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PolitikEuropa

"Stoppt den Impf-Genozid!"

Cristian Stefanescu
18. Mai 2021

Die Impfkampagne in Rumänien gehört zu den schnellsten in der EU. Sogar Impfungen ohne Termin sind möglich. Doch sie könnte ins Stocken geraten - nicht nur wegen Impfgegnern und Verschwörungstheoretikern.

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Proteste von Impfgegnern in Bukarest
Bild: Cristian Ștefănescu/DW

Mit rumänischen Flaggen, Kreuzen und orthodoxen Heiligenbildern in den Händen protestierten Hunderte Impfgegner in Bukarest gegen eine vermeintliche "medizinische Diktatur". Dass die rumänische Regierung vergangene Woche Lockerungen der Corona-Regeln angekündigt hat - zum Beispiel müssen draußen, bis auf wenige Ausnahmen, keine Masken mehr getragen werden wie bisher - sei den Demonstranten zu verdanken. Es sei deren "Sieg", war auf der Demo am Wochenende zu hören. Doch diese Lockerungen seien auch eine Falle: statt durch den "Maulkorb" der Maske würden die Grundrechte nun durch eine angebliche "Impfpflicht" und den Impfpass eingeschränkt, brüllten einige der Demonstranten ins Megaphon.   

Das "grüne Zertifikat", der Impfnachweis, über den in Rumänien und anderen EU-Ländern gesprochen wird, sei wie eine Kopie "des grünen deutschen Ahnenpasses", sagte ein Mann mittleren Alters auf der Demo, auf dessen blauem Hemd ein gelber Davidstern mit der Aufschrift "Not Vaxed" zu sehen war, und fügte hinzu: "Nächstes Jahr werden wir sogar Lager haben!". Ein anderer Teilnehmer stimmte ihm zu: "Ich habe in einem englischsprachigen Artikel gelesen, dass im US-Bundesstaat New York einem Gesetz zugestimmt wurde, dass es ermöglicht, Menschen auf unbestimmte Zeit in Lagern zu internieren, die eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit sind." Er wisse zwar nicht, ob das stimme, weil er nicht selber dort gewesen sei. "Aber in den USA gibt es ein Netzwerk von 300 Lagern, sie haben auch Guillotinen...." Davon scheint er sehr überzeugt zu sein. 

Soziologe: "Ältere Menschen in Rumänien besonders anfällig für Verschwörungstheorien" 

Wie entstehen so abstruse Verschwörungstheorien und wer ist dafür besonders anfällig? Der Soziologe Cătălin Stoica von der Uni Bukarest erforscht diese Phänomene zu Pandemie-Zeiten zusammen mit seinem Kollegen Radu Umbreș. Eine der Schlussfolgerungen sei nur auf den ersten Blick überraschend, meint Stoica: "Besonders anfällig für solche Verschwörungstheorien sind nicht die am wenigsten gebildeten Menschen, sondern eher jene mit einem mittleren oder sogar hohen Bildungsniveau. Wahrscheinlich, weil Letztere sich für besser informiert halten." Es sei eine Art "Kompetenz-Illusion". Ein anderer Faktor seien die sozialen Kontakte: "Jemand, der wenige Freunde hat und wenig Kontakt zu Familienmitgliedern usw., ist besonders gefährdet."

Ein Demonstrant mit einem gelben Stern auf der Impfgegner-Demo in Bukarest am 15. Mai
"Ich lasse mich nicht impfen" steht auf dem gelben Stern dieses Demonstranten Bild: Cristian Ștefănescu/DW

Außerdem seien gerade in Rumänien ältere Menschen anfälliger für Verschwörungstheorien als jüngere. Cătălin Stoica sieht darin auch ein Erbe der kommunistischen Diktatur: Damals, vor über 30 Jahren, waren alle Medien zensiert, und für die Menschen "wurden Gerüchte und Verschwörungstheorien zu wichtigen Informationsquellen".

Angst vor Bill Gates, den Ungarn - und der Apokalypse 

Auf der Impfgegner-Demo in Bukarest war eine Mischung von konfusen Botschaften zu hören, von den angeblichen Plänen des Milliardärs Bill Gates bis zu einer nahenden Apokalypse oder vermeintlichen dubiosen Machenschaften der ungarischen Regierung in der Region Siebenbürgen. Besonders radikal war ein Demonstrant in einem weißen Schutzanzug mit gelbem Davidstern mit der Aufschrift "Stoppt den Impf-Genozid!" Er sei grundsätzlich gar nicht gegen Impfungen, behauptete der Mann im Gespräch mit dem DW-Reporter. "Aber hier geht es um einen Genozid. Dies sind nicht die klassischen Impfstoffe, sondern genetisch modifizierte Substanzen, für die totale Kontrolle". Das Ziel sei nichts Geringeres als die Dezimierung der Weltbevölkerung.

Verschwörungstheorien verbreiten sich in Rumänien vor allem über soziale Medien, unter dem Einfluss von Impfgegner-Gruppen, erklärt der Soziologe Cătălin Stoica. Er kritisiert auch "die unglückliche Rolle" rumänischer TV-Sender, die hohe Reichweiten erzielen, "indem sie Prominenten eine Plattform geben, die gegen die Impfungen sind oder die Realität des Coronavirus und der Pandemie leugnen". 

Wie geht es weiter mit der Impfkampagne? 

Die Impfkampagne in Rumänien gehört zu den schnellsten in der Europäischen Union. Es gibt keine Priorisierung mehr, sogar Impfungen ohne Termin sind möglich. Das Koordinierungskomittee der rumänischen Impfkampagne meldete am Sonntag rund vier Millionen Geimpfte, das entspricht fast einem Viertel der Gesamtbevölkerung. Die Pandemie hat das marode Gesundheitssystem des östlichen EU-Landes schwer getroffen, viele Intensivstationen waren überfüllt und es kam sogar zu tragischen Unfällen in Krankenhäusern, die Patienten das Leben kosteten. Jetzt entspannt sich die Lage, die Inzidenz sinkt seit Wochen - genauso wie die Zahl der Covid-Patienten auf Intensivstationen.

Fast ein Viertel der rumänischen Bevölkerung ist schon geimpft
Fast ein Viertel der rumänischen Bevölkerung ist schon geimpftBild: Daniel Mihailescu/AFP/Getty Images

Ganz so schnell wie der rumänische Premier Florin Cîțu vor einem Monat prognostizierte, geht die Impfkampagne aber nicht: Damals sprach er noch von 10 Millionen Geimpften bis Ende Juni. Er räumte inzwischen ein, dass diese Zahl nicht so schnell erreicht werden könne, während Präsident Klaus Iohannis ankündigte, man plane, dass bis zum 1. Juni fünf Millionen Menschen geimpft sind und bis zum 1. August sieben Millionen.

Gesundheitsexperte: Zusätzliche Lockerungen für Geimpfte sind nötig 

Nun komme die Impfkurve aber ins Stocken, meint Răzvan Cherecheș, Professor für Gesundheitspolitik in Bukarest, in einem Gespräch mit dem Radiosender Digi FM. Die Politiker müssten verantwortlich handeln und den Geimpften "zusätzliche Erleichterungen anbieten, weil diese ja ein geringeres Risiko für sich selbst und ihre Mitmenschen sind".

Ein anderes Problem sei die Infrastruktur, gibt der Soziologe Cătălin Stoica zu bedenken: "44 Prozent der Bevölkerung leben in Dörfern, und dort hat man keine Orte, wo man sich impfen lassen kann". Gerade für ärmere Dorfbewohner ist es teuer und aufwendig, zum Impfen in eine größere Stadt zu reisen.  

Alles in allem sei der Anteil der Impfgegner und Impfskeptiker in Rumänien nicht deutlich höher als der europäische Mittelwert, sagt der Soziologe. Und Demos von Corona-Leugnern und Impfgegnern, die an abenteuerliche Verschwörungstheorien glauben, kennt man inzwischen auch aus Deutschland. 

Adaption aus dem Rumänischen: Dana Alexandra Scherle