Verpackungskünstler Christo ist tot
31. Mai 2020Sein letztes großes Verhüllungswerk sollte der Arc de Triomphe in Paris werden. Im September 2021 sollte das berühmte Wahrzeichen mit 25.000 Quadratmetern recycelbarem Polypropylengewebe in Silberblau umhüllt und dann mit 7000 Meter roter Kordel eingeschnürt werden. Dies erlebte der weltberühmte bulgarisch-amerkanische Künstler nun nicht mehr, er starb am 31. Mai in New York eines natürlichen Todes.
Weltweit zeigten sich die Menschen betroffen, der deutsche Außenminister Heiko Mass twitterte:
Kulturstaatsministerin Monika Grütters meldete sich am 1. Juni zu Wort:
Aus Paris, wo Christo demnächst den Arc de Triomphe verhüllen wollte, gab es ein Beileidschreiben vom Kulturzentrum Centre Pompidou. Dort wurde erst kürzlich eine Christo-Ausstellung wegen Corona verschoben: Tief bewegt und unendlich traurig sei man über Christos Dahinscheiden, mit dem man so leidenschaftlich die Schau "Christo et Jeanne-Claude, Paris" vorbereitet habe. Sie werde jetzt als Hommage an sein außergewöhnliches Werk am 1. Juli eröffnet. Und der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet traf den Künstler noch vor kurzem:
Durch Verhüllung Neugierde wecken
Glänzende farbige Stoffe, die Gebäude, Objekte oder ganze Landstriche verhüllten, waren Christos Markenzeichen. Zusammen mit seiner Frau Jeanne-Claude, die 2009 starb, verhüllte er den Reichstag in Berlin, Bäume in der Schweiz oder Wege in Kansas City. Und manchmal verhüllte er auch einfach nur Luft in großen "Luft-Paketen".
Christo und Jeanne Claude planten gemeinsam groß angelegte Projekte wie Anfang der 70er Jahre den überdimensionalen Vorhang "Valley Curtain" durch ein Tal in Colorado. Spektakulär waren in den 80ern auch die rosa ummantelten Inseln "Surrounded Islands" von Florida und die verhüllte Brücke "Pont Neuf" in Paris. 1995 schnürte das Künstlerpaar den deutschen Reichstag in silberglitzernde Stoffbahnen, und 2016 wandelten in Italien 1,3 Millionen Besucher auf den schwimmenden "Floating Piers" über den Iseo-See. "Ich liebe echte Dinge, echten Wind, echte Trockenheit, echtes Nass, echte Angst und echte Freude", erklärte Christo vor einer italienischen Schulklasse in dem Dokumentarfilm "Walking on Water."
Schon früh hatte Christo angefangen, Gegenstände wie Dosen, Flaschen und Kisten einzuwickeln, zu verhüllen oder zu verkleiden. Den Begriff "Verpackungskünstler" lehnte er immer ab. Er hat die Dinge nie bis zur Unkenntlichkeit verändert und wollte auf diese Weise die Neugierde des Betrachters wecken. Die Deutung seiner Kunst hat er anderen überlassen. So spricht Christos Biograf David Bourdon vom "Enthüllen durch Verbergen".
Christo & Jeanne Claude
Am 13. Juni 1935 wurde Christo Vladimiroff Javacheff in Bulgarien geboren. In den fünfziger Jahren studierte er Malerei, Bildhauerei und Architektur in Sofia. 1956 floh er aus dem kommunistischen Land über die tschechoslowakische Grenze. In Paris fand er Anfang der 60er Jahre Anschluss an die Künstlergruppe der "nouveaux réalistes", der neuen Realisten, die unter anderem Objekte aus der Realität in die Kunst integrierten und verfremdeten.
Um Geld zu verdienen, malte Christo nebenbei Portraits und lernte dabei im Hause eines Generals dessen Tochter Jeanne-Claude kennen. Zufällig war sie am gleichen Tag wie er geboren. Jeanne-Claude war Christos Charme erlegen, die Begeisterung für seine Kunst kam später. Christos künstlerische Begabung ergänzte Jeanne-Claude durch ihr Organisationstalent.
Beziehungen zu Deutschland
Seit 1972 stand Wolfgang Volz dem Paar als "Hausfotograf" zur Seite. "Obwohl Christo einen Weltruf hatte, habe ich nie 'für' die beiden gearbeitet, sondern 'mit' ihnen als gleichberechtigter Partner", sagte Volz in einem Interview mit der DW. Deshalb habe die Beziehung so lange gehalten. Christo war bekannt für sein aufbrausendes Temperament und für seine Hartnäckigkeit, wenn es darum ging, die bis ins Detail ausgearbeiteten Konzepte seiner Werke genau nach seinen Vorstellungen zu realisieren.
Seine Kunstaktionen wurden mit der Zeit zu gigantischen Projekten. "Mit der wachsenden Größe der Projekte wurde die 'Arbeitsfamilie' anders", sagte Volz anlässlich Christos 80. Geburtstag. "Es wurden Ingenieure, professionelle Kletterer und andere Spezialisten benötigt."
Seine Stoffbahnen ließ Christo gerne von deutschen Firmen anfertigen. In Deutschland realisierte er auch eins seiner schwierigsten Projekte, die Verhüllung des Berliner Reichstages 1995, bei der Exklusivfotograf Wolfgang Volz auch die Projektleitung übernahm. Innerhalb von zwei Wochen befühlten und bestaunten fünf Millionen Menschen den silbrig glitzernden Stoff, der den Reichstag umhüllte. Über 20 Jahre hatte Christo darauf gewartet, dieses Projekt zu realisieren.
Freiheit als Motor der Kunst
Christo hat als Vertreter der sogenannten "Land Art" gemeinsam mit Jeanne-Claude viele spektakuläre Verhüllungs- und Gestaltungsaktionen von Gebäuden, Parks und ganzen Landstrichen in Angriff genommen. In den 60er Jahren, einer Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs, hatte "Land Art" eine politische Dimension. Der geografische Raum wurde in ein Kunstwerk verwandelt, das man nicht besitzen konnte. Ein Protest gegen das Besitzbürgertum.
An dieser Idee hielt Christo bis zuletzt fest. Die Großprojekte im Freien waren bewusst nur kurze Zeit zu sehen, dafür aber öffentlich und für alle kostenfrei zugänglich. "Dass sie verschwinden, ist ein Teil des ästhetischen Konzeptes. Dadurch sind sie tief verwurzelt mit der Freiheit, denn die Freiheit ist Feind des Besitzes, und Besitz ist gleichbedeutend mit Dauerhaftigkeit", sagte Christo im Zuge der Arbeiten am Berliner Reichstag. Freiheit blieb immer ein zentraler Begriff für den einstigen Flüchtling aus Bulgarien. Um unabhängig zu bleiben, finanzierte er seine Projekte selbst aus dem Verkauf von Skizzen und Objekten.
Christos politische Haltung
Aus Christos gesellschaftskritischen Ambitionen wurden Kunstspektakel, die die Massen allein durch ihre ästhetische Schönheit faszinierten. Jeanne-Claude fasste es immer wieder in einem Satz zusammen: "Wir machen Kunst auf Zeit, deren Inhalt Freude und Schönheit ist".
Trotzdem blieb Christo politisch. Sein Projekt "Over the River" in Colorado, das er 20 Jahre lang verfolgt hatte, gab er aus Protest gegen US-Präsident Donald Trump 2017 auf. "Hier ist die US-Bundesregierung unser Vermieter", sagte Christo der "New York Times". "Sie besitzt das Land. Ich kann kein Projekt machen, das diesem Vermieter zugutekommt".
Ölfässer für ein Grab
Christo verhüllte nicht nur Gebäude und Landschaften, sondern arbeitete auch sein Leben lang mit Ölfässern. Die ersten tauchten schon früh in Christos Biografie auf - verhüllt oder gestapelt. So versperrte er 1962 mit einer Mauer aus 441 Ölfässern die Pariser Rue Visconti. Er nannte das Werk "Der eiserne Vorhang" und wollte auf diese Weise seinen Protest gegen das DDR-Regime und den Bau der Berliner Mauer ausdrücken.
1977 entwarfen Christo und Jeanne Claude "The Mastaba", nachempfunden einem Grabbau aus der ägyptischen Kultur. Geplant war eine bunte Pyramide ohne Spitze aus 410.000 Ölfässern in der Wüste der Arabischen Emirate bei Abu Dhabi, 150 Meter hoch und 300 Meter lang. Immer wieder hatte Christo kleinere Pyramiden aus Ölfässern gebaut und ausgestellt, zuletzt 2018 eine schwimmende Pyramide aus 7506 Ölfässern im Londoner Hyde Park. Mit "The Mastaba" hätte Christo sich ein Denkmal geschaffen, es wäre sein erstes permanentes Großobjekt gewesen. Diesen Lebenstraum konnte er sich nicht mehr erfüllen.