Coronavirus: Erdogan verteidigt homophobe Theorie
28. April 2020Der Präsident der türkischen Religionsbehörde Diyanet Ali Erbas ist bekannt für seine konservative Auslegung des Islams und eine Wertauffassung, die für viele seiner Kritiker nicht in diese Zeit passt. Seinem Ruf wurde er bei seiner ersten Predigt anlässlich des Fastenmonats Ramadan wieder einmal gerecht: Er stellte bewusst Homosexuelle an den Pranger, indem er den Ausbruch des Coronavirus auf Homosexualität und Ehelosigkeit zurückführte. "Sie verfault die Generation und bringt Krankheiten". Der Islam verfluche Homosexualität, so der oberste islamische Gelehrte der Türkei.
Die Aussage wurde von zivilgesellschaftlichen Gruppierungen, Anwälten und säkularen Politikern mit Empörung aufgenommen. Erbas habe ein Hassverbrechen begangen und das Tor für Diskriminierung geöffnet, so der Grundtenor. Für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan wiederum hat Erbas nur seine Pflicht erfüllt. "Die Bewertung wurde unter Berücksichtigung des Islams und des Korans vorgenommen", sagte er am Montag nach einer Kabinettssitzung. Die Aussage der Behörde, die ihm direkt unterstellt ist, sei "von vorne bis hinten korrekt", bekräftigte Erdogan.
Erdogan positioniert sich gegen LGBTIQ+
Auch teilte er kräftig gegen die Kritiker aus - besonders die Anwaltskammer von Ankara, die sich vehement gegen die Aussage des Diyanet-Präsidenten gestellt hat. Ihre Kritik an Erbas sei nichts anderes, als ein Angriff auf den Islam und auf den türkischen Staat.
Zuvor hatte die Anwaltskammer von Ankara in einer schriftlichen Erklärung betont, dass der Diyanet-Präsident die Öffentlichkeit zu Feindseligkeit anstachele. Zudem kritisierten die Juristen, dass Erbas homophobe Aussage kein Einzelfall gewesen sei; während seiner Amtszeit habe er des Öfteren Vergewaltiger von Kindern und Frauenfeinde in Schutz genommen.
Regierung solidarisiert sich mit Religionsbehörde
Die Erklärung der Hauptstadt-Anwälte befeuerte eine Debatte über Homophobie im Spannungsfeld mit der islamischen Tradition. Auf Twitter mobilisierten nun auch die Anhänger der türkischen Regierungspartei AKP. Sie solidarisierten sich mithilfe des Hashtags "Ali Erbas ist nicht allein" mit dem Präsidenten der Diyanet. Zahlreiche Regierungsvertreter schlossen sich dem Hashtag an - darunter auch der Sprecher des türkischen Präsidenten Ibrahim Kalin und AKP-Sprecher Ömer Celik.
Letzterer bezeichnete die Kritik der Anwaltskammer auf seinem Twitter-Kanal als "faschistisch und unhöflich". Celik nahm den Diyanet-Präsidenten in Schutz, indem er darauf verwies, dass jeder im Rahmen seines eigenen Wertesystems ein Recht auf Meinungsfreiheit habe. Kurz nach seinem Tweet reagierte auch die Staatsanwaltschaft von Ankara: Sie leitete Ermittlungen gegen die Anwaltskammer ein. Die Begründung: "Beleidigung religiöser Werte, die von einem Großteil der Bevölkerung geteilt werden."
Für Elifcan Demirtas, Mitglied der Anwaltskammer und Spezialist für LGBTIQ+-Rechte, ist diese Anzeige "ein trauriges Beispiel dafür, wie weit der Hass bereits verbreitet ist".
Zudem betonte sie, dass Aussagen, die LGBTIQ+-Personen die Schuld für die Corona-Epidemie zuweisen, eine "ersthafte Gefahr" darstellen; sie würden Gewalttaten in der Gesellschaft legitimieren.
"Unwissenschaftlich und diskriminierend"
Zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen haben sich neben der Anwaltskammer von Ankara in den vergangenen Tagen der Kritik gegenüber der obersten Religionsbehörde angeschlossen. "Unsere Reaktion war heftig, weil wir erleben, wie diese staatliche Institution Hassverbrechen begeht und diskriminiert", sagt Yildiz Tar - Mitglied des Vereins KAOS GL, der sich gegen die Diskriminierungen von LGBTIQ+-Personen einsetzt.
Die Aussage sei "unwissenschaftlich und diskriminierend gegenüber der LGBTIQ+-Gemeinde und in diesem Jahrhundert Schwachsinn. (...) Die Diyanet sollte ihre Verantwortung in der Gesellschaft besser kennen", findet Tar.
Firat Soyle von der LGBTIQ+-Beratungsstelle Lambdaistanbul findet noch drastischere Worte, er bewertet die Aussage Erbas als "Verfassungsverbrechen". "Erbas hat gegen das Prinzip des friedlichen Zusammenlebens verstoßen, indem er sich über die Verfassung gestellt hat. Denn laut Verfassung ist jeder Bürger in der Gesellschaft gleich."
Die Verstaatlichung von Homophobie
Schon seit vielen Jahren gehen Behörden massiv gegen die LGBTIQ+-Szene vor. Bei der Istanbuler Gay-Pride-Parade auf der Istiklal Caddesi, der Hauptstraße des liberalen Stadtteils Beyoglu, kam es im vergangenen Sommer sogar zu Zusammenstößen mit der Polizei. Mit Tränengas und Gummiknüppeln gingen Einsatzkräfte gegen Paradenteilnehmer vor, die auch ohne Genehmigung der Stadt für mehr Rechte demonstrierten wollten.
2014 wurde die Gay-Pride-Parade in Istanbul zuletzt genehmigt - ein Jahr zuvor hatten sich sogar 100.000 Menschen daran beteiligt. Doch seitdem wurden keine Demonstrationen von den regierungsnahen Gouverneuren mehr erlaubt.