Corona: Gesundheitsämter weiter am Limit
16. Februar 2021Es klingt dramatisch, was die Amtsärztin des Bezirks Spandau, eines Stadtteils im Westen Berlins, diese Woche in einem Ausschuss des Landesparlaments zu berichten hatte: Seit gut einem Jahr, so die Medizinerin Gudrun Widders, seien die Gesundheitsämter fast ausschließlich mit der Nachverfolgung von Kontaktpersonen von Corona-Infizierten befasst.
Dabei seien die Aufgaben der Behörden eigentlich viel umfassender: Mitarbeiter der Ämter sollen normalerweise Kitas, Schulen und Altenheime aufsuchen und dort die Einhaltung von Hygiene-Bestimmungen kontrollieren, nicht nur die Befolgung von Corona-Maßnahmen. Aber dazu kommen die Mitarbeiter in den Ämtern nicht.
Besuche in Heimen nur nach Corona-Ausbrüchen
Sie kommen schon gar nicht zu zahnärztlichen Untersuchungen oder zur Fürsorge für Menschen in schwierigen Lebenslagen, in psychischen Krisen etwa, die ja in der Pandemie zugenommen haben. Alle Kräfte sind durch die Corona-Pandemie gebunden, nach wie vor müssen die Ämter auf die Hilfe von Bundeswehrsoldaten zurückgreifen, um die Kontaktpersonen von Infizierten aufzuspüren.
Die Gesundheitsämter, zentrale Stellen bei der Bekämpfung der Pandemie, sind in der Dauerkrise. Wenn sie überhaupt etwa Altenheime besuchen, dann, um nach Ausbrüchen von Corona-Infektionen mitzuhelfen, das Schlimmste zu verhindern.
Monatelang kaum mehr Kontakt-Verfolgung möglich
Plötzlich also sind die deutschen Gesundheitsämter wieder im Fokus der Öffentlichkeit. Zwischendurch, in den langen Monaten mit sehr hohen Infektionszahlen, hieß es von dort nur lapidar, eine Nach-Verfolgung von Kontakten nach einem positiven Test sei so gut wie nicht mehr möglich: zu viele Fälle.
Jeden Morgen aber tauchten die Gesundheitsämter in den Schlagzeilen auf, immer dann, wenn für das ganze Land die neuen Ansteckungszahlen mit dem Corona-Virus gemeldet wurden. Die Gesundheitsämter geben sie täglich an das zuständige Robert-Koch-Institut durch. Die Zahlen stiegen bis Mitte Dezember auf immer neue Höchstwerte.
Merkel hofft auf neue Chance für Gesundheitsämter
Jetzt sinken die Infektionszahlen schon seit einigen Wochen, sicher eine Folge des strengen Lockdowns mit seinen Kontakt-Beschränkungen. Die Sieben-Tage-Inzidenz, die Zahl der Corona-Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen, nähert sich ganz langsam dem Wert von 50.
Von diesem Wert an, diese Losung hat die Politik ausgegeben, sei die Pandemie wieder beherrschbar. Und zwar in den Ämtern und in den Kliniken. Entsprechend äußerte sich etwa Bundeskanzlerin Angela Merkel Ende vergangener Woche im "Zweiten Deutschen Fernsehen" (ZDF). Bald sei ein Punkt erreicht, sagte Merkel, "ab dem wir glauben, dass die Gesundheitsämter wieder die Kontakte nachverfolgen können".
Amtsärztin Ute Teichert warnt vor dritter Welle
Weniger optimistisch sieht das die Vorsitzende des Bundesverbands der deutschen Amtsärzte, Ute Teichert. Sie sagte den "Stuttgarter Nachrichten", auch die Inzidenz von 50 sei noch sehr viel und für die Ämter kaum leistbar: "Ich habe von Anfang an darauf hingewiesen, dass die Zahl 50 für die Gesundheitsämter sehr hoch gegriffen ist. Wenn jetzt zu rasch gelockert wird, steigen die Zahlen im April wieder, und wir bekommen eine dritte Welle", warnte sie.
Gesundheitsämter brauchen dauerhaft mehr Personal
Teichert übte grundsätzliche Kritik am Umgang mit dem lokalen Behörden: "Man hätte die Gesundheitsämter längst aufrüsten und dauerhaft mit mehr Personal ausstatten können. Und nicht nur kurzfristig mit Hilfskräften, wenn die Infektionszahlen steigen. Einzelne Ämter haben ein paar Stellen bekommen, aber flächendeckend ist noch nicht allzu viel passiert. Das reicht noch lange nicht aus." Sie stellte fest: "Den Kurs, mit Hilfskräften aufzustocken, hat man noch nicht verlassen."
Streit um eine zentrale Software
Streit gibt es zudem um den Wunsch der Bundesregierung, die Kontakt-Verfolgungs-Software "Sormas" in allen rund 380 deutschen Gesundheitsämter einzuführen, und zwar bis Ende Februar. Im Ausland ist diese von afrikanischen und deutschen Experten entwickelte Software gut angekommen. Sie entstand aus den Erfahrungen der Entwicklungszusammenarbeit unter anderem nach Epidemien wie der Ausbreitung von Ebola.
In Nigeria und Ghana etwa ist sie im Einsatz, auch in Frankreich und in der Schweiz. In Deutschland selbst aber arbeiten die Behörden zumeist mit anderen Programmen, noch dazu mit sehr vielen verschiedenen, ein Umstieg mitten in der Pandemie auf ein einheitliches System findet wenig Gegenliebe. Die Folge: Nur in 176 Gesundheitsämtern ist "Sormas" mittlerweile installiert.
Kölner Oberbürgermeisterin: Sormas ist sinnvoll, aber nicht jetzt
Dabei bestreitet niemand, dass eine einheitliche Software Sinn ergeben würde, nur eben nicht jetzt. So sagte etwa die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker der Zeitung "Welt": "Grundsätzlich ist es eine gute Idee, ein übergreifendes System zu schaffen, schon um die digitale Vernetzung der Gesundheitsämter untereinander sicherzustellen und weitere Erkenntnisse über die Pandemie-Entwicklung zu gewinnen. Für Köln kommt eine Umstellung derzeit noch nicht in Betracht, weil wir wichtige funktionale Mehrwerte unseres eigenen Verfahrens noch nicht in Sormas abgebildet sehen."
Immerhin hat Reker es geschafft, die Gesundheitsämter der Domstadt mit mehr Stellen auszustatten. Ein Personalzuwachs trotz Pandemie, von dem andere Gesundheitsämter wohl derzeit nur träumen können.