Chodorkowski kritisiert Russland
19. Januar 2014In Russland gebe es wenige politische Gefangene im "klassischen Sinn", sagte Chodorkowski, der mehr als zehn Jahre in russischen Gefängnissen inhaftiert war, bei einer Matinee der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin. Ausführlich sprach der 50-Jährige über die riesige Zahl von unrechtmäßig Verurteilten im heutigen Russland. Bei weitem nicht alle halte er für politische Gefangene im "klassischen Sinne". Das gelte nur für einige Dutzend Häftlinge, vielleicht aber auch für noch weniger Gefangene, meinte Chodorkowski, ganz offensichtlich bemüht, bei seinen Ausführungen den Namen von Präsident Wladimir Putin nicht in den Mund zu nehmen.
Ein Großteil der aus vorgeblich politischen Motiven inhaftierten Menschen in Russland befinde sich hinter Gittern, weil es jemand auf deren Eigentum abgesehen habe. Und das sieht Chodorkowski als ein gravierendes politisches Problem in Russland. Wenn ein Mensch enteignet wird und keine Möglichkeit hat sich zu verteidigen, sagte er, werde der Staat zu einer "Räuberbande".
"Russland fehlt Rechtsstaatlichkeit"
Chodorkowski, der es als Chef des Ölkonzerns YUKOS zu einem Milliardenvermögen gebracht hatte, äußerte sich überzeugt, dass die Möglichkeit, Eigentum zu verteidigen, das Fundament einer normalen modernen demokratischen Gesellschaft sein müsse. Der ständige Wechsel der Spielregeln und Eigentumsverhältnisse in Russland sei auch schädlich für die Wirtschaft des Landes, betonte er.
"Alle Wirtschaftexperten, die die russische Regierung um Ideen für die Beschleunigung des Wachstums bittet, sagen, es gebe keine wenn nicht gleichzeitig auch politische Reformen umgesetzt werden", sagte der ehemals reichste Mann des Landes.
Wie politische Reformen in Russland gestaltet werden sollten, dazu gebe es unterschiedliche Meinungen. Doch es zeichne sich bei den Aussagen dazu eine Gemeinsamkeit ab, resümierte Chodorkowski: Rechtstaatlichkeit, unabhängige Justiz und gleiches Recht für alle.
Gedenken an Jurij Schmidt
Die Matinee in der Grünen-nahen Böll-Stiftung sollte eigentlich eine eher intime Veranstaltung werden. Die Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck von den Grünen, Arsenij Roginskij von der Menschenrechtsorganisation "Memorial" und der von Putin begnadigte ehemaliger Oligarch Chodorkowski wollten im kleinen Kreis des vor einem Jahr verstorbenen Anwalts Jurij Schmidt gedenken. Schmidt war derjenige, der die Verteidigung des enteigneten YUKOS-Chefs Chodorkowski übernommen hatte und diesen Prozess als "seinen wichtigsten" bezeichnete.
Die Presse war nicht ausdrücklich aus-, aber eben auch nicht in die Böll-Stiftung nach Berlin eingeladen. Und der Stiftungsvorsitzende Ralf Fücks bat denn auch zu Beginn der Veranstaltung zu respektieren, dass Chodorkowski keine Fragen zu seiner Person beantworten möchte und die politische Situation in Russland nicht kommentieren werde. An die Vorgabe, nur über Schmidt zu sprechen, hielt sich allerdings nur der Menschenrechtler Roginskij, der ausführlich über seinen Freund und Gefährten "Jurij" berichtete.