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China im Wettlauf mit der Moderne

Rainer Sollich15. März 2002

In China ist der Nationale Volkskongress zu Ende gegangen. Wer oder was ist der "Volkskongress" und welche Rolle spielt er für die chinesische Politik?

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Inszenierung von Größe: Der chinesische VolkskongressBild: AP

Der Nationale Volkskongress ist kein Parlament im westlichen Sinne. Das zeigt schon dessen Größe: 2763 Abgeordnete sind aus dem ganzen Land in die Hauptstadt geströmt, um praktisch die gesamte Agenda der chinesischen Politik zu erörtern. Das Programm reicht von der Armuts- und Korruptionsbekämpfung über Außen-, Haushalts-, Wirtschafts- und Gesundheitspolitik bis hin zur wirtschaftlichen Lage der Landbevölkerung. Diese ist trotz Modernisierung und Wirtschaftsboom in großen Städten nach wie vor Chinas größte und zugleich ärmste Bevölkerungsgruppe.

Euro mit Bank of China
Die Staatsverschuldung steigtBild: AP

Der zum Jahreswechsel erfolgte Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) ist eine große Herausforderung für das Land. China integriert sich weiter in die Weltwirtschaft. Dies wird ohne Zweifel die Reform, Öffnung und wirtschaftliche Modernisierung vorantreiben. Zugleich jedoch dürften sich die sozialen Gegensätze im Land verschärfen und durch Schließung unrentabler Staatsbetriebe die Arbeitslosenzahlen nach oben schnellen. Eine enorme Herausforderung für Chinas autoritäre Führung, die an nichts so sehr interessiert ist wie an politischer und gesellschaftlicher Stabilität.

China ist nun offiziell Mitglied in der WTO
China ist offizielles Mitglied der WTOBild: AP

Die informelle Macht der Volksvertreter

Den Abgeordneten des Nationalen Volkskongresses kommt hierbei allerdings nur begrenzte Funktion zu. Alle wesentlichen Beschlüsse werden innerhalb des Führungszirkels der Kommunistischen Partei getroffen. Der Nationale Volkskongress ist zwar formell Chinas höchstes Staatsorgan, doch dessen eigentliche Aufgaben übernimmt ein Ständiger Ausschuss aus handverlesenen Politikern. Die Verantwortung der einfachen Abgeordneten beschränkt sich im wesentlichen darauf, die vorher gefassten Beschlüsse offiziell abzusegnen.

Allerdings tragen sie durchaus Anliegen aus der Bevölkerung, sofern diese nicht den politischen Zielvorgaben widersprechen, in die politischen Gremien hinein. Und sie fungieren gelegentlich auch als Stimmungsbarometer, wenn etwa die Zustimmung zu Gesetzesvorhaben oder Rechenschaftsberichten weniger deutlich ausfällt als erwartet. Von dieser Möglichkeit des heimlichen Protests haben die Abgeordneten in den vergangenen Jahren immer wieder Gebrauch gemacht. Allerdings stets in begrenztem Maß.

Vor dem Generationswechsel

Die Jahrestagung des Volkskongresses ist von besonderer Bedeutung, da im nächsten Jahr ein Generationswechsel an der Staats- und Parteispitze bevorsteht. Es wird erwartet, dass sowohl Staatspräsident Jiang Zemin, als auch Premier Zhu Rongji und der unpopuläre Parlamentschef Li Peng ihre Ämter abgeben werden. Als Nachfolger von Jiang ist Vizepräsident Hu Jintao im Gespräch. Zhu Rongji soll, so meinen Insider zu wissen, von seinem Stellvertreter Wen Jiabao beerbt werden. Deshalb wird bei der Tagung in Peking jedes Detail beobachtet: Wer sich wie und wozu äußert, wer von den Kameras des staatlichen Fernsehens in den Mittelpunkt gerückt wird – und nicht zuletzt auch, wer welche Zustimmungsquoten bei den Abgeordneten erhält.

Tabakernte in China
Tabakernte in ChinaBild: AP

Korruption und wachsende Militärausgaben

Die einfache Bevölkerung erregt sich aber vor allem über das Thema Korruption, die trotz einiger Anstrengungen kaum eingedämmt werden konnte, auch deshalb nicht, weil die Korruption bis tief in die Kommunistische Partei und offenbar auch führende Kader hineinreicht.

Für einigen Wirbel sorgte im Ausland die bereits vor Beginn der Jahrestagung bekannt gewordene Steigerung des chinesischen Militäretats um 17,6 Prozent. Dies ist allerdings keine gänzlich neue Tendenz. Chinas Verteidigungsausgaben wachsen schon seit 14 Jahren im zweistelligen Bereich. Und die tatsächlichen Ausgaben dürften sogar noch höher liegen, als im Etat zu erkennen ist. Dies zeigt zum einen, wie stark die Armee im innenpolitischen Kräftespiel der Volksrepublkik China ist.

Chinesische Polizisten
Chinesische PolizistenBild: AP

Zum anderen läßt China durch die hohen Militärausgaben erkennen, dass es seine Stellung als regionale Großmacht nicht nur wirtschaftlich ausbauen will. Das Land ist heute der weltgrößte Waffenimporteur, vor allem dank Lieferungen aus Russland und Israel. Die Anhäufung moderner Waffenarsenale hat viel mit nationalem Prestige zu tun. Sie ist aber auch ein Trend, der vor allem Taiwan beunruhigen dürfte. Peking betrachtet die Insel als abtrünnige Provinz und hat sie mehrfach unter Androhung von Waffengewalt vor einer formalen Unabhängigkeitserklärung gewarnt.