Coronakrise: Deutschland schafft Klimaziel
20. März 2020Der Urlaubs- und Geschäftsreiseverkehr kommt zum Erliegen, Flugzeuge bleiben am Boden, Berufspendler arbeiten nun von Zuhause, Deutschlands gewichtige Autoindustrie schließt Fabriken und die Produktion bei Zulieferbetrieben sinkt.
Damit verbunden sinkt in Deutschland auch der CO2-Ausstoß erheblich. "Nach unseren Abschätzungen werden in Deutschland unter anderem durch den warmen Winter und durch die Corana-Krise die Treibhausgasemissionen in 2020 im Vergleich zu 2019 um gut 50 Millionen Tonnen CO2 mindestens sinken. Je nach weiterem Verlauf der Corona-Krise kann der Rückgang auch bei bis zu 135 Millionen Tonnen CO2 liegen", sagt Patrick Graichen von Agora Energiewende. Die Berliner Denkfabrik begleitet die deutsche und europäische Energiewende.
Laut Abschätzung von Agora könnten Deutschlands Emissionen auf bis und 670 Millionen Tonnen CO2 in 2020 sinken. Das von der Bundesregierung angestrebte Ziel für 2020 von maximal 750 Millionen Tonnen CO2 wird mit großer Wahrscheinlichkeit entgegen allen bisherigen Prognosen jetzt doch noch erreicht.
"Angestrebt hatte die Bundesregierung eine Emissionsminderung von 40 Prozent im Vergleich zu 1990. Wir gehen davon aus, dass die CO2-Minderung zwischen 40 bis 45 Prozent liegen wird."
Agora geht in der Analyse davon aus, dass durch Fabrikschließungen zum Beispiel in der Autoindustrie, auch der Bedarf an Stahl, Zement und Chemie sinkt und bei Produktionsausfällen über wenige Wochen die CO2-Minderung bei rund 10 Millionen Tonnen liegen wird. "Hält die Situation für drei Monate an, gehen die Emissionen durch Produktionsausfälle um rund 18 Millionen Tonnen zurück. Dauert die Krise in ihren Auswirkungen länger, sind Emissionsrückgänge in der Größenordnung von 25 Millionen Tonnen wahrscheinlich", heißt es in der Analyse. Dies entspräche dem deutschen CO2-Reduktionsniveau während der Wirtschaftskrise von 2009.
Weniger PKW-Verkehr, weniger CO2
Beim Verkehr in Deutschland rechnen die Experten mit einem Rückgang der CO2-Emissionen um sieben bis 25 Millionen Tonnen gegenüber 2019. "Hier rechnen wir mit einer Minderung der Emissionen vor allem durch weniger PKW-Verkehr", sagt Graichen. "Der PKW-Individualverkehr ist für rund 60 Prozent der Emissionen verantwortlich". Ausgelöst würde die Minderung vor allem durch die Einschränkungen des öffentlichen Lebens, und einer geringeren Reisetätigkeit.
Die zusätzlichen Minderungen von Treibhausgasen durch den eingebrochenen internationalen Flugverkehr bewerteten die Experten nicht. Dieser trägt weltweit zwischen fünf bis acht Prozent zur Klimaerwärmung bei, wird jedoch nicht in den nationalen Treibhausgasbilanzen berücksichtigt.
Konjunkturbelebung mit Klimaschutz
Um die Krise zu bewältigen und soziale Verwerfungen möglichst abzuwenden, wollen die Bundesregierung, die Europäische Zentralbank und die EU erhebliche Summen zur Verfügung stellen. "Wir müssen die gegenwärtige Corona-Krise so lösen, dass wir die Zukunftskrise Klimawandel, auf die wir mit ungebremster globaler Erwärmung zusteuern, gleich mit lösen", sagt der Chef vom Umweltbundesamt Dirk Messner. "Alle Konjunkturpakete für die Zeit nach Corona sollten darauf ausgerichtet sein, neben der Stützung von Beschäftigung und Wirtschaft gleichzeitig auch den europäischen Green Deal und den Klimaschutz voranzubringen. Es wäre fatal und äußerst kurzsichtig, wenn wir beim Umweltschutz jetzt Abstriche machen", so Messner gegenüber der DW.
Die Corona-Krise ist eine Gelegenheit, die globale Energiewende zu beschleunigen, betont Fatih Briol, Chef der internationalen Energieagentur (IEA) mit Sitz in Paris. Die Investitionen in erneuerbare Energien sollten "ein zentraler Bestandteil" aller Pläne der nationalen Regierungen sein, da dies "die doppelten Vorteile der Stimulierung der Volkswirtschaften und der Beschleunigung des Übergangs zur sauberen Energie" bringen würde.
Zur Weitsicht bei den anstehenden Konjunkturpaketen raten auch andere Energieexperten wie Claudia Kemfert vom DIW. Bei falschen Anreizen könnten nicht nur die durch Corona bedingten Emissionsminderung wieder rückgängig gemacht werden. Auch könnte der Ausstoß von CO2 wieder beschleunigt werden wie in den Jahren nach der Wirtschaftskrise in 2009.
Statt jetzt noch Geld für fossile oder rückwärtsgewandte Technologien zu verwenden, "sollte die Finanzhilfen streng an Investitionen für den Klimaschutz gekoppelt werden, um dann auch wirklich dauerhaft die Pariser Klimaziele einhalten zu können", so Kemfert gegenüber DW.
"Es muss ein grünes Wachstumspaket sein und nicht Investitionen in alte Technologien", betont auch Graichen. Er empfiehlt Investitionen in die grüne Wasserstofftechnologie , in nachhaltige Stahlproduktion, Investitionen in die Elektromobilität und und ein großangelegtes Programm zur energetischen Sanierung von Gebäuden. "Hier muss der Staat einspringen, weil viele Hausbesitzer jetzt durch die Corona-Krise zurückhaltender sind", sagt Graichen. "Durch den Kursverlust bei Aktien haben viele nun weniger Geld und auch durch die neuen Unsicherheiten auf dem Arbeitsmarkt, wird es Zurückhaltung geben."
Auch sollte die Bundesregierung die Bremse beim Solarausbau lösen, die durch das Auslaufen der Solarförderung im Sommer droht. "Diese Deckelung beim Solarausbau muss weg. Zudem brauchen wir nun zusätzliche Ausschreibungen für Solarkraftwerke." Ferner sollten keine Abstandsregeln zwischen Häusern und Windkraftanlagen gesetzlich vorgeschrieben werden wie es die Regierung bisher plant. Sinnvoll wäre stattdessen "ein Bonus für neue Windanlagen" und die Wiedereinführung von einfachen Einspeisevergütungen für kleine Windparks. "Das wären alles Elemente, um jetzt Investitionen zu stimulieren, das wäre gut."
Dass die Bundesregierung bereits in diese Richtung denken würde sehe er allerdings derzeit nicht.