Chinesische Börsen locken ausländische Investoren
15. Juli 2005
Vor vier Jahren hatte sich der Shanghai Composite Index zu einem Höchststand von mehr als 2200 Punkten hochgeschwungen. Mitte 2001 begann dann der Einbruch: Heute hält sich der Index knapp über 1000 Punkten.
Auffällig ist, dass die Entwicklung der chinesischen Finanzmärkte in keiner Beziehung zur wirtschaftlichen Entwicklung zu stehen scheint - im Gegensatz etwa zu der Entwicklung in den westlichen Industrieländern beim Platzen der "Technologieblase". Während der Aktienindex die Hälfte seines Wertes verlor, wuchs die chinesische Wirtschaft jährlich um mehr als neun Prozent.
Korruption lähmt Aufsichtsbehörden
Probleme bei der Regulierung der Finanzmärkte gehören zu den wichtigsten Gründen. Zwar befinden sich auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene Kontrollinstanzen, die den Zugang zu den Börsen regeln. Allerdings lähmen Korruption und falsche Angaben seitens der Unternehmen ihre Arbeit. Auch nach der Zulassung zu den Märkten fehlt es an einer effektiven Kontrolle.
Ein weiteres Hindernis besteht darin, dass die chinesische Regierung "zugleich Spieler und Schiedsrichter" ist, wie es der China-Experte George Zhibin Gu beschreibt. Zum Erbe der Planwirtschaft, die erst 1978 zugunsten marktwirtschaftlicher Reformen aufgegeben wurde, gehören zahlreiche staatliche Unternehmen. Viele von Ihnen sind an der Börse notiert, während der Staat als Mehrheitsaktionär weiter den Einfluss auf die Unternehmensführung hat. So entfällt die sonst übliche Verantwortung gegenüber den Investoren.
Preisverfall befürchtet
Um einen größeren Einfluss des Marktgeschehens auf die einzelnen Unternehmen zu bewirken, müssen die bislang vom Staat gehaltenen Anteile an die Börse gebracht werden. Dieser Schritt führt zu neuen Problemen. Die Regierung in Peking hält mehr als 66 Prozent der Anteile an den in Schanghai notierten Unternehmen. Wenn diese Anteile, die bisher nicht gehandelt wurden, den freien Markt erreichen, ist ein neuer Preisverfall zu befürchten.
Dennoch hat sich die chinesische Regierung jetzt dazu entschlossen, Anteile im Wert von mehr als 200 Milliarden Dollar auf den Markt zu bringen. Schon einmal hat sie sich damit die Finger verbrannt: Vor vier Jahren musste eine ähnliche Initiative gestoppt werden, weil die Börsen innerhalb kürzester Zeit 30 Prozent ihres Wertes verloren. Auch diesmal gingen die Indizes in Schanghai und Shenzhen nach der Ankündigung in die Knie.
Mehr ausländische Anleger
Um den chinesischen Aktienmarkt dennoch wieder auf Wachstumskurs zu bringen, schaut Peking einmal mehr ins Ausland. Der Zugang für ausländische Investoren ist grundsätzlich streng limitiert. Nur einige wenige Banken und andere Finanzdienstleister sind als "qualifizierte institutionelle Anleger" (QFII) an den Börsen im Land zugelassen. Sie müssen jeweils über ein Vermögen im Wert von mehr als zehn Milliarden Dollar verfügen und eine lange Erfahrung in ihrem Tätigkeitsbereich nachweisen.
Bislang ist das Handelsvolumen dieser Unternehmen auf insgesamt vier Milliarden Dollar begrenzt. Dieser Betrag wird anhand von Quoten auf die einzelnen Firmen aufgeteilt. So hält etwa die schweizerische UBS mit 800 Millionen Dollar das größte Kontingent.
Mehr Handelsvolumen
Jetzt hat die chinesische Aufsichtsbehörde angekündigt, das Volumen für ausländische Börsenaktivitäten auf zehn Milliarden Dollar zu erhöhen. Die Nachfrage sei da, sagen Analysten - und hoffen, dass der Impuls aus dem Ausland die Kurse wieder steigen lässt.
Tatsächlich haben Banken wie Credit Suisse First Boston, die Citigroup und Merrill Lynch bereits Interesse an einer Erhöhung ihrer Quoten signalisiert. Zugleich werden Stimmen laut, die in den niedrigen Kursen eine gute Möglichkeit zu einem Neueinstieg sehen.
Gegenläufige Reformen
Letztlich hat der chinesische Aktienmarkt zwei gegenläufige Entwicklungen zu verarbeiten: Einerseits eine Schwemme ehemals staatlicher Aktien, die einen beträchtlichen Preisdruck ausüben dürften, andererseits eine neue Dynamik, die durch ausländische Investoren bewirkt wird.
Langfristig sind sowohl der Abbau von Veflechtungen zwischen Staat und Wirtschaft als auch die Öffnung nach außen notwendig, um funktionierende Kapitalmärkte zu schaffen. Für die Zeit des Übergangs bleibt als Trost, dass der Aktienindex von Shanghai nicht die einzige Messlatte für den Zustand der chinesischen Wirtschaft ist.