Corona legt Wirtschaftsmetropole Mumbai lahm
4. Mai 2021Rakesh Kumar Nayal betreibt einen Lebensmittelladen in einem Vorort von Mumbai. Der 55-Jährige führt das Geschäft schon seit 18 Jahren. "Der Umsatz ist um 25 Prozent zurückgegangen. Nur die Leute, die unsere Handynummern haben, bestellen noch bei uns, andere nutzen Online-Dienste wie Grofers und D-mart", sagt er. "Ich habe fünf Angestellte, aber bei vier Stunden Betrieb reicht es weder für ihr Gehalt noch für unsere Ausgaben. Manchmal taucht auch noch die Polizei auf und verlangt, den Laden zu schließen. Wir lassen unsere Rollläden herunter, und das Geschäfte läuft dann drinnen in diesem vollgepackten und sauerstoffarmen Raum weiter. Es ist sehr schwierig."
Hunderte von Einzelhändlern in Mumbai, Indiens Finanzzentrum, kämpfen mit ähnlichen Problemen. Am stärksten betroffen sind Läden, die mit nicht lebensnotwendigen Waren handeln; sie dürfen nicht einmal für vier Stunden öffnen.
Normalerweise liegt die jährliche Wirtschaftsleistung des Bundesstaates Maharashtra mit seiner Hauptstadt Mumbai bei umgerechnet 250 Milliarden Euro. Dann aber wurden am 4. April der Lockdown für die Wochenenden und eine nächtliche Ausgangssperre verhängt; am 14. April folgte ein vollständiger Lockdown, um die zweite Welle der Pandemie einzudämmen, die das Land derzeit überrollt.
Die Regierung verfügte etwas später, dass Geschäfte für die Grundversorgung noch von 7 bis 11 Uhr öffnen dürfen. Für alle anderen Geschäfte und Dienstleister, also Einkaufszentren, Kinos, Clubs, Restaurants, Bars und Schönheitssalons, heißt das aber, dass sie komplett geschlossen bleiben.
Rajesh Tope, der Gesundheitsminister des Bundesstaates Maharashtra, kündigte jetzt an, diese Einschränkungen würden bis zum 15. Mai verlängert, um "die Kette des COVID-19-Virus zu unterbrechen".
Düstere Zukunft
Kumar Rajagopalan, vom Einzelhandelsverband "Retailers Association of India" (RAI), findet, die Regierung solle die Lieferung von nicht lebensnotwendigen Waren nach Hause erlauben, um einen Teil des Konsums weiter zu ermöglichen und so die Geschäfte am Laufen halten zu können.
"Die Leute benötigen täglich nicht nur Lebensmittel, und sie sollten in der Lage sein, diese anderen Waren ohne Schwierigkeiten zu besorgen", sagte Rajagopalan der DW. "Wie will die Regierung diese nicht lebensnotwendigen Geschäfte denn finanziell unterstützen?"
Der Präsident des Kinobetreibers "Multiplex Association of India", Kamal Gianchandani, wandte sich mit einem Brandbrief an den Regierungschef von Maharashtra. Die Kinobranche habe acht Monate lang überhaupt keine Einnahmen erzielt, und auch in den fünf Monaten Öffnung zwischendurch nur sehr wenig eingenommen, schrieb er - nun stehe die Branche vor dem möglichen Bankrott. "Der Kino-Sektor wurde in der ersten Phase der Schließungen am härtesten getroffen und wird auch in der zweiten Phase stark betroffen sein", so Gianchandani.
Einkaufszentren und Hotels stehen vor ähnlichen Problemen. "Fast 35 Prozent der Hotels und Restaurants bleiben im Bundesstaat aufgrund der Abriegelung geschlossen", betonte Pradeep Shetty vom Verband der Hotel- und Restaurant-Betreiber HRAWI. "Der Umsatz der verbleibenden Betriebe liegt 50 Prozent unter dem Niveau vor der Pandemie. Mit der jüngsten Schließung werden mindestens 30 Prozent der Restaurants aufgeben müssen."
Gurvineet Singh, Geschäftsführer des Viviana-Einkaufszentrum in Mumbai, beklagt, die Malls in Maharashtra seien die letzten gewesen, die nach dem ersten, fünf Monate dauernden Lockdown im ganzen Land wieder geöffnet wurden. "Wir waren gerade dabei, uns von der ersten Welle zu erholen, da kam die zweite Welle. Wir haben nie irgendeine Hilfe von der Regierung bekommen", sagte Singh der DW.
Ein Fünf-Millarden-Dollar-Verlust
Maharashtra ist gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) der reichste Bundesstaat des Landes und trägt etwa 15 Prozent zum gesamten indischen BIP bei. Die Rating-Agentur "Care Ratings" aus Mumbai schätzt, dass in jedem Monat des Lockdowns etwa 5,4 Milliarden Dollar Wirtschaftskraft verloren gehen.
Auch Indranil Sen Gupta und Aastha Gudwani von "BofA Securities" haben die möglichen Auswirkungen eines landesweiten Lockdowns untersucht: "Ein Monat mit landesweiter Abriegelung kostet ein bis zwei Prozent des BIP. Im Blick auf unsere Prognose von neun Prozent realem Wirtschaftswachstum für 2022 liegt das Risiko damit bei einem Abschlag von drei Prozent."
Die Kontrolle der Pandemie bleibt auch in der Einschätzung die Beratungsagentur S&P das Hauptrisiko für die indische Wirtschaft: "Die Auswirkungen eines landesweiten Lockdowns auf die Wirtschaft könnten je nach Länge und Umfang erheblich sein", heißt es in dem Bericht.
Nichtsdestotrotz haben nach Maharashtra auch viele andere indische Bundesstaaten einen vollständigen oder teilweisen Lockdown angekündigt, um das Virus einzudämmen. Für den Moment ist nur klar, dass der Aufschwung der indischen Wirtschaft durch die zweite Welle des Coronavirus gestoppt wurde. Offen ist, wie die indische Regierung nun mit den extrem hohen Fallzahlen und den Folgen für die Wirtschaft umgeht.
Aus dem Englischen von Andreas Rostek-Buetti