Corona: Droht doch die Rezession?
16. November 2020Zwar vorsichtig, aber doch deutlich genug sagt es das gewerkschaftsnahe IMK-Institut der Hans-Böckler-Stiftung: "Das Risiko, dass die deutsche Wirtschaft in den kommenden Monaten erneut in eine Rezession gerät, ist … gestiegen." Eine Rezession, die die Ökonomen fürchten wie der Teufel das Weihwasser, ist ein Rückgang der Wirtschaftsleistung einer gesamten Volkswirtschaft, und das per Definition nicht nur für ein Quartal, sondern für zwei Quartale in Folge.
Die Gefahr einer Rezession, so haben es die IMK-Ökonomen mittels eines eigenen Indikators berechnet, hat also zugenommen. Trotz dessen Anstiegs bleibe das Risiko aber "insgesamt relativ niedrig", so IMK-Forscher Thomas Theobald. Der Indikator, der am Montag veröffentlicht wurde, bündelt die aktuell verfügbaren Daten über die Wirtschaftslage. Der leichte Anstieg der Rezessionswahrscheinlichkeit beruht nach der IMK-Analyse auf einem Rückgang der Auftragseingänge aus dem Ausland für das Verarbeitende Gewerbe und einer Eintrübung der Finanzmarktindikatoren.
"Spürbarer Dämpfer"
Jedenfalls erwarten die IMK-Ökonomen, dass die konjunkturelle Erholung in den Wintermonaten einen "spürbaren Dämpfer" erfährt. Diese Prognose deckt sich mit der Einschätzung der Bundesregierung: Das Wirtschaftsministerium geht davon aus, dass die neuen Corona-Maßnahmen die Erholung dämpfen, aber nicht abwürgen werden.
Auch die Deutsche Bundesbank geht davon aus, dass die aktuellen Beschränkungen des öffentlichen Lebens im Kampf gegen die Pandemie die Konjunkturerholung in Deutschland vorerst beenden. Das kräftige Wirtschaftswachstum in den Sommermonaten nach dem Corona-Einbruch im Frühjahr dürfte ausgebremst werden, hieß es im Monatsbericht der Bundesbank, der am Montag veröffentlicht wurde. Demnach, so befürchtet die Bundesbank, könnte das Bruttoinlandsprodukt im Schlussquartal 2020 "stagnieren oder sogar zurückgehen".
Im Sommerquartal hatte sich die deutsche Wirtschaft mit einem Rekordwachstum von 8,2 Prozent aus der Rezession befreit, nachdem sie im Frühjahr mit 9,8 Prozent so stark eingebrochen war wie noch nie. Ob im laufenden Schlussquartal das Bruttoinlandsprodukt erneut sinken wird, darüber streiten die Experten. In einem sind sich die Ökonomen aber denn doch einig: "In den nächsten Monaten dürfte die konjunkturelle Lage weiterhin stark von der Corona-Krise geprägt bleiben", wie es IMK-Forscher Theobald formuliert.
Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) fasst das in drastischere Zahlen: "Wir rechnen mit einem Wirtschaftseinbruch von einem Prozent im vierten Quartal. Die erneuten Restriktionen werden in den unmittelbar betroffenen Branchen einen Ausfall von knapp 20 Milliarden Euro verursachen", so Fratzscher gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung NOZ. Allerdings müsse auch mit Blick auf die Wirtschaft eine starke und dauerhafte Reduktion der Infektionszahlen die oberste Priorität sein. Deshalb müsse die Politik "konsequent und frühzeitig handeln", sagte Fratzscher dem Handelsblatt, "notfalls auch mit weiteren Verschärfungen der Restriktionen bereits vor Ende November".
"Konsequent und frühzeitig handeln"
Einschränkungen in der Öffentlichkeit besser jetzt als später, und besser beherzt als zaghaft, könnte man zusammenfassen. Und auch die Einschätzung von Gabriel Felbermayr, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel, geht in ähnliche Richtung. Die Kosten eines Lockdowns würden steigen, je näher die Feiertage kommen, so Felbermayr ebenfalls im Handelsblatt, "weil das Weihnachtsgeschäft in vielen direkt und indirekt betroffenen Branchen sehr wichtig ist".
Dass es mit der deutschen Wirtschaft nicht wirklich gut ausgeht in diesem Jahr, befürchtet auch das Münchner Ifo-Institut - befeuert durch die jüngsten Einschränkungen und womöglich neue, die noch folgen könnten, werde das Wirtschaftswachstum im vierten Quartal durch die neuen Restriktionen auf einen Wert nahe Null sinken, so Ifo-Chef Clemens Fürst zur NOZ: "Die wirtschaftliche Erholung kommt also zum Stillstand."
Fachleute seines Instituts befürchten zudem langfristige wirtschaftliche Schäden durch Corona: Das Problem sei die Zurückhaltung bei den Investitionen, schreibt etwa Ifo-Ökonom Joachim Ragnitz: "Die realen Ausrüstungsinvestitionen haben sich schon im Jahre 2019 äußerst schwach entwickelt. Den Konjunkturprognosen zufolge werden sie noch bis zum Jahr 2022 auf niedrigem Niveau verharren." Das könne dazu führen, dass nicht genügend neue Arbeitsplätze entstehen.
Kein Einbruch der Produktion
In der Tat hinterlässt die Corona-Krise dem Statistischen Bundesamt zufolge schon jetzt tiefe Spuren auch in der Beschäftigung. Gemessen an September 2019 schrumpfte die Industrie-Beschäftigung zuletzt um 172.000 Menschen, ein Minus von 3,0 Prozent. Und das, obwohl nach dem Lockdown im Frühjahr die deutsche Wirtschaft im dritten Quartal so kräftig gewachsen war. Mit dem Teil-Lockdown im November trüben sich auch hier die Aussichten wieder ein.
Immerhin, so hofft Stefan Kooths vom IfW Kiel, werde sich der Lockdown vom Frühjahr nicht wiederholen. "Schon allein deshalb, weil es keinen vergleichbaren Einbruch in der industriellen Produktion gibt." Allerdings rechnet auch Kooths durch den laufenden November-Lockdown mit einem Sinken des Bruttoinlandsprodukts um "grob geschätzt 15 Milliarden Euro".
Die aktuelle Teil-Lockdown aber, so hofft DIW-Ökonom Fratzscher, dürfte die Wirtschaft mittelfristig schützen - "vor allem wenn sie zu einem schnelleren Ende und einer besseren Begrenzung der zweiten Infektionswelle beitragen", so Fratzscher.
ar/hb (dpa, rtr – Archiv)