USA oder China - wer macht das Rennen?
20. April 2006Bei der viertägigen Reise des chinesischen Staatschefs Hu Jintao in den USA vom 18. bis 21. April 2006 ist der Fokus klar auf ein Thema gerichtet: die Wirtschaft. Die Volksrepublik hat sich unter Hu zur drittgrößten Handelsmacht weltweit gemausert. Und Experten prognostizieren dem bevölkerungsreichsten Land der Erde weiterhin ein rasantes Wirtschaftswachstum: Laut aktuellem Frühjahrsbericht des Internationalen Währungsfonds (IWF) soll Chinas Wirtschaft im laufenden Jahr um 9,5 Prozent wachsen. Für die USA erwartet der IWF ein Plus beim Bruttoinlandsprodukt von 3,4 Prozent im gleichen Zeitraum. Eine Studie des britischen Wirtschaftsmagazins "Economist" sagt China bis zum Jahr 2020 zudem einem steigenden Anteil am Weltwirtschaftswachstum vorher. Doch welche Stärken können die beiden Nationen im Kampf um die Wirtschaftsmacht in die Waagschale werfen? Und welche Schwächen müssen sie ausgleichen?
Chinas Binnenmarkt: weißer Fleck auf der Weltwirtschaftskarte
Kay Möller, Asienexperte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, sieht die Hauptstärke Chinas vor allem in seiner Bevölkerung: Mit 1,3 Milliarden Einwohnern biete China prinzipiell einen interessanten Markt für Investitionen, zumal der chinesische Binnenmarkt einen "weißen Fleck auf der Weltwirtschaftskarte" darstelle. Grundlage für das rasante Wirtschaftswachstum der Volksrepublik in den vergangenen Jahren waren denn auch zahlreiche direkte Investitionen aus dem Ausland (53 Milliarden US-Dollar allein im Jahr 2003) - unter anderem ermöglicht durch den Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation WTO im Dezember 2001 und die damit verbundene Öffnung des Marktes. Gleichzeitig sieht Möller einen Vorteil für China in der kulturell begründeten Neigung der Chinesen zu lernen. Auch glauben laut Möller die Chinesen nach wie vor an die Möglichkeit einer positiven Entwicklung ihres Landes durch die Öffnungs- und Reformpolitik, die Dengxiao Ping Ende der 1970er Jahre anstieß.
Zweifel an der tatsächlichen wirtschaftlichen Stärke Chinas kommen jedoch für Möller durch das Ein-Parteien-System im Land auf: Die dadurch bestimmte politische Struktur sei nicht mit dem Markt vereinbar. Außerdem verzerre die durch die Regierung ausgeübte Kontrolle die Marktsituation. Zwar sei der chinesische Markt mittlerweile de facto offen für ausländische Investoren, doch beschränke sich das auf die Küstenregionen, sagt Möller. Das Landesinnere hingegen sei durch eine "erhebliche, unsichtbare Handelsbarriere" geschützt. Eine zusätzliche Schwäche der Volksrepublik ist in ihrem extrem hohen Energiebedarf zu sehen. In der Folge nimmt die Abhängigkeit Chinas, das den Großteil seiner Energie bisher aus Kohle gewonnen hat, von Öl- und Gasimporten vor allem aus der Golfregion zu.
China überaltert
Hinzu kommt die demografische Entwicklung, die auch für China aus Sicht von Experten in den kommenden Jahren zum Problem werde. Denn die chinesische Gesellschaft überaltert zunehmend, und das noch bevor die volle Industrialisierung des Landes erreicht ist. So zweifelt Asienexperte Möller an der Nachhaltigkeit des Wirtschaftswachstums in China. Um diese zu gewährleisten, müsste die chinesische Regierung das Potential der chinesischen Bevölkerung voll ausschöpfen. Dazu gehöre auch, die staatliche Kontrolle über Technologieentwicklung zu lockern, die bisher ausschließlich in Behördenhand ist. Diese Kontrolle und zusätzlich die Abschottung der Behörden voneinander sei ein Hemmschuh für den nötigen Technologietransfer und damit für das wirtschaftliche Wachstum.
Doch dürfe China auf keinen Fall den Fehler machen, seine Währung plötzlich aufzuwerten. Die USA wirft der Regierung unter Hu vor, den Wert des Yuan im Vergleich zu anderen Währungen künstlich niedrig zu halten, und fordert eine Anpassung. Doch diese würde nach Einschätzung Möllers ausländischen Spekulanten Tür und Tor öffnen und die chinesische Wirtschaft schwächen, sollte sie zu schnell durchgeführt werden. Dennoch muss sich Hu Jintao der Forderung der USA annähern, um die zarten Bande mit der einzig verbleibenden Supermacht nicht zu gefährden.
Technologiemacht USA
Als großes wirtschaftliches Plus für die USA - gerade im Vergleich mit China - ist ihre Position als weltweit führende Nation in der Technologieentwicklung zu sehen. In diesem Zusammenhang hat auch ihre militärische Stärke positive Auswirkungen auf die Wirtschaft, denn sie treibt Forschung und Entwicklung neuer Technologien voran. Auch das wirtschaftliche System der USA mit seinen starken, unabhängigen Banken und das politische System, in dem Wirtschaftslobbyisten Einfluss auf die Wirtschaftspolitik nehmen können, sieht Eckhard Janeba, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität von Mannheim, als Vorteil für die Vereinigten Staaten. Im Gegensatz zu China und zahlreichen europäischen Staaten sehen die USA außerdem einer positiven Bevölkerungsentwicklung entgegen, begründet durch die hohe Zuwanderung aus dem Ausland und die hohe Geburtenrate in dieser Bevölkerungsgruppe.
Außenhandelsdefizit und hoher Energieverbrauch
Nachteilig hingegen wirkt sich die Schräglage beim Verhältnis von Im- und Export in den USA aus: Zwar sei der Konsum hoch, doch das treibe auch die Importrate in die Höhe, die nicht durch die Exporte aufgefangen werde, erklärt Janeba. Durch dieses Ungleichgewicht sei auch das hohe Defizit im Außenhandel entstanden, das die Vereinigten Staaten anfällig für mögliche Umschwünge im Verhalten der Investoren macht. Gleichzeitig sei durch Steuersenkungen, die nicht ausreichend gegenfinanziert seien, ein zusätzliches Defizit entstanden, sagt Janeba. Einen Großteil dieser Verschuldung finanzieren China und andere asiatische Länder. Ebenso wie in China ist der Energieverbrauch in den USA hoch und die damit verbundene Ölabhängigkeit schwächt die amerikanische Wirtschaft zusätzlich - besonders angesichts der steigenden Ölpreise.
Nach Meinung beider Experten wird China dennoch in absehbarer Zeit den USA ihre Stellung als weltweit größte Wirtschaftsmacht nicht streitig machen können. Auch der IWF sieht die Vereinigten Staaten weiterhin als Motor des globalen Wachstums. Zwar sei derzeit kein Ende des Booms in China absehbar, doch müsse das Reich der Mitte sein Wachstum nicht nur mit Exporten, sondern auch mit höherem Konsum im eigenen Land untermauern. Die gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen China und den USA werden aber eine enge Zusammenarbeit unabdingbar machen.