Chipmangel bremst Autobauer aus
23. September 2021Der Mangel an Mikrochips und anderen wichtigen Elektronik-Bauteilen setzt der Autoindustrie weiter zu. Wegen fehlender Halbleiter dürften der Branche in diesem Jahr insgesamt Einnahmen von gut 210 Milliarden US-Dollar (179 Mrd Euro) entgehen, schätzte die Beratungsfirma Alix Partners in einer am Donnerstag in München vorgelegten Analyse. Im Mai war sie noch von deutlich geringeren globalen Einbußen (110 Mrd Dollar) ausgegangen. Wie lange die Lieferprobleme bei Chips anhalten, ist unklar. Zwar sei die Produktion von Halbleitern weltweit hochgefahren worden, sagte die Direktorin des OECD-Direktorats für Handel und Landwirtschaft, Marion Jansen. "Aber trotzdem kommt man nicht nach."
Bei einer digitalen Veranstaltung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) am Donnerstag betonte Jansen die erhöhte Nachfrage nach Halbleitern, die "überall, unter anderem in Deutschland, zu Engpässen" geführt habe. Für die globalen Lieferengpässe gebe es indes keine "one-size-fits-all"-Lösung, sagte sie. Bestimmte Schritte wie eine starke Infrastruktur, eine verbesserte Digitalisierung und flexible Regulierungen seien aber in den meisten Fällen hilfreich.
Lieferketten müssen neu geordnet werden
Die Leiterin des Ifo-Zentrums für Außenwirtschaft, Lisandra Flach, wies auf eine Umfrage des Instituts aus dem August hin, wonach fast 70 Prozent der Industrieunternehmen in Deutschland unter Materialmangel litten. "Das ist ein historischer Rekordwert", sagte sie. Überraschend sei dabei, dass selbst Unternehmen, die sehr stark von Lieferengpässen betroffen waren, nicht verstärkt auf eine heimische oder regionale Beschaffung setzten. "Sie planen in Zukunft eher, die Lieferketten stärker zu diversifizieren." Ein Rückzug aus der globalisierten Wirtschaft sei daher keine Lösung für die aktuellen Engpässe.
Für die Autobranche gehört die stockende Versorgung zu den derzeit größten Risiken - bestellte Fahrzeuge können oft nicht fertiggestellt werden. Der Produktionsausfall in der gesamten Branche dürfte laut Alix mit 7,7 Millionen Fahrzeugen fast doppelt so groß werden wie bisher angenommen. Im Mai war noch ein Ausfall von 3,9 Millionen Wagen prognostiziert worden.
Experten des britischen Forschungsinstituts IHS Markit hatten ihre jüngste Schätzung für die weltweite Jahresproduktion von Autos in der vergangenen Woche ebenso gesenkt. Der japanische Autoriese Toyota hatte Mitte September mitgeteilt, im bis Ende März 2022 laufenden Geschäftsjahr 300 000 Einheiten weniger produzieren zu können. Daimler-Vorstandschef Ola Källenius erwartet erst 2023 eine deutliche Entspannung der Lage in der Branche.
Zulieferer besonders betroffen
Während Autobauer die Ausfälle in der Fertigung zum Teil mit höheren Fahrzeugpreisen ausgleichen könnten, täten sich Zulieferer schwerer, erklärte Marcus Kleinfeld von Alix Partners. Deshalb treffe der Chipmangel sie stärker als die Autohersteller selbst. Die Zulieferer hängen insbesondere vom Produktionsvolumen der Hersteller ab. So kappte der Schweinwerfer- und Elektronikspezialist Hella denn auch seine Prognose. Weil Autohersteller durch die Chipengpässe weniger Fahrzeuge bauen können, dürfte der Umsatz im laufenden Geschäftsjahr bis Ende Mai 2022 nur 6 bis 6,5 Milliarden Euro erreichen, teilte das MDax-Unternehmen in Lippstadt mit. Bisher war der Hella-Vorstand von 6,6 bis 6,9 Milliarden Euro ausgegangen.
Auch der Autozulieferer und Continental-Rivale Faurecia drückte seine Jahresziele. Die Franzosen sind gerade dabei, Hella zu übernehmen. Ihr Umsatz werde mit 15,5 Milliarden Euro um rund eine Milliarde Euro niedriger ausfallen als bislang gedacht, hieß es in Nanterre. Den Gewinn im Tagesgeschäft erwartet Faurecia ebenfalls auf niedrigerem Niveau: Statt 7 Prozent dürften der aktualisierten Prognose zufolge nur 6 bis 6,2 Prozent des Umsatzes als operativer Ertrag bleiben.
Die Chipflaute belastet die Autobranche schon seit Monaten. Zunächst hatten sich die großen Auftragsfertiger in der Corona-Krise auf Halbleiter für Verbraucherelektronik verlegt, um die hohe Nachfrage zu decken. Hinzu kamen in diesem Jahr Produktionsausfälle bei Chipfirmen in Japan und den USA sowie Corona-Lockdowns in Malaysia und anderen südostasiatischen Staaten. Weltweit sind Halbleiter sehr knapp - und der von den Chipfertigern für hohe Milliardensummen angestoßene Aufbau neuer Kapazitäten gestaltet sich langwierig.
hb/ul (dpa, afp)