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Steigende Corona-Zahlen in ganz Europa

Barbara Wesel
6. November 2021

Die Weltgesundheitsorganisation warnt vor einer vierten Corona-Welle in Europa. Viele Länder erleben einen steilen Anstieg von Neuinfektionen und Erkrankungen. Experten fürchten um Gesundheitssysteme und Todesfälle.

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Beatmung eines Corona-Patienten auf einer Intensivstation
Beatmung eines Corona-Patienten auf einer IntensivstationBild: picture alliance/dpa

Nach Ansicht der Experten bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist es ein Bündel von Ursachen, die zu einem dramatischen Anstieg von neuen Corona-Infektionen in Europa führen. Immer noch regiert in vielen Ländern die Impfskepsis, kälteres Wetter treibt die Menschen nach drinnen, der Wille zum Maskentragen ist vielfach erschöpft, und der Impfschutz lasse etwa fünf Monate nach der ersten Dosis wieder nach. Auch gilt die verbreitete Delta-Variante der Krankheit als 10 Prozent mehr ansteckend. 

Der für Europa zuständige WHO-Experte Hans Kluge nannte die gegenwärtige Verbreitungsgeschwindigkeit "ernsthaft besorgniserregend". Er sieht Europa im Epizentrum einer neuen Pandemiekrise. Epidemiologen befürchten, die vierte Welle könnte sich von Osteuropa aus, wo die Infektionszahlen hoch sind und die Zahl der Geimpften niedrig, nach Westen ausbreiten.

Niederlande

Gut einen Monat, nachdem in den Niederlanden die letzten Corona-Maßnahmen aufgehoben worden waren, musste die Regierung erneut eine Kehrtwende machen. "Wir haben eine harte Botschaft heute Abend", erklärte Premier Mark Rutte am Freitagabend, "hart, weil wir leider mehr von den Bürgern verlangen müssen, denn Infektionszahlen und Einweisungen ins Krankenhaus gehen schnell hoch". Die Neuinfektionen waren innerhalb von einer Woche um 40 Prozent gestiegen. 

Maskenpflicht in den Niederlande
Die Niederländer müssen wieder Maske tragenBild: Robin Utrecht/picture alliance

Seit diesem Samstag ist das Tragen von Masken in Innenräumen wieder zur Pflicht geworden, und Niederländer müssen einen Corona-Pass vorzeigen, wenn sie Museen, Terrassen von Restaurants oder ihren Arbeitsplatz aufsuchen wollen. Die Regierung fordert die Bürger erneut auf, von zu Hause zu arbeiten und den öffentlichen Nahverkehr zu meiden. 

Die Infektionszahlen zeigen nach oben, obwohl das niederländische Gesundheitsministerium schätzt, dass 84 Prozent der Bürger zweimal geimpft sind, unter ihnen zunehmend auch junge Leute. Das würde für eine relativ hohe Zahl an "Durchbruchinfektionen" sprechen. Bisher gibt es keinen Aufruf der allgemeinen Bevölkerung zu einer Drittimpfung. Er gilt zunächst nur für Menschen mit einer Immunschwäche. 

Tschechien

Die tschechische Republik gehört zu den am schwersten von COVID-19 betroffenen Ländern in Europa. Die inzwischen abgewählte populistische Regierung versäumte, Schutzmaßnahmen während der ersten Wellen anzuordnen, was zu einer der prozentual höchsten Todesraten in der EU führte. Auch in Tschechien stiegen Ende Oktober die Zahlen der Neuinfektionen und schweren Fälle wieder steil an. Seit Anfang der Woche gelten deshalb erneut die Maskenpflicht in Innenräumen und der Corona-Pass für Besucher von Bars und Restaurants.

Tschechien | Coronavirus: Impfen im Krankenhaus
Impfzentrum in einem teschechischen Krankenhaus - 15.000 Dosen kamen aus DeutschlandBild: Slavomir Kubes/CTK/dpa/picture alliance

Weniger als 60 Prozent der Tschechen sind voll geimpft, womit sie unter den impfunwilligen Osteuropäern noch gut relativ dastehen. Eine neue Impfkampagne jedoch zieht derzeit Tausende von bierliebenden Tschechen an: Der Hinweis, dass sie ihr Glass Pilsner im Lokal ab jetzt nur noch mit Impfpass bekommen, scheint Wirkung zu zeigen. 

Rumänien und Bulgarien

Beide Länder sind die Schlusslichter beim Kampf gegen Corona in Europa. In Rumänien liegt die Impfquote mit etwa 37 Prozent nur bei der Hälfte des EU-Durchschnitts. Und der Preis ist hoch: Die vergangene Woche sah die höchste tägliche Zahl von Corona-Toten seit Beginn der Pandemie. Alle fünf Minuten erliegt ein Rumäne der Krankheit, so berechnete zuletzt das nationale Impfinstitut. Damit steigt Rumänien in die Spitzengruppe der meist betroffenen EU-Länder auf. 

Die Notfallexperten der Regierung in Bukarest vergleichen die Situation im Land inzwischen mit der italienischen Lombardei zu Beginn der Pandemie. Krankenhäuser und Ärzte im Land sind überfordert. Der erneute heftige Ausbruch der Krankheit hat auch politische Gründe: Eine Übergangsregierung hatte im Sommer alle Schutzmaßnahmen vorzeitig aufgehoben. Seitdem erlebt Rumänien eine Regierungskrise nach der anderen, wodurch das Misstrauen der Bürger in die Behörden noch bestärkt wird. 

Warum Bulgaren sich nicht impfen lassen

Das Land mit der geringsten Impfquote in der EU ist unterdessen Bulgarien, wo die Statistik zeigt, dass nur ein Viertel der Bürger geimpft sind. Auch hier trifft eine tödliche Mischung von Misstrauen in offizielle Stellen, Aberglaube und Fake News zusammen. Sogar führende Mediziner verbreiten Anti-Impf-Botschaften und empfehlen Kräutertee gegen Corona. Inzwischen muss Bulgarien schwer erkrankte Patienten in Nachbarländer zur Behandlung schicken, und die EU-Kommission will Sofia mit medizinischem Material helfen. 

Frankreich 

Am Dienstagabend will sich Präsident Emmanuel Macron einmal mehr an die Nation wenden: Die wöchentlichen Corona-Infektionen lagen Ende Oktober um rund 50 Prozent höher als zu Monatsbeginn. Voraussichtlich wird die Pflicht, in allen öffentlichen Orten den Corona-Pass vorzuweisen, bis ins nächste Jahr hinein verlängert. Frankreich hatte im Herbst mit durchgreifenden Maßnahmen, unter anderem eine Impfpflicht für Beschäftigte im Gesundheitswesen oder der Polizei, die Impfquote auf 88 Prozent aller Erwachsenen erhöht. Damit gehört das Land zur europäischen Spitzengruppe.  Inzwischen raten Mediziner, die dritte Runde der Booster-Impfungen schneller auszuweiten. Sie gilt derzeit für Bürger ab 65 Jahren. Regional kommt etwa für Schulkinder auch die Maskenpflicht zurück, die überall im Land in Innenräumen für Erwachsene weiter gilt. 

Frankreich TV-Rede Macron
Präsident Macron kündigte schon im Juli eine Impfpflicht für Mitarbeiter im Gesundheitswesen und den COVID-Pass anBild: Ludovic Marin/AFP

Deutschland

In Deutschland entschieden die Gesundheitsminister der Länder am Freitag, die dritte Runde der Booster Impfungen auf alle Bürger auszuweiten, die ihre Zweitimpfung vor mindestens einem halben Jahr erhalten haben. Grund ist ein dramatischer Anstieg der Neuinfektionen: "Die vierte Welle ist mit voller Wucht da", warnte der geschäftsführende Gesundheitsminister Jens Spahn. Er macht die hohe Zahl der Ungeimpften für das Aufflammen der Krankheit verantwortlich. Das nationale Zentrum zur Pandemiekontrolle (Robert Koch-Institut) registrierte Ende der Woche den höchsten täglichen Anstieg von Infektionen seit Beginn der Pandemie. 

Corona Impfstoff Moderna Biontech Pfizer
Impfstoff ist da - nur die Impfquote lässt zu wünschen übrigBild: Marcus Brandt/dpa/picture alliance

Experten beschreiben das Risiko für Ungeimpfte, sich anzustecken, als "sehr hoch" und nennen die Lage "beunruhigend“. Deutschlands Achillesferse ist eine überproportional niedrige Impfquote. Nur 67 Prozent der erwachsenen Deutschen sind voll geimpft, weit weniger als in vergleichbaren großen EU-Ländern wie Italien, Frankreich oder Spanien. Impfskepsis und individualistischer Widerstand gegen staatliche Vorschriften sind nach wie vor verbreitet. Und die Regierung hat bisher von Zwangsmaßnahmen abgesehen, obwohl in vielen Bundesländern inzwischen der Corona-Pass beim Besuch von Restaurants oder Sportstätten Pflicht ist.

Österreich

In Österreich ist das Bild ähnlich wie bei den Nachbarn in Deutschland. "Es ist wichtig, dass wir Entscheidungen treffen, bevor die Intensivstationen voll sind", erklärte der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig in der vergangenen Woche. Auch in Österreich sind die Neuinfektionen pro Tag auf den höchsten Stand seit Beginn der Pandemie angestiegen. Deswegen werden vom Wochenbeginn an alle ungeimpften Personen aus Cafés, Restaurants, Friseursalons oder Veranstaltungen mit mehr als 25 Teilnehmern ausgeschlossen. Auch bei der Zahl der Impfungen ähneln sich die Probleme: Nur rund 65 Prozent der Österreicher sind voll geimpft, weshalb Experten auch hier von einem erneuten Ausbruch der Krankheit vor allem unter Ungeimpften ausgehen.