Vom Kopierer zum Innovator
19. November 2018Kopieren war gestern. Seit 2011 ist China bei Patentmeldungen auf Platz eins weltweit. 2016 wurden in China mehr Patente angemeldet als in den USA, der Europäischen Union, Japan und Südkorea zusammen.Das bedeute keineswegs, dass das Reich der Mitte bereits innovativer sei als alle zusammen, der Grund liege an einer besonderen Vorliebe der Chinesen: "Die chinesischen Unternehmen melden viele kleine Zwischenschritte an, während man bei den deutschen Unternehmen eher abwartet, bis man sicher ist, dass es eine gute Erfindung ist", sagt Rechtsanwalt Thomas Escher von der Kölner Kanzlei Dompatent auf einer Podiumsdiskussion in der Kölner Industrie und Handelskammer.
Dass China in Sachen Innovation gewaltig aufgeholt hat, kann Christian Haessler von der Covestro AG – ehemals Bayer MaterialScience - nur bestätigen. "Wir haben in der Vergangenheit viel Technologietransfer von Deutschland nach China gemacht, haben aber in der Zwischenzeit ein Team in China, das jederzeit Innovation fast auf dem Level Deutschlands machen kann", sagt der Manager, der bei Covestro für Nachhaltigkeit zuständig ist und jahrelang das Forschungszentrum in Shanghai leitete. Deutschland und China seien im Bereich Forschung und Innovation keine Wettbewerber, sondern könnten einander perfekt ergänzen. Deutschland sei immer noch eine fantastische Technologienation, habe "fantastischen Infrastrukturen, die sehr eng mit der Industrie zusammenarbeiten, aber China ist schnell, pragmatisch und flexibel", sagt Haessler am Deutsch-Chinesischen Wirtschaftstag, der Mitte November von der Deutsch-Chinesischen Wirtschaftsvereinigung in der IHK Köln veranstaltet wurde. Es gelte, die Vorteile von beiden Seiten miteinander zu verbinden.
Chinesische Firmen forschen in Deutschland
Dass das möglich ist, zeigt das Beispiel vom chinesischen Unternehmen Yanfeng Automotive Interiors, ein weltweit führender Anbieter automobiler Innenausstattung. Während Covestro Produktions- und Forschungsstätte in China hält, eröffnete Yanfeng Anfang 2018 ein Innovationszentrum in Neuss. Warum gerade Neuss? "Neuss hat zwei internationale Flughäfen in der Nähe, ist gut angebunden an Schienennetz und Autobahnen", erklärt Zhao Yanning, die sich in dem Zentrum mit Mensch-Maschinen-Schnittstellen befasst. Zudem habe NRW eine gute Forschungslandschaft, so dass die Firma auf die Talente an den Instituten und Universitäten zurückgreifen könne. Ihr Team bestehe nur aus Deutschen. "Wir haben ein sehr ambitioniertes Ziel, der führende Zulieferer für die automobile Innenausstattung zu werden", sagt Zhao in Köln. Was das mobile Internet anbelangt, habe China Deutschland abgehängt, doch in der Materialforschung habe Deutschland immer noch die Nase vorn.
Während Yanfeng am Innenraum des Autos von morgen arbeitet, bastelt das chinesische Startup-Unternehmen NIO am Automobil der Zukunft. Dabei konzentriere sich die Forschungsarbeit auf das autonome Fahren. "Wer es schafft, das Auto vollautonom auf die Straße zu bringen, hat die Deutungshoheit", sagt Philipp Kemmler-Erdmannsdorffer, NIO-Kommunikationschef in Deutschland. Mit der Technik aus dem Silicon Valley, dem Design aus München und dem Geld aus China will das gerade vier Jahre junge Unternehmen es mit Tesla aufnehmen. Der smarte Kommunikationschef sieht einen Unterschied im Bereich Innovation zwischen China und Deutschland: "Wir haben in China viel mehr 'try and error'. Das zieht sich bis zu den Startups. Das heißt, dass wir viel mehr innovationstreibende Ansätze haben. Daraus rekrutieren wir die verschiedenen Materialien fürs Fahrzeug und die verschiedenen digitalen Lösungen."
Innovationen schützen
Ob in China und Deutschland: Wenn einem Forscherteam ein Durchbruch gelingt, gilt es, die neue Technik schützen zu lassen. In China ist nicht nur die Zahl der Patentanmeldungen explodiert, auch die Zahl der Patentklagen ist in den letzten Jahren stark angestiegen. 99 Prozent davon seien innerchinesische Fälle, berichtet Rechtsanwalt Escher. Das zeige, dass die Chinesen auf den Rechtsweg vertrauen.
Schützenswert sind nicht nur die Erfindungen, sondern auch das Knowhow in den Köpfen der Mitarbeiter. Den deutschen Unternehmen, die in dem asiatischen Land aktiv sind, bereitet von daher die relativ hohe Fluktuation der Mitarbeiter Kopfzerbrechen. "Dort verliert eine Firma jährlich fünf bis zehn Prozent der Belegschaft. Das sind Know-how-Träger. So wird das betriebsinterne Wissen leicht mitgenommen", sagt Escher. Er rät den deutschen Unternehmen, es den Chinesen nachzumachen und auch die kleineren technischen Fortschritte als Patente anzumelden.