe von Importzöllen gesenkt, Staatsmonopole beschränkt, das Land für ausländische Dienstleister, Einzelhändler und Logistikunternehmen geöffnet - und jetzt auch noch für die Banken. Dennoch beklagt der Westen weiterhin gerade im Bankwesen zu hohe Hürden für den Zugang zum chinesischen Markt.
Der chinesische Handelsminister Bo Xilai, einer der profilierten Figuren in Sachen WTO und Handelsstreitigkeiten, lässt keine Gelegenheit aus, um zu betonen, dass China noch ein Entwicklungsland sei und mehr als 200 Millionen Menschen von zwei Dollar oder weniger pro Tag leben müssten: "Einen noch drastischeren Wandel kann China nicht verkraften." Aber seine Partner im Westen sehen nur Zahlen. Das Handelsdefizit der EU mit China stieg in diesem Jahr auf über 100 Milliarden Euro, und das mit den USA ist noch wesentlich höher.
Zunehmende Streitigkeiten
Im Handelsdefizit des Westens liegt die eigentliche Ursache für Unzufriedenheit und Streitigkeiten. In den USA werden gerade zwei Klagen vor der WTO wegen anhaltender Verletzung von geistigem Eigentum und Behinderung des Marktzugangs für Dienstleistungen in China vorbereitet. Auch zwischen Brüssel und Beijing ist die zunächst euphorisch gestimmte Atmosphäre durch eine Reihe von Sanktionsdrohungen inzwischen vergiftet. Die Europäische Kommission sah sich gezwungen, eine Notregel anzuwenden und teilweise zu Einfuhrquoten zurückzukehren, als nach deren Aufhebung zu Beginn dieses Jahres eine Flut von chinesischen Textilien nach Europa kam und den hiesigen Markt zu überschwemmen drohte. Die Chinesen warfen den Europäern daraufhin Protektionismus und Scheinheiligkeit im Umgang mit Freihandel vor, da das Ende der Quotierung von Textilimporten für China bei der WTO-Verhandlung beschlossen worden war. Wenig später wurde zudem eine Antidumping-Sanktion gegen Lederschuh-Importe aus China verhängt. Im September 2006 versuchten die EU und die USA gemeinsam China in einem WTO-Verfahren in die Knie zu zwingen. Ihr Vorwurf lautete, China schotte seinen Markt für Autoteile bewusst ab. Das Land praktiziert bislang eine Regelung, wonach Importe von Autoteilen wie ein Auto verzollt werden, wenn der Wert der Autoteile insgesamt mehr wert ist als 60 Prozent des Autos.
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Streitigkeiten dieser Art waren von Anfang an vorauszusehen. Ungeachtet dessen förderten die EU - und mehr noch die USA - Chinas Eintritt in die Welthandelsorganisation. Das politische Kalkül vor fünf Jahren beruhte auf der Hoffnung einer Einbindung des aufstrebenden Riesenreichs China ins weltwirtschaftliche System. Berechenbarer und kontrollierbarer sollte China werden. Und natürlich wollte sich der Westen den Zugang zum weltgrößten Binnenmarkt mit den größten Wachstumsraten sichern.
Diese Interessen passten gut zu denen von China, das nach Jahrzehnten der Abschottung Anschluss an die restliche Welt suchte. Am 11. Dezember 2001 trat das Land formell der WTO bei. Damit gelobte Beijing verbindlich, die globalen Richtlinien über Importe, Exporte und ausländische Investitionen einzuhalten, wie sie von den meisten Ländern der Welt anerkannt werden. Das bedeutete aber auch die prinzipielle Bereitschaft, sich auf dem eigenen Markt der offenen Konkurrenz zu stellen.
Pragmatismus der Unternehmer
Fünf Jahre später ist China überall auf der Welt präsent und die chinesischen Billigprodukte sind überall erhältlich. Nach einem Bericht der "Zeit" stellt sich heute fast jede japanische Firma die Frage: "Wo liegt mein Wettbewerbsvorsprung gegenüber China?" 72 Prozent aller Industrieprodukte Japans werden heute in China hergestellt: die Hochleistungsteile in Japan, die einfachen Komponenten in China. "So hat das Land die ökonomische Wende geschafft", resümiert die "Zeit". Das klingt simpel, führt in der Praxis aber durchaus zu beträchtlichen Komplikationen. Wer in China Geschäfte machen will, muss sich zum Technologietransfer die einheimischen Partnerfirmen verpflichten. Auch das ist ein Kritikpunkt des Westens - neben Marktabschottung und Dumping.
Aber die Praktiker nehmen das locker hin. Der Autobauer VW produziert in China schon lange mit ca. 80 Prozent "Made in China". VW weiß, dass Dinge wie Design, Farben, Werbesprüche und Kenntnisse in Logistik genauso wichtig sind wie die technischen Baupläne. Und zu diesen Dingen haben die Chinesen wesentlich beigetragen.
Kurswechsel in Sicht?
Im Ganzen gesehen richtet der Handel für alle mehr Nutzen als Schaden an. Das scheint trotz allem der Grundkonsens zu sein. Während die Verstimmung durch Sanktionen und Sanktionsdrohungen zwischen West und Fernost fortbesteht, arbeiten die Verantwortlichen beider Seiten auf höchster Ebene an einer Kursänderung. Der neue U.S.-Finanzminister Hank Paulson hat gleich nach Amtsantritt Beijing besucht und einen strategischen Dialog zwischen China und den USA vorschlagen. In den nächsten Tagen beginnt dieser Dialog unter seiner Regie in China. Der EU-Handelskommissar Peter Mandelson kündigte vor ein paar Tagen an, er wolle im Hinblick auf die Antidumping-Maßnahmen gegen Lederschuh-Importe aus China die Sanktionspolitik der EU ändern. Künftig solle die EU statt auf Sanktion mehr auf Dialog setzen.