"Hin zu mehr Normalität" in Corona-Zeiten
4. März 2021Trotz der angespannten Infektionslage in Deutschland haben Bund und Länder einen Stufenplan für Öffnungen - flankiert von mehr Impfungen und Tests - beschlossen, um die Einschränkungen durch den Lockdown zu mildern. Gesundheitsminister Jens Spahn (Artikelbild) verteidigte im Bundestag die mit den Regierungschefs der 16 Bundesländer vereinbarten Lockerungsmöglichkeiten. Notwendig sei nun "Umsicht beim Öffnen hin zu mehr Normalität", sagte der CDU-Politiker.
Bei den Beratungen der Ministerpräsidentenkonferenz am Mittwoch sei um eine schwierige Balance zwischen dem Bedürfnis nach Normalität und der Kontrolle über die Pandemie gerungen worden. Der Weg dahin führt für den Bundesgesundheitsminister über Fortschritte bei Impfungen und Corona-Tests. Schnelltests sollen von kommender Woche an als kostenloses Angebot für alle Bürger ermöglicht werden. Laut Spahns Ministerium liegen 150 Millionen Tests nach Herstellerangaben bereits auf Halde und könnten direkt geliefert werden. Länder und Kommunen müssten diese nur abrufen. Der Minister betonte, er kenne niemanden, der diese Pandemie nicht leid sei. Die Pandemie sei aber noch nicht beendet.
Bundestag verlängert epidemische Notlage
Zumindest bei diesem Punkt kann sich Spahn der Mehrheit des Bundestages sicher sein. Mit den Stimmen von Union und SPD wurde die "epidemische Lage von nationaler Tragweite" um drei weitere Monate bis zum 30. Juni verlängert. Für die Vorlage stimmten in namentlicher Abstimmung 368 Abgeordnete, 293 dagegen.
Das Gesetz über die epidemische Notlage ist die Grundlage für die Corona-bedingten Kontaktbeschränkungen und Schließungen, für die die Bundesländer zuständig sind. Und es gibt weitere Neuerungen - unter anderem schreibt das Gesetz fest, dass sich die Beschränkungen künftig nicht mehr nur am Inzidenzwert orientieren müssen, sondern auch andere Kennzahlen berücksichtigen können, wie etwa den R-Wert und den Fortschritt bei den Impfungen.
Fachleute sehen Privattreffen als Pandemie-Treiber
Die Opposition und Fachleute äußerten deutliche Kritik an den Beschlüssen. Politiker von Linken und Grünen sprechen von "Willkür" und "Chaos". Es fehle eine Strategie für Tests, Impfungen und digitale Kontaktnachverfolgung.
Kommunen und Hausärzte monieren, zu viele Details des Lockerungsplans seien noch ungeklärt. Die Beschlüsse zu den Schnell- und Eigentests seien zu unkonkret, kritisiert der Deutsche Städte- und Gemeindebund. Hausärzte drängen darauf, die Praxen von Bürokratie zu entlasten, wenn dort gegen Corona geimpft werden solle.
Der Mobilitätsforscher Kai Nagel von der TU Berlin befürchtet mehr Corona-Ansteckungen durch die beschlossenen Lockerungen bei privaten Kontakten. Nach Simulationen, die unter anderem auf anonymisierten Mobilfunkdaten beruhen, seien private Treffen bereits in den vergangenen Wochen der "kritischste Bereich" gewesen, neben Ansteckungen im eigenen Haushalt, sagte er. Auch Intensivmediziner sehen die Lockerungen kritisch. Er rechne durch die beschlossenen Öffnungsszenarien mit deutlich steigenden Neuinfektionen und dann auch mehr COVID-19-Intensivpatienten, sagte der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), Gernot Marx.
Kurswechsel der Stiko bei AstraZeneca
Der COVID-19-Impfstoff des britisch-schwedischen Herstellers AstraZeneca erhält in Deutschland nun auch grünes Licht für den Einsatz bei über 65-Jährigen. Ende Januar hatte die Ständige Impfkommission (Stiko) - anders als die Europäische Arzneimittelbehörde EMA - das Vakzin zunächst nur für Menschen von 18 bis 64 Jahre empfohlen. Die Folge war eine massive Verunsicherung der Bürger. Immer wieder wurde der Impfstoff als "minderwertig" gescholten. Fachleute widersprachen dem von Anfang an deutlich. Jetzt hat die Stiko nachgezogen. Die aktuelle Entscheidung beruht laut Stiko "auf einer intensiven Analyse und Bewertung von neuen Studiendaten, die erst innerhalb der vergangenen Tage als Vorab-Publikationen verfügbar wurden".
Gesundheitsminister Spahn sprach von einer guten Nachricht für alle Älteren, die auf eine Impfung warten. Die neuen Studiendaten belegten zudem, dass der Impfstoff noch wirksamer sei, wenn der Abstand zwischen Erst- und Zweitimpfung zwölf Wochen betrage. Auch dies empfehle die Stiko ausdrücklich. Die Empfehlungen würden nun "sehr zeitnah" in der Impf-Verordnung umgesetzt.
qu/wa (dpa, afp, rtr, epd)