Power-to-X statt Erdöl und Gas
25. Dezember 2019Power-to-X kann als wichtiger Baustein für eine klimaneutrale Energieversorgung dienen.
Alle gängigen Kraftstoffe und Chemikalien lassen sich damit künstlich herstellen. So könnten in Zukunft Erdöl, Gas und Kohle klimaneutral ersetzt werden. Als Basis dient erneuerbare Energie (power) vor allem aus Solar- und Windstrom. In weiteren Schritten (to-x) wird der Strom dann in Wärme, Wasserstoff oder synthetische Kraftstoffe umgewandelt.
"Wir beginnen jetzt mit dem Einstieg in die industrielle Produktion", erklärt Michael Sterner, Pionier dieser Technologie und Professor für Energiewirtschaft und erneuerbare Energiesysteme an der Ostbayrischen Technischen Hochschule Regensburg.
"Der Stand dieser Technik ist vergleichbar mit der Photovoltaik vor 20 Jahren. Damals war sie teuer, es gab keine Massenproduktion und nur wenige sahen das Potential. Jetzt ist Solarstrom unglaublich günstig und wird zum wichtigsten Energieträger. Eine ähnliche Entwicklung werden wir jetzt mit Power-to-X erleben. Als ersten Schritt kommt jetzt die Umwandlung zu Wasserstoff mit der Elektrolyse", sagt Sterner gegenüber der DW.
Aus Solar- und Windstrom wird klimaneutraler Wasserstoff
Strom aus Solar- und Windkraft wird weltweit immer günstiger. Dieser Strom wird zunehmend auch zum Heizen in Gebäuden genutzt und auch für die Wasserstoff-Erzeugung.
Zur Herstellung von Wasserstoff wird ein bekanntes Verfahren verwendet, die Elektrolyse: Gleichstrom wird durch Wasser (H2O) geleitet, das dadurch in Wasserstoff (H2) und Sauerstoff (O) aufgespalten wird. Verwendet man dafür Strom aus erneuerbaren Energien, ist der gewonnene Wasserstoff klimaneutral.
Wasserstoff lässt sich speichern und vielseitig einsetzen. Die Techniken und Verfahren sind bekannt und erprobt. So kann Wasserstoff etwa zur Stahlproduktion verwendet werden, er lässt sich verfeuern und erzeugt in einer Brennstoffzelle Strom: PKW, LKW und auch Schiffe lassen sich so mit Elektromotoren sauber antreiben.
Derzeit wird Wasserstoff allerdings noch vor allem aus Erdöl und Erdgas hergestellt und ist entsprechend klimaschädlich. Würde fossile Energie allerdings für enstehende Schäden entsprechend besteuert, würde "sich Wasserstoff als Alternative schnell durchsetzten", so Sterner.
Synthetische Kraftstoffe aus Wasserstoff und CO2
In weiteren Prozessen können aus Wasserstoff und CO2 auch Kraftstoffe wie Kerosin, Benzin oder Diesel synthetisch herstellt werden (power-to-liquid), ebenso können auch Basischemikalien (power-to-chemicals) hergestellt werden. Klimaschädliches Erdöl und Erdgas könnte so ersetzt werden.
Die Grundlagen der Wasserstoff-Synthese sind seit Jahrzehnten bekannt. Während des zweiten Weltkriegs wurde in Deutschland etwa große Mengen synthetisches Kerosin für die Luftwaffe produziert. Mit Blick auf den Klimaschutz bekam das Verfahren in den letzten Jahrzehnt neuen Schub und zahlreiche Demonstrationsanlagen wurden vor allem in Europa gebaut.
Mehr dazu. Klimaneutrales Öl aus Norwegen ab 2020
Woher kommt das CO2 für die Synthese?
Für die synthetische Produktion von Kraftstoffen werden Wasserstoff und CO2 gebraucht. Das CO2 kann derzeit zum Beispiel aus den Abgasen von Kohlekraftwerken gefiltert werden. Damit kann synthetisches Kerosin erzeugt werden, und im Düsentriebwerk eines Flugzeug wird das CO2 wieder freigesetzt.
Für die Einhaltung der Pariser Klimaziele muss jedoch die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas in den nächsten zwei Jahrzehnten weitgehend gestoppt werden. Wenn Kohlekraftwerke abeschaltet werden und nicht mehr als CO2-Quelle dienen, könnte dann CO2 zum Bespiel aus Zementwerken, Biogasanlagen oder aus der Umgebungsluft gefiltert werden.
Das Schweizer Unternehmen Climeworks ist global führend bei der CO2-Filterung aus der Luft und hat 2017 die erste kommerzielle Anlage in Hinwil (Schweiz) errichtet. Dort saugen die großen Ventilatoren der Absorber jährlich rund 900 Tonnen CO2 aus der Luft.
In Europa gibt es schon 14 CO2-Filteranlagen, weitere werden gebaut. Wenn die Nachfrage wächst, könnte eine industrielle Produktion dieser Anlagen beginnen und damit die Kosten schnell sinken. Nach Angaben von Climeworks kostet die CO2-Filterung aus der Luft heute rund 550 Euro pro Tonne CO2, bei einer großen Massenproduktion wie in der Photovoltaik oder dem Automobilsektor wären es nur noch 90 Euro.
Wissenschaftler halten sogar noch stärkere Preissenkungen für möglich. Die Kosten könnten laut einem Artikel in der Fachzeitschrift Joule bis 2050 auf unter 50 Euro pro Tonne C02 sinken.
Wie wird die Energienutzung effizient?
Doch bei der Umwandlung von Energie entstehen immer Verluste. "Ein Verbrennungsmotor ist eine Heizung auf Rädern. Dabei geht 80 Prozent der Energie als Wärme verloren und nur 20 Prozent wird für die Fortbewegung genutzt", erklärt Christian Breyer, Professor für Solarökonomie an der LUT University in Finnland. "Auch bei Kohle- oder Gaskraftwerken geht die Energie als Wärme verloren. Im weltweiten Schnitt sind es über 60 Prozent."
Auch beim Power to X Verfahren gibt es Wärmeverluste. Deshalb macht laut Breyer etwa der Einsatz von synthetisch erzeugtem Diesel in PKW grundsätzlich keinen Sinn.
Mit 15 kWh Strom aus einem Akku kann beispielsweise ein Elektroauto rund 100 Kilometer fahren.
Wird 15 kWh Strom zur Wasserstoff umgewandelt und eine Brennstoffzelle treibt das Auto an, ist die Reichweite nur 35 Kilometer.
Noch höher werden die Verluste durch die weitere Umwandlung zu Gas oder Diesel und die ineffiziente Nutzung anschließend im Verbrennungsmotor:
Mit synthetisch erzeugtem Gas aus 15 kWh Strom sinkt die Reichweite auf 20 Kilometer. Und beim synthetischem Diesel-PKW sind es nur noch 15 Kilometer, heißt es im Expertenbericht für das Verkehrsministerium der Bundesregierung.
Sinnvoll sind synthetisch erzeugte Kraftstoffe wie Kerosin oder Diesel jedoch vor allem für Flugzeuge und für Schiffe. Bereits gebaute Flugzeuge und Schiffe lassen sich so ohne Probleme auch noch die nächsten 30 Jahre nutzen.
Klimafreundliche Kraftstoffe für Luftfahrt und Chemie?
Synthetisch erzeugten Kraftstoffe sind eine Möglichkeit Klimaschäden in der Luftfahrt zu vermindern . "Wir wollen die marktfähige Entwicklung synthetischen Power-to-Liquid (PtL)-Kraftstoffen fördern", heißt es in einer Erklärung der deutschen Luftfahrtindustrie und Vertretern der Politik.
Auch die chemische Industrie sieht Handlungsbedarf: "2050 ist eine weitgehend treibhausgasneutrale Chemieproduktion in Deutschland technologisch vorstellbar", sagt Klaus Schäfer vom Verband der chemischen Industrie. Dafür würde staatliche Unterstützung gebraucht sowie "große Mengen erneuerbaren Stroms zu niedrigen Kosten."
Laut einer Studie im Auftrag der chemischen Industrie wird der Strombedarf durch die Verwendung von klimaneutralem Wasserstoff und dem Power-to-X-Verfahren stark ansteigen. In 15 Jahren bräuchte dann die chemische Industrie in Deutschland dafür so viel Strom wie Deutschland insgesamt im Jahr 2018.
Neue Chancen für Entwicklungs- und Schwellenländer
Laut Studien ist eine komplette Energieversorgung mit erneuerbaren Energien technisch möglich und auch wirtschaftlich.
Breyer hatte im April ein globales Energieszenario veröffentlicht zur Einhaltung des Pariser Klimaziels. Power-to-X spielt dabei eine wichtige Rolle in allen Regionen der Welt. Die Detailstudie für Europa rechnet damit, dass sich durch den Wegfall von Kohle, Erdöl und Gas und Umstellung auf strombasierte Kraftstoffe der Strombedarf im Vergleich zu heute vervierfachen würde.
"Machbar ist das. Die entsprechenden Strommengen können vor allem durch Solar- und Windkraft in Europa gedeckt werden und es wird nicht teurer", erklärt Breyer gegenüber der DW. "Was wir brauchen ist ein massiver Ausbau der Erneuerbaren Energien, kein Abbremsen wie bisher und eine Sicherheit für die Investitionen in die neuen Technologien."
Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe lassen sich auch außerhalb von Europa sehr gut herstellen. An Standorten mit besonders viel Sonne und Wind wäre dies besonders günstig und so könnten "diese Länder Geld mit Erzeugung Export von klimaneutralen Kraftstoffen verdienen", sagt Sterner. Gute Bedingungen dafür gibt es laut einer Fraunhofer-Studie zum Beispiel in Marokko, Ägypten, Somalia und Brasilien.