Partnerschaft mit Hindernissen
16. Juli 2014Die Fußball-WM ist vorbei – und mit ihr eine der bisher größten Belastungsproben für Rios öffentlichen Nahverkehr. Erst kurz vor der WM hatte sich Brasiliens zweitgrößte Metropole hierfür Verstärkung aus China geholt: Mehr als 30 Nahverkehrszüge des chinesischen Herstellers CNR sind seit Monaten hier im Einsatz. Züge, mit denen massenweise Fußballfans vom Stadtzentrum ins Stadion von Maracanã und wieder zurück pendelten. Und der Belastungstest ist bestanden: Für die nähere Zukunft plant Rio die Anschaffung weiterer CNR-Züge.
Doch nicht nur CNR, die gesamte chinesische Bahnindustrie freut sich auf Geschäfte mit Brasilien. Diese Woche reist Chinas Staatspräsident Xi Jinping in das aufstrebende südamerikanische Land. Im Vorfeld des Besuchs zeigte sich Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff vom Ausbau des Hochgeschwindigkeitsnetzes in China tief beeindruckt: "Chinas Eisenbahnnetz hat gerade eine rasante Entwicklungsphase erlebt. Die Chinesen haben viel Erfahrung und besitzen ausgereifte Technologien. Damit kann China Brasilien beim Ausbau seines Bahnnetzes helfen.“ Diese Hilfe hätte Brasilien bitter nötig, glaubt Adriano Pires, Wirtschaftsprofessor an der Universität von Rio de Janeiro im Interview mit DW.de. „Brasilien besitzt einen riesigen Nachholbedarf beim Ausbau seiner Infrastruktur. Hier könnten China und Brasilien enger zusammenarbeiten.“
Investition statt Handel
China wurde bereits 2009 zum mit Abstand größten Handelspartner Brasiliens. Im Jahr 2013 lag das bilaterale Handelsvolumen beider Staaten bei mehr als 83 Milliarden US-Dollar und damit rund ein Viertel höher als das mit Brasiliens zweitgrößtem Handelspartner USA. Doch für Jubel sehen Experten trotz dieser eindrucksvollen Zahlen keinen Anlass. Denn es handele sich um eine asymmetrische Handelsbeziehung zwischen ungleichen Partnern, so João Castro Neves, Ökonom der internationalen Wirtschaftsberatung „Eurasia Group“, gegenüber der DW: "Brasilien exportiert vor allem Rohstoffe und erhält dafür Industrieprodukte. Diese Struktur ist eigentlich typisch für eine Nord-Süd-Beziehung" – also eine Kooperation zwischen reichem Industriestaat und armem Schwellenland.
Nachhaltig sei eine solche Beziehung auf Dauer nicht, meint Xie Wenze, Wirtschaftswissenschaftler und Lateinamerika-Experte an der Pekinger Akademie für Sozialwissenschaften (CASS) gegenüber der DW: "Es stimmt, der bilaterale Handel nimmt rasant zu. Aber China will seine Wirtschaft umstrukturieren. Künftig könnte daher Chinas Nachfrage an Rohstoffen wie Eisenerz aus Brasilien sinken." Der chinesische Ökonom hielte es daher für sinnvoll, wenn China und Brasilien den Schwerpunkt ihrer Handelsbeziehungen verlagern würden: weg vom traditionellen Handel und hin zu größeren chinesischen Investitionen in die brasilianische Infrastruktur. Dem stimmt auch João Castro Neves zu: "Eines der Ziele bei den Gesprächen ist es, chinesische Investoren in den brasilianischen Infrastrukturausbau zu locken!"
"Brasilien soll nicht alles auf eine Karte setzen."
Zugleich aber herrscht Skepsis auf brasilianischer Seite. Wirtschaftsprofessor Adriano Pires fordert von der brasilianischen Regierung ein transparentes Regelwerk für ausländische Investitionen. Auch Eurasia Group-Experte Neves warnt, dass China zurzeit zwar Brasiliens wichtigster Handelspartner sei, Brasilien aber dennoch nicht alles auf eine Karte setzen solle.
Tatsächlich gibt es Spannungen in der Partnerschaft. Brasilien ist verärgert über den Umgang Chinas mit dem brasilianischen Flugzeughersteller Embraer. Embraer war ein Joint Venture mit dem staatlichen chinesischen Hersteller AVIC eingegangen. Bald darauf stellte ein Schwesterunternehmen von AVIC einen neu entwickelten Regionaljet vor, der auffallende Ähnlichkeiten zu einem Embraer-Flugzeug aufwies. Mit Sorge betrachtet Brasilia auch den Verlust von Arbeitsplätzen in der brasilianischen Industrie, die mit den billigen chinesischen Importen kaum noch mithalten kann. Und dann treten beide Staaten vermehrt als Konkurrenten um politischen und wirtschaftlichen Einfluss insbesondere im portugiesischsprachigen Afrika auf.
"Es gibt immer noch sehr viele Hindernisse, deswegen ist auf kurze Sicht noch nicht mit großen chinesischen Investitionen in die brasilianische Infrastruktur zu rechnen," erklärt der chinesische Lateinamerika-Experte Xie Wenze. Nach Xies Einschätzung wird es beim Besuch Xi Jinpings "höchstens eine Absichtserklärung" für die künftige chinesisch-brasilianische Zusammenarbeit beim Eisenbahnbau geben.
Der chinesische Staatskonzern CNR muss sich jedoch erst einmal keine Sorgen machen. Einen großen Liefervertrag für mehr als 100 Züge hat er bereits 2013 mit der Regierung von Rio de Janeiro abgeschlossen. Bis zu den Olympischen Spielen 2016 sollen in Rios S- und U-Bahnnetz 80 Prozent der Fahrzeuge „made in China“ sein.