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KriminalitätDeutschland

Clan-Kriminalität: Wie gefährlich ist sie wirklich?

26. Juni 2024

Das Wort löst bei vielen Menschen Ängste aus. Dabei ist das Phänomen statistisch betrachtet eine Randerscheinung. Ein Experte warnt vor Klischeebildern.

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Schwer bewaffnete und vermummte Polizisten kontrollieren während einer Razzia ein verdächtigen Mann auf der Straße.
Razzien in mutmaßlichen Clan-Milieus gehören in Berlin zum Alltag der Polizei (Archivbild) Bild: Odd Andersen/AFP

Mahmoud Jaraba forscht seit 2015 zu arabischen, türkischen und kurdischen Großfamilien. Dafür hat sich in deutschen Medien und bei der Polizei ein umstrittenes Wort etabliert: "Clan". Was damit fast immer assoziiert wird, dafür verwendet der Experte von der Universität Erlangen-Nürnberg in seiner in Berlin vorgestellten Analyse für den Mediendienst Integration drei Begriffe: Kriminalität, Parallelgesellschaft, Gewalt.

Beispielhaft stehen dafür zwei spektakuläre Kriminalfälle, bei denen in Museen eingebrochen wurde: Die Diebstähle aus dem Grünen Gewölbe in Dresden 2019 und einer besonders wertvollen Goldmünze aus dem Berliner Bode-Museum 2017. "Diese Diebstähle bedurften professioneller krimineller Organisation und sind kriminologisch als 'familienbasierte Kriminalität' einzustufen", heißt es dazu in Jarabas Expertise. Charakteristisch für diese Form von Kriminalität seien gut vernetzte Familienmitglieder im In- und Ausland.

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Clan-Angehörige werden unter Druck gesetzt

Wenn die Polizei Angehörige solcher Familien fasse, könnten sie durch andere ersetzt werden. "Meist gewinnen sie Verwandte dafür, die sich ihnen freiwillig anschließen oder die unter Druck gesetzt werden", schreibt Jaraba. Seine Erkenntnisse stammen aus Gesprächen mit Betroffenen. Außerdem führte er zahlreiche Interviews mit Fachleuten, die bei der Polizei oder im sozialen Bereich arbeiten.

Den Begriff "Clan" hält der Politikwissenschaftler für problematisch. Die Großfamilien seien keine homogenen Gruppen. Ihre ursprünglich nahen Verwandtschaftsverhältnisse hätten sich über die Jahrzehnte ausdifferenziert. "Heute kennen sich die meisten Familienmitglieder untereinander nicht." Seine Forschung habe ergeben, dass familienbasierte Kriminalität von einigen Kernfamilien organisiert werde. "Es gibt daher auch keine 'Clanchefs', die die kriminellen Aktivitäten und Strategien organisieren, anführen und lenken."

Ein Mann schaut in die Kamera. Er trägt eine Brille und einen Drei-Tage-Bart
Clan-Experte Mahmoud Jaraba warnt davor, Angehörige von Großfamilien durch Vorurteile zu stigmatisierenBild: Privat

Polizei-Definition: "Ethnisch abgeschottete Subkulturen"

Die Polizei definiert Clans als "ethnisch abgeschottete Subkulturen". Jaraba kritisiert das als irreführend. Zwar lebten Teile der Großfamilien in der Tat hinsichtlich bestimmter sozialer und kultureller Aspekte in einer Art Subkultur. Aber dort, wo es zu Kriminalität käme, könne gerade nicht von einer Abschottung gesprochen werden, sagt der Experte.

Durch seine Befragungen erfuhr der Wissenschaftler, dass die große Mehrheit der Angehörigen solcher Familien Kriminalität ablehnt und sich eine effektive Kriminalitätsbekämpfung wünscht. "Dabei sollen aber muslimische Menschen und Angehörige der Großfamilien nicht unter Generalverdacht gestellt werden", heißt es in seiner Untersuchung.

Razzien in Shisha-Bars und Barber-Shops

Einen besonderen Blick wirft Jaraba auf die Bundesländer Berlin, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Dort wurde die Bekämpfung der sogenannten Clan-Kriminalität als Schwerpunktthema etabliert. Zum Repertoire gehören regelmäßige Personen- und Gewerbekontrollen sowie Razzien vor allem in Shisha-Bars oder Barber-Shops. Mit dieser als "Politik der 1000 Nadelstiche" bezeichneten Taktik will die Polizei den Druck auf dieses Milieu spürbar erhöhen.

Vier vermummte Polizisten stehen am Abend vor dem Eingang einer Shisha- und Cocktail-Bar, in der eine Razzia stattfindet
Politik der 1000 Nadelstiche: Razzia in einer Hamburger Shisha-BarBild: picture alliance

In den drei Bundesländern werden jedes Jahr Berichte zur Entwicklung der Clan-Kriminalität veröffentlicht. Darin werden die von der Polizei ergriffenen Maßnahmen ausdrücklich mit dem "subjektiven Sicherheitsempfinden" der Bevölkerung begründet. Was darunter zu verstehen ist, erläuterte das Innenministerium Nordrhein-Westfalen auf Nachfrage des Mediendienstes Integration, der die Clan-Analyse bei Mahmoud Jaraba in Auftrag gegeben hat:

"Kriminellen Mitgliedern türkisch-arabischstämmiger Großfamilien gelang es in der Vergangenheit zunehmend, durch aggressives Auftreten, Ordnungsstörungen und die Begehung von Straftaten, häufig aus größeren, geschlossenen Personengruppen heraus, die Bevölkerung einzuschüchtern und bestimmte regionale Räume augenscheinlich für sich zu reklamieren."

Straftaten liegen statistisch deutlich unter einem Prozent

Dieser subjektiven Wahrnehmung stehen objektive Zahlen aus Kriminalitätsstatistiken gegenüber: Demnach liegt der Anteil aller mutmaßlich von Clans begangenen Delikte in Berlin, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen zwischen 0,17 und 0,76 Prozent aller Straftaten.

Die Kriminologin Daniela Hunold von der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) hält die von Politik und Polizei eingeschlagene Strategie auch deshalb für bedenklich: "An Ethnien anzuknüpfen ist nicht nur rechtlich problematisch, es ist auch polizeilich nicht effektiv." Hunold arbeitete von 2019 bis 2022 im Landeskriminalamt Bremen und beschäftigte sich schon in dieser Zeit mit dem Phänomen Clan-Kriminalität.

Ihr Fazit: Es werde der Eindruck erweckt, dass es für die Bekämpfung dieser Form der Kriminalität eine bestimmte polizeiliche Herangehensweise bräuchte. "Das kann ich aus polizeilicher und kriminologischer Perspektive nicht bestätigen", betont Hunold.

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland