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Kunst

25 Jahre Reichstagsverhüllung

Gaby Reucher
24. Juni 2020

Für die Berliner Reichstagsverhüllung mussten Christo und Jeanne-Claude lange kämpfen. Fotograf Wolfgang Volz erinnert sich an zähe Verhandlungen und große Erfolge.

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Silbrig glitzernder Stoff, Tausende von Menschen, die staunend die Stoffbahnen befühlen, ihre Picknickdecken auf dem großen Rasen vor dem Reichstagsgebäude ausbreiten, um das golden reflektierte Abendlicht zu genießen. Bilder, die 1995 Teil eines großen Sommermärchens waren.

"Das war und ist in der Ahnengalerie der Projekte, die Christo und Jeanne-Claude gemacht haben, nach wie vor ein herausragendes Projekt, schon allein, weil es kein anderes Projekt gab, das so viele Zuschauer hatte", sagt Wolfgang Volz, der Exklusivfotograf des Künstlerpaares und Projektleiter für die Verhüllung des Reichstags, im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Innerhalb von zwei Wochen kamen fünf Millionen Menschen aus aller Welt nach Berlin, um das verhüllte symbol- und geschichtsträchtige Gebäude zu sehen. Ein Besucherrekord für ein kulturelles Ereignis in einer so kurzen Zeitspanne.

700 Seiten Bauantrag

23 Jahre lang hatten Christo und seine Frau Jeanne-Claude für die Verwirklichung der spektakulären Kunstaktion kämpfen müssen. "Das war natürlich ein absolut wahnsinniges Gefühl, nach so vielen Jahren Vorbereitungszeit nun plötzlich die Realität zu sehen", erinnert sich Volz, "Wir haben insgesamt 1500 Leute beschäftigt, davon 90 Kletterer, die unter gefährlichen Umständen unsere Panele ausbreiten mussten. Das war für mich eine unheimliche Herausforderung."

Bei der Verhüllung des Reichstages hatte Volz, der seit 1971 mit Christo und Jeanne-Claude zusammenarbeitete, erstmals die Projektleitung übernommen, weil er als Deutscher am besten die Sprache beherrschte. "Das war ein Schock und eine große Herausforderung. Ich musste in Windeseile alles über die Brandschutzgesetze lernen, und unser Bauantrag für die Verhüllung war 700 Seiten dick."

Der Reichstag, eine "schlafende Schönheit"

Am 23. Juni 1995 wurden die letzten schweren Stoffbahnen aus feuerfestem Kunststoff an der Fassade des Gebäudes heruntergelassen. Insgesamt hatten die Berufskletterer rund 100.000 Quadratmeter Stoff wie eine Hülle über dem Reichstagsgebäude ausgebreitet und mit kilometerlangen Seilen fest verschnürt, so, dass die Konturen des Reichtags noch sichtbar blieben.

"Bis 1989 war der Reichstag ein Mausoleum, ein Gebäude ohne Zukunft, eine schlafende Schönheit. Das Aufregende ist, dass wir das Projekt Reichstag in diesem Moment der Umstrukturierung realisieren und dass wir diese Umgestaltung physikalisch demonstrieren können", freute sich Christo damals vor Journalisten.

Christo verhüllte seine Objekte nie bis zur Unkenntlichkeit, sondern wollte die Menschen neugierig machen. Sein Biograph David Bourdon spricht vom "Enthüllen durch Verbergen". Auf den Reichstag trifft das besonders zu.

"Die Projekte haben immer eine Zeit, in denen sie passen", sagt Projektleiter Wolfgang Volz. "Beim Reichstag war das ganz klar nach der Wiedervereinigung. Das passte genau in die Philosophie, dass das Projekt die Geschichte einhüllt und dann wieder freigibt und daraus eine neue Geschichte entstanden ist."

Ein Symbol der Freiheit

Kaiser Wilhelm II. ließ den Reichstag Ende des 19. Jahrhunderts errichten. Am 9. November 1918 wurde hier die erste deutsche Republik ausgerufen. Am Abend des 27. Februar 1933 ereignete sich der "Reichstagsbrand". Am 30. April 1945 hissten zwei Rotarmisten eine rote Fahne der Sowjetunion als Symbol für ihren Sieg über das "Dritte Reich". In den 1960er Jahren wurde der Reichstag zunächst für Ausstellungen und Veranstaltungen wieder hergestellt. Seit 1999 tagt der Deutsche Bundestag in dem Gebäude, nachdem es der britische Architekt Norman Foster umgebaut und mit einer begehbaren Glaskuppel versehen hatte.

Es war der Mauerfall 1989, der es Christo und Jeanne-Claude ermöglichte, ihr Projekt zu realisieren. "Wir waren wirklich naiv von 1971 bis 1989, dass wir dachten, wir könnten das Projekt realisieren, solange die DDR existiert, solange Wachsoldaten einem beim Ausbreiten von Tuch zugucken", erzählt Wolfgang Volz. "Das hätte nie funktioniert."

Christo und sein Fotograf Wolfgang Volz vor Skizzen des Reichstags
Christo und Wolfgang Volz 2013 bei einer Ausstellung zur Reichstagsverhüllung Bild: picture-alliance/schroewig/Oertwig

Der geschichtsträchtige Bau faszinierte Christo als Symbol der Freiheit. "Freiheit" war ein zentraler Begriff für den einstigen Flüchtling aus dem kommunistischen Bulgarien. Er blieb unabhängig von Sponsoren und finanzierte seine Projekte selbst mit dem Verkauf von Skizzen, kleineren Objekten und signierten Fotos. Die Werke von Christo und Jeanne-Claude waren immer vergänglich und nur für kurze Zeit bestimmt. Der verhüllte Berliner Reichstag erfreute Besucher vom 24. Juni bis zum 7. Juli 1995.

Von Kontroversen begleitet

Die Idee, das Berliner Reichstagsgebäude zu verhüllen, war begleitet von heftigen Kontroversen. Immer wieder wurde das Projekt im Bundestag vorgetragen und abgelehnt. Als staatliches Symbol der Deutschen solle der Reichstag nicht durch eine umstrittene künstlerische Aktion polarisieren, meinten viele Anhänger der Christdemokratischen Partei (CDU).

Doch die damalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth war der Meinung, dass gerade die Verhüllung die ambivalente Geschichte dieses Gebäudes erst sichtbar machen würde. "Ohne sie", sagt Volz, "hätte es den verhüllten Reichstag nicht gegeben." Als der Bundestag am 25. Februar 1994 endlich für die Kunstaktion stimmte, war das für Christo ein großer Moment: "Wir haben gesiegt!", rief er erleichtert nach der Abstimmung aus.

Das Reichstagsgebäude in Berlin
Der Reichstag heute mit der berühmten Glaskuppel von Architekt Norman FosterBild: picture-alliance/dpa/xim.gs/p. Szyza

Christos Reichtags-Sammlung mit Skizzen, Modellen, Fotos sowie Stoffresten kaufte 2015 der Unternehmer und Kunstmäzen Lars Windhorst. Einiges davon hat er dem Bundestag für 20 Jahre als Leihgabe zur Verfügung gestellt. "Christo war immer nach vorne gewandt und hat sich mit dem beschäftigt, was wir gerade in Arbeit hatten", sagt Volz. Vor seinem Tod am 31. Mai 2020 habe er sich nur noch mit der anstehenden Verhüllung des Arc de Triomphe in Paris befasst. Gerade ist Wolfgang Volz dort, um das weitere Vorgehen zu besprechen, denn wegen Corona wurde die Verhüllung ins nächste Jahrverschoben.

Christos Neffe Vladimir Javacheff und Wolfgang Volz führen das Projekt fort. "Wir sind fest entschlossen, das Beste daraus zu machen", sagt Volz, "dazu sind wir Christo und Jeanne-Claude verpflichtet."