China und Indien: Xi und Modi wagen den Neustart
24. Oktober 2024Am Rande des BRICS-Gipfels im russischen Kasan kamen der indische Regierungschef Narendra Modi und der chinesische Staatchef Xi Jinping zu einem Gespräch zusammen. Beide Politiker setzten darin offenbar einen Neustart der schwierigen diplomatischen Beziehungen in Gang.
Modi und Xi versprachen öffentlich, das Verhältnis der beiden Länder zu verbessern. Zugleich begrüßten sie die jüngsten Fortschritte bei der Lösung von Territorialstreitigkeiten im Himalaya-Gebiet.
Sowohl China als auch Indien seien uralte Zivilisationen, sagte Xi. Beide Länder befänden sich in einer Phase intensiver Entwicklung und Modernisierung. Sie sollten darum an dem Grundsatz festhalten, "Partner nicht Konkurrenten" zu sein. Modi rief zu "gegenseitigem Vertrauen, gegenseitigem Respekt und gegenseitiger Sensibilität" zwischen den beiden bevölkerungsreichsten Nationen der Welt auf.
Grenzkonflikte lösten Krise aus
Die Gespräche zwischen Xi und Modi fanden vor dem Hintergrund einer kürzlich getroffenen Vereinbarung über die Überwachung eines abgelegenen und zwischen beiden Staaten umstrittenen Grenzgebiets in der Himalaya-Region statt. Zwar ist die Rivalität zwischen den beiden asiatischen Mächten traditionell groß. Aber Zusammenstöße ihrer Truppen ließen die diplomatischen Beziehungen auf den Nullpunkt sinken.
Im Juni 2020 starben bei einem Grenzkonflikt Agenturberichten zufolge 20 indische sowie eine unbekannte Anzahl chinesischer Soldaten. Seitdem haben Modi und Xi keine offiziellen direkten Gespräche mehr geführt - und das, obwohl sie am Rande anderer internationaler Konferenzen einander kurz begegneten.
Die nun bekanntgegebene Grenzvereinbarung wird es den indischen Truppen ermöglichen, die Patrouillen auch an den beiden wichtigsten Reibungspunkten, Depsang und Demchok, wieder aufzunehmen. Einzelheiten wurden bislang zwar nicht bekannt. Bemerkenswert ist aber, dass China in seinem Bericht über das Treffen zwischen Modi und Xi nicht das Wort "Vereinbarung" verwendete, sondern von einem "wichtigen Fortschritt bei der Lösung relevanter Fragen" sprach. "Modi legte Ideen und Vorschläge zur Verbesserung und Entwicklung der bilateralen Beziehungen vor, denen Xi Jinping im Prinzip zustimmte", schrieb die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua.
Peking und Neu-Delhi würden sich zunächst auf die Entspannung der Lage konzentrieren, bevor sie zu "gegebener Zeit" die Deeskalation und den Rückzug von Truppen umsetzen, sagte der indische Außenminister Vikram Misri. "Wir werden uns kontinuierlich darum bemühen, dass die Mechanismen des Abkommens so gestaltet werden, dass Zusammenstöße beendet werden können", so Misri weiter.
Moskau als Vermittler
Experten begrüßen die Unterredung zwar, zeigen sich hinsichtlich der Ergebnisse aber zurückhaltend. "Es scheint, dass die Bemühungen dieses Mal zu einem Durchbruch geführt haben", sagt Alka Acharya, Ehrendirektorin des Instituts für Chinastudien in Indien, im DW-Interview. Allerdings gelte es nun, den Dialog fortzusetzen und auf eine Verbesserung der Beziehungen hinzuarbeiten. "Die multilateralen Gruppierungen sind auch für Indien eine wichtige Plattform, die es nicht ganz an China abtreten kann. Und Russland ist ein sehr wichtiger Partner."
Hinter den Kulissen dürfte die BRICS-Gruppe bei der Überbrückung der Kluft zwischen Peking und Neu-Delhi eine wichtige Rolle gespielt haben, so Archaya weiter. Die wichtigsten Impulse könnte Russland gesetzt haben. Die Gründe für die Unterstützung lägen auf der Hand: "Wenn Indien und China nicht in der Lage sind, miteinander zu reden, würde das den BRICS-Staaten den Boden unter den Füßen wegziehen. Auch im Forum der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) entstünde eine klaffende Lücke".
Die BRICS-Gruppe setzte sich ursprünglich aus fünf großen Schwellenländer - Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika - zusammen. Damit repräsentiert sie über 40 Prozent der Weltbevölkerung und fast ein Drittel der Weltwirtschaft. Im vergangenen Jahr erweiterte sich die Gruppe. Sechs neue Länder - Ägypten, Äthiopien, Argentinien, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und der Iran - traten ihr bei.
Impulse aus Russland
Während China und Russland die BRICS als Gegengewicht zu den USA und den G7-Staaten propagieren, sind die anderen Mitglieder eher zurückhaltend. In ihren politischen Systemen unterscheiden sich die Mitgliedstaaten deutlich: Indien, Brasilien und Südafrika sind Demokratien, China und Russland hingegen Autokratien. Diese und weitere Differenzen halten die BRICS davon ab, als geschlossene politische oder wirtschaftliche Einheit aufzutreten.
Srikanth Kondapalli, Professor für Chinastudien an der Jawaharlal Nehru University, weist darauf hin, dass sich China mit mehreren Problemen konfrontiert sehe - so etwa wirtschaftlichem Gegenwind, einer wachsenden Entfremdung gegenüber dem Westen, Unsicherheit über den Kurs des nächsten US-Präsidenten und territorialen Streitigkeiten in der Nachbarschaft. "Russland begrüßt es, dass Indien und China zusammenkommen. Denn so ließen sich das multipolare Lager erweitern, Sanktionen neutralisieren und die Abhängigkeit vom US-Dollar als Reservewährung verringern", so Kondapalli zu DW.
Kooperation auf vielen Feldern
Das Treffen zwischen Modi und Xi in Kasan könnte den Weg für eine Normalisierung in vielerlei Hinsicht ebnen, sagt Sujan Chinoy, Leiter des Manohar Parrikar Institute for Defense Studies and Analyses, im DW-Interview.
"Die Wiederaufnahme von Direktflügen, die Beseitigung des Handelsdefizits und der Ausbau bei der Visumvergabe zwischen Indien und China könnten erheblich zur Normalisierung der Beziehungen beitragen", so der ehemalige Diplomat weiter. Die BRICS-Gruppe erlaube es Indien und China, ein politisches Forum miteinander zu teilen. Das gelte auch mit Blick auf die Entwicklungsprioritäten des globalen Südens. Dieser erwarte von beiden asiatischen Giganten eine Führungsrolle.
"In den letzten Jahren ist der multilaterale Raum für die Zusammenarbeit zwischen Indien und China geschrumpft. BRICS und die SCO können dazu beitragen, dass die beiden Länder bei wichtigen Themen wie Terrorismusbekämpfung, Klimawandel und Reformen globaler Institutionen wieder Boden gut machen", so Chinoy.
Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp