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Chinas Quantensprung - Made in Germany

Esther Felden
13. Juni 2023

Deutschlands älteste Universität forscht seit 20 Jahren mit einer chinesischen Elite-Hochschule zur Quantenphysik. Die pflegt Kontakte zur Rüstungsindustrie. Jetzt steht alles auf dem Prüfstand.

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Dezember 2020: Ein chinesisches Forscherteam um Starwissenschaftler Pan Jian-Wei präsentiert den Quantencomputer-Prototypen 'Jiuzhang"
Dezember 2020: Ein chinesisches Forscherteam um Pan Jian-Wei präsentiert den Prototypen eines QuantencomputersBild: Xinhua/picture alliance

Das Rednerpult ist mit rosafarbenen und weißen Plastikblumen geschmückt. Dahinter spricht ein Mann über ein Laser-Radarsystem zum Aufspüren von Tarnkappenflugzeugen, an dem China forscht. Es ist Dezember 2020, Corona-Lockdown.

Die 'Vereinigung für Wissenschaft und Technologie Xinjiang' veranstaltet einen virtuellen Vortrag über die Erfolgsgeschichte der chinesischen Quantenforschung. Das knapp 20-minütige Video findet sich im Netz.

Warum die Quantenforschung wichtig sei für Xinjiang, will ein junger Mann wissen. Die Provinz im Nordwesten Chinas sei ein "Schlachtfeld gegen den Terrorismus", antwortet der Dozent. Er ist technischer Direktor des Start-ups Quantum CTek am Standort Xinjiang. 

In seiner langen Antwort spricht der Direktor von einer großen "Herausforderung für unsere Verteidigung" vor allem bei der Informationssicherheit – weil "feindliche Kräfte im Westen" China schaden wollten, "indem sie interne Informationen ausgraben und stehlen".

In der Tat haben große Datenleaks wie die 'Xinjiang Police Files' und die 'China Cables' dokumentiert, wie umfassend der chinesische Staat die muslimische Minderheit der Uiguren überwacht und drangsaliert.

Hochsicherheitsanlage in Hotan mit Wachturm und Stacheldrahtzaun
China spricht von "Ausbildungszentren" für Uiguren - Fotos sprechen eine andere SpracheBild: Greg Baker/AFP

Die Lösung des Problems, findet der Repräsentant von Quantum CTek, liege in Quantenkommunikationstechnologien – in der sicheren, quantenverschlüsselten Speicherung und Übermittlung von Informationen. Damit unterstütze man "das Gesamtziel der stabilen und dauerhaften Sicherheit unserer Gesellschaft".

Was der Online-Vortrag in Xinjiang mit dem weit entfernten Heidelberg und der ältesten Universität Deutschlands zu tun hat – darum geht es hier. Das Investigativ-Team der DW und das Recherchezentrum CORRECTIV zeichnen die Geschichte einer zwanzigjährigen wissenschaftlichen Partnerschaft nach, die mit großer Begeisterung begann und jetzt in Frage steht.

Im Mittelpunkt stehen die Universität Heidelberg und der chinesische Quantenphysiker Pan Jian-Wei. Er ist Mitgründer von Quantum CTek.

Talentschmiede Heidelberg

Pan Jian-Wei startet seine Physiker-Karriere an der University of Science and Technology of China, kurz USTC. An der Eliteuniversität in der Millionenstadt Hefei macht er seinen Master, bevor es ihn Mitte der 1990er Jahre wegen besserer Forschungsmöglichkeiten in der experimentellen Physik nach Österreich zieht. Hier promoviert er beim späteren Nobelpreisträger Anton Zeilinger.

Pan Jian-Wei 2016 in einem Labor der USTC in Shanghgai
2018 zählt das US-amerikanische 'Time'-Magazin Pan Jian-Wei zu den 100 einflussreichsten Menschen der Welt Bild: Xinhua/IMAGO

Im Sommer 2003 zieht er dann nach Heidelberg um. Hier, im Südwesten Deutschlands, prallen Vergangenheit und Zukunft aufeinander. Die malerische 160.000-Einwohner-Stadt mit ihrer 1386 gegründeten Hochschule lockt Forscher aus aller Welt an. Einen besonderen Namen hat sich das Physikalische Institut gemacht: als Top-Adresse in der Grundlagenforschung zur Quantenphysik.

"Pan war immer interessiert an fundamentalen Fragestellungen und wie man daraus vielleicht auch einmal Technologie entwickeln kann", erinnert sich sein ehemaliger Kollege Jörg Schmiedmayer. Die Frage sei für ihn damals gewesen, wie und über welche Distanzen man sichere Kommunikation realisieren könne.

Vermutlich wird die Quantenforschung die Welt stärker verändern als das Internet. "Ich glaube fest daran, "dass diese aufkommenden Technologien der Menschheit letztendlich umfassende Vorteile bringen werden", betont Pan Jian-Wei in einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber DW und CORRECTIV.

Doch auch militärisch haben Quantentechnologien großes Potenzial – vor allem für Spionage, Aufklärung und Überwachung.

Pans Grundlagenforschung im Bereich Quantenkommunikation gilt als exzellent, er wird in Heidelberg mit wichtigen Preisen ausgezeichnet und erhält Fördergelder in Millionenhöhe.

Schon damals sei er ein "absoluter Star" gewesen, sagt der geschäftsführende Direktor des Physikalischen Instituts, Norbert Herrmann. Nicht zuletzt durch ihn sei es gelungen, das Forschungsfeld Quantum "in der Tiefe" zu etablieren. "Das hat natürlich den Stellenwert des Instituts auf der internationalen Skala hochgeschraubt."

Umworbener Partner China

Überhaupt: Es ist eine Zeit, in der China in Deutschland als wichtiger Handelspartner zunehmend gefragt ist. Wissenschaftliche Kooperationen sind politisch und wirtschaftlich ausdrücklich erwünscht.

Pan kann ungestört seine Forschungsgruppe aufbauen. Immer wieder reist der eifrige Netzwerker auch zurück nach Hause.  Er rekrutiert neun junge chinesische Quantenforscher, um sie in Heidelberg weiter auszubilden. Auch sie erhalten finanzielle Förderung.

"Wir haben gemeinsam fünf, sechs Jahre an richtig coolen fundamentalen Dingen geforscht", sagt Wegbegleiter Schmiedmayer über diese Heidelberger Zeit. Die Zusammenarbeit habe "einen ordentlichen Impact gehabt".

Luftaufnahme von Heidelberg
Spitzenforschung vor historischer Kulisse: Heidelberg beheimatet eine von zehn deutschen ExzellenzuniversitätenBild: Stefan Czimmek/DW

Abschied aus Heidelberg

2008 zieht es Pan zurück nach Hause. Aus der Liebe zu seinem Heimatland hat er nie einen Hehl gemacht. Er nimmt nicht nur einige seiner Zöglinge mit, sondern auch Forschungsprojekte und sein Labor. Er lässt Geräte wie Laser nach Hefei transportieren, wo die USTC ihren Hauptcampus hat.

Dabei hat die EU seiner Heidelberger Forschungsgruppe gerade erst eine weitere Projektförderung über 1,4 Millionen Euro bewilligt. Laufzeit: fünf Jahre.

Seit Pans Rückkehr verkündet China immer wieder neue Errungenschaften in der Quantenkommunikation, dem am weitesten fortgeschritten Anwendungsbereich der Quantenforschung. 2016 beispielsweise schießen Pan und sein Team den ersten Quantensatelliten ins Weltall. Im Herbst 2017 stellen sie über diesen Micius-Satelliten die erste abhörsichere Videokonferenz zwischen Peking und Wien her.

NUDT – eine verdächtige Abkürzung

Der Zusammenarbeit mit Heidelberg tut Pans Rückkehr nach China keinen Abbruch, wie Verträge und Dokumente der Universität Heidelberg belegen, die DW und CORRECTIV vorliegen. Die Hochschule ernennt Pan 2009 zum Honorarprofessor, er schickt weiter Talente nach Deutschland. 2011 unterschreiben die beiden Universitäten schließlich einen Vertrag über den Austausch von Studenten und Lehrpersonal.

Fünf Jahre später wird der Aufbau eines gemeinsamen Quantenforschungszentrums in China geplant – unter Leitung von Pan und Professor Matthias Weidemüller aus Heidelberg.

In der Präambel des Vertrags, der 2017 unterzeichnet wird, taucht ein Name auf, der Fragen aufwirft: als Partner gelistet wird die 'National University of Defense Technology' (NUDT). Die wichtigste Militäruniversität Chinas untersteht direkt der Zentralen Militärkommission, angeführt von Präsident Xi Jinping.

In den Planungen damals hätte die NUDT "keine Rolle" gespielt, teilt die Universität Heidelberg auf Nachfrage schriftlich mit. In einer späteren Phase wären die Zusammenhänge "sicher genauer hinterfragt" worden. Unter heutigen Bedingungen würde Heidelberg "ein Agreement in dieser Form nicht mehr abschließen".

Bis jetzt wurde das ambitionierte Gemeinschaftsprojekt nicht realisiert – und dabei wird es vermutlich bleiben. Denn inzwischen ist aus dem umworbenen Partner China ein "systemischer Rivale" Deutschlands geworden, der politisch auf der Weltbühne zunehmend selbstbewusst auftritt.

Hinter den Kulissen streitet die Bundesregierung seit Monaten über ihre neuen China-Strategie. In einem im vergangenen November geleakten Entwurf aus dem Auswärtigen Amt heißt es wörtlich mit Blick auf die Wissenschaft: "Die chinesische Politik der zivil-militärischen Fusion setzt unserer Zusammenarbeit dort Grenzen, wo sie Chinas Fähigkeiten zur Projektion militärischer Fähigkeiten nach außen oder zur Repression nach Innen stärken würde."

Ein deutscher Physiker in Shanghai

Noch immer ist Pan Jian-Wei Honorarprofessor am Physikalischen Institut in Heidelberg. Dort, im Institut, empfängt Matthias Weidemüller DW und CORRECTIV zum Interview. Er lehrt seit 2008 in Heidelberg – dem Jahr, in dem Pan abreist. Dennoch zählt er heute zu Pans wichtigsten Partnern an Deutschlands ältester Universität.

Professor Matthias Weidemüller im Interview mit DW und CORRECTIV
2016 wird Matthias Weidemüller von der Lokalregierung in Hefei mit dem "Freundschaftspreis" ausgezeichnet Bild: Stefan Czimmek/DW

Weidemüller vergleicht sich mit einem "scheuen Reh", in seiner Forschung möchte er "am liebsten irgendwie vor sich hinbröseln." Bereitwillig nimmt der Quantenphyhsiker die Reporterinnen mit in sein Labor, er zeigt gern, wie dort gearbeitet wird. Als Grundlagenforscher habe er klare Regeln: "Dazu gehört die Transparenz, dazu gehört die Öffentlichkeit."

2013 erhält er das Angebot, im Rahmen des umstrittenen chinesischen '1000-Talente-Programms' an der USTC zu lehren. Ein lukratives Angebot zur Spitzenforschung in China. Weidemüller greift zu. Aus Neugier auf den Wissenschaftsstandort China,  wie er sagt. Einige andere westliche Forscher äußern Bedenken und lehnen ab. Weidemüllers Ernennungszeremonie zum 1000-Talente-Professor wird von Pan Jian-Wei geleitet.

Pan selbst betont gegenüber DW und CORRECTIV, "dass die Förderung des akademischen Austauschs und die Ausbildung von Talenten über Ländergrenzen und kulturelle Unterschiede hinweg für die gesunde Entwicklung der Wissenschaft von entscheidender Bedeutung ist, da sie einen tiefgreifenden Einfluss auf das Wohl der Menschheit hat." Davon sei er seit seiner Zeit in Europa überzeugt.

Am 'Hefei National Laboratory for Physical Sciences at the Microscale' (HFNL) am USTC-Standort in Shanghai bekommt Matthias Weidemüller ein eigenes Labor. Bis 2018 verbringt er etwa zwei Monate pro Jahr in China. Danach bleibt er der USTC als Honorarprofessor treu. Zuletzt war er 2019 dort – vor Ausbruch der Corona-Pandemie.

Rote Linien

Er habe für sich klare Randbedingungen abgesteckt, erklärt Weidemüller. "Mir redet niemand rein über das, was ich forsche". Die wissenschaftliche Freiheit ist ihm wichtig. "Wir stellen Fragen an die Natur. Wir versuchen wirklich zu verstehen: wie funktioniert die Natur?"

Luftaufnahme des Physikalischen Instituts der Universität Heidelberg
Derzeit werden am Physikalischen Institut in Heidelberg zwei von Pans Doktoranden betreutBild: Stefan Czimmek/DW

Weidemüller brennt für die Grundlagenforschung, mögliche spätere Anwendungen blendet er aus. Mit der Begründung, diese habe man "natürlich als Grundlagenforscher nicht im Blick".

Selbstverständlich kennt Weidemüller – der seit 2019 in Heidelberg zudem Prorektor für Innovation und Transfer ist – das Potenzial der Quantenforschung auch für den militärischen Bereich. Doch, so sagt er, "durch die Art und Weise, wie man forscht, kann man ja selber festlegen, wie nah oder wie weit weg man von Anwendung ist."

Einsatz in Xinjiang

An der USTC arbeiten heute neben Pan elf weitere Rückkehrer aus Heidelberg. Einige leiten nationale Forschungsprojekte, andere sind an Start-ups beteiligt, die auch militärische Kontakte pflegen.

Pan-Jian Wei selbst gehört kurz nach seiner Rückkehr aus Heidelberg zu den Mitgründern von Quantum CTek, und er ist nach der USTC bis heute der zweitgrößte Aktionär. In China selbst ist die Firma unter dem Namen "Guodun Quantum" bekannt – was so viel heißt wie "Quanten-Schutzschild der Nation".

In einem Bericht für die Börse in Shanghai gibt das Unternehmen im Juni 2022 selbst an, an "mehreren militärischen Projekten" zu arbeiten. Neben dem Hauptsitz in Hefei hat Quantum CTek sechs weitere Standorte, darunter die 2017 gegründete Zweigstelle in Xinjiang.

Xinjiang: Chinas muslimische Minderheiten

Sich ausgerechnet in so einer militarisierten Region niederzulassen, sei sicher "kein Zufall" und "moralisch verwerflich", findet Yangyang Cheng. Die chinesisch-stämmige Teilchenphysikern hat selbst an der USTC studiert, lebt aber seit mehr als 10 Jahren in den USA und arbeitet an der Elite-Universität Yale: "Die Tatsache, dass ein so junges Unternehmen dort eine Zweigstelle eröffnen kann, legt nahe, dass es sehr, sehr enge Kontakte zum chinesischen Sicherheitsstaat gibt."

Er wisse nicht, warum Quantum CTek eine Niederlassung in Xinjiang habe, antwortet Pan Jian-Wei auf Nachfrage von DW und CORRECTIV. Tatsächlich sei er seit 2011 "außer als Anteilseigner nicht mehr an der Leitung des Unternehmens beteiligt". Das Start-up selbst ließ alle Nachfragen unbeantwortet.

Der Strider-Report

Ende 2019 legt ein Bericht der US-amerikanischen Sicherheitsfirma Strider offen, dass Pan und die USTC Kontakte zur chinesischen Rüstungsindustrie unterhalten. Die Universität Heidelberg, heißt es dort außerdem, sei "der wohl wichtigste ausländische Partner hinter Chinas schnellem Fortschritt bei Dual-Use Quantentechnologien."

Pan erklärt gegenüber DW und CORRECTIV schriftlich, dass seit seiner Rückkehr aus Europa 2008 "keines seiner Projekte vom Militär unterstützt wird."

Pan Jianwei im März 2018 bei der politischen Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes in der Großen Halle des Volkes in Peking
Pans Verbindungen zur Rüstungsindustrie trüben das Bild des AusnahmeforschersBild: Zhang Yuwei/ZUMAPRESS/picture alliance

Gleichzeitig räumt er ein, "dass die Entwicklung jeder Technologie für militärische Zwecke genutzt werden kann."

Das entscheidende Wort seines Kernarguments schreibt er extra in Großbuchstaben: "Selbst wenn bestimmte Technologien militärisch genutzt werden können, ist das etwas, was KEIN Wissenschaftler kontrollieren oder vorhersagen kann."

Sanktionen gegen Quantum CTek

Im November 2021 verhängen die USA Sanktionen gegen das Quantenkommunikations-Start-up, das Pan und die USTC gemeinsam gegründet haben. Begründung: Quantum CTek gehöre zu den chinesischen Technologie-Unternehmen, die "die militärische Modernisierung der Volksbefreiungsarmee unterstützen". Weiterer Vorwurf: der "Erwerb und versuchte Erwerb von US-Gütern zur Unterstützung militärischer Anwendungen."

Weiterführende Auskünfte erteilen die US-Behörden trotz mehrerer Anfragen nicht. Seit Jahren liefern sich China und die Vereinigten Staaten einen erbitterten Wettstreit um die Quanten-Vorherrschaft.

Zusammen mit Quantum CTek landet auch das HFNL auf der schwarzen Liste – das große Labor der USTC, zu dem auch Matthias Weidemüller gehört. Gleichgültig könne ihm das nicht sein, sagt er, "da wäre man ja weltfremd, wenn einem das egal wäre." Doch er betont erneut, dass seine Grundlagenforschung weit weg sei von den Anwendungen einer Firma wie Quantum CTek.

Ein Briefing bei der NATO

Keine drei Monate nach den US-Sanktionen interessiert sich im Februar 2022 auch die NATO für die anwendungsorientierte Forschung aus dem Umfeld der USTC. Der für die Kriegsführung der Zukunft zuständige Kommandobereich lässt sich eine Stunde lang online über Chinas Quantensprung briefen, erfahren DW und CORRECTIV aus informierten Kreisen.

Xi Jinping schüttelt einem Wissenschaftler die Hand, rechts neben dem Präsidenten ist Pan Jian-Wei zu sehen
Hoher Besuch: 2016 ist der chinesische Präsident Xi Jinping zu Gast an der USTCBild: Li Xueren/Photoshot/picture alliance

In dem Webinar geht es auch um die Verbindungen zwischen der USTC und der Uni Heidelberg. Um Quantum CTek und um große Rüstungsfirmen wie die China Electronics Technology Corporation (CETC).

CETC bezeichnet sich selbst als "das mächtigste nationale Zentralunternehmen auf dem Gebiet der Verteidigungselektronik (und) Sicherheitselektronik". Der Rüstungskonzern ist unter anderem verantwortlich für die in Xinjiang eingesetzte Polizei-App, mit der Uiguren auf Schritt und Tritt überwacht werden. CETC ist auch ein wichtiger Partner von Quantum CTek.

Das Netzwerk wächst. Im Frühjahr 2018 schließen USTC und CETC einen offiziellen wissenschaftlichen Kooperationsvertrag, der die Quantenforschung einschließt. Für die Hochschule unterzeichnet Pan Jian-Wei, er ist inzwischen Vizepräsident der USTC. Die Hochschule reagiert nicht auf Anfragen.

Pan selbst rechtfertigt sich: "Was wirklich zählt, ist, dass ich mich darauf konzentriere, Wissen und Kreativität voranzutreiben, um Menschen und die Gesellschaft bestmöglich zu unterstützen."

Forschungsfreiheit und Verantwortung

Doch Deutschland und die EU sehen wissenschaftliche Kooperationen mit China inzwischen kritisch. Das wird DW und CORRECTIV auch aus EU-Kommissionskreisen bestätigt. Bei Innovationen, die einen "hohen technologischen Entwicklungsstand aufweisen und näher am Markt" sind, liege eine Zusammenarbeit mit chinesischen Einrichtungen "nicht im Interesse der EU".

Die Entwicklungen erzeugen Druck auch in Heidelberg. Dort gibt es seit Anfang 2022 eine Stabsstelle Exportkontrolle, die dafür zuständig ist, internationale Forschungsprojekte auf eine mögliche militärische Nutzung zu überprüfen.

Deutschlands älteste Universität ringt mit einer Grundsatzfrage: Kann Zusammenarbeit funktionieren, wenn die Partner "eine Nähe zu Militäreinrichtungen haben, die sie möglicherweise auch vom System her kaum vermeiden können?" Anja Senz soll das mitbeantworten. Die Sinologin sitzt wie Matthias Weidemüller im Heidelberger Rektorat.

Die Partnerschaft mit der USTC hält die Professorin für "ein ganz tolles Fallbeispiel, um daran zu lernen, wie sich eigentlich Dinge entwickeln". Senz möchte nicht "per se rote Linien definieren", dennoch will sie "technologische Implikationen" kritisch reflektieren.

Portrait Anja Senz, Sinologin und Prorektorin für Studium und Lehre an der Universität Heidelberg
Sinologin Anja Senz will "technische Implikationen" kritisch reflektieren Bild: Stefan Czimmek/DW

Direkt angesprochen auf Pan Jian-Wei sagt Senz, dass man den Werdegang einer Person "kritisch begleiten muss und sich dann irgendwann auch fragen muss: Was spielt die Person für eine Rolle in diesem System?"

Matthias Weidemüller weicht Fragen zu Pan aus. Er hält nichts von einem abrupten Abbruch der Beziehungen – selbst auf die Gefahr hin, dass aus Grundlagenforschung "irgendwann irgendwie durch irgendjemanden etwas erwächst, was dann nicht den Intentionen folgt, die man selbst hatte".

Er kann sich auch vorstellen, noch einmal nach China zu gehen – wenn die Rahmenbedingungen stimmen. "Sollen wir aufhören, uns weltweit über die großen Fragen der Natur auszutauschen?"

Eine einfache Antwort darauf gibt es nicht. Fakt ist, dass China bis 2049 die modernste Armee der Welt haben will. Ein Mittel zum Zweck: der Technologie-Transfer durch Wissenschaftskooperationen mit dem Westen.

Quantenforschung spielt dabei eine wichtige Rolle – mit dem erklärten Ziel, "Errungenschaften der zivilen Grundlagenforschung in militärische Anwendungen" zu verwandeln. So steht es im 13. Fünfjahresplan der Kommunistischen Partei Chinas zur zivil-militärischen Verschmelzung von Wissenschaft und Technologie.

Redaktionelle Mitarbeit: Li Shitao, Teri Schultz sowie eine DW-Kollegin, die aus Sicherheitsgründen nicht namentlich genannt werden möchte

Redaktion: Sandra Petersmann