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Politik

Cotonou 2.0: Nagelneu und schon angestaubt

Jan Philipp Wilhelm
5. Mai 2021

Das neue Grundsatzabkommen zwischen der EU und den Staaten Subsahara-Afrikas, der Karibik und des Pazifiks ist erst wenige Wochen alt, da fordern viele in Afrika schon ein Update. Woher kommt der Unmut?

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Brüssel | PK Jutta Urpilainen und Robert Dussey
OACPS-Verhandlungsführer Dussey und EU-Kommissarin Urpilainen präsentieren das neue PartnerschaftsabkommenBild: Olivier Hoslet/AFP/Getty Images

Internationale Abkommen sind eine komplizierte Sache - selbst dann, wenn nur zwei oder drei Staaten miteinander verhandeln. Noch komplizierter wird es, wenn gleich 106 Länder auf einmal ihre jeweiligen Interessen und Machtansprüche untereinander austarieren und rechtsverbindlich regeln wollen.

Es verwundert daher kaum, dass sich die Verhandlungen über ein neues Grundsatzabkommen zwischen den 27 EU-Staaten und den 79 Mitgliedsländern der Organisation afrikanischer, karibischer und pazifischer Staaten (OACPS, ehemals AKP) über mehr als drei Jahre hingezogen haben, bevor Mitte April endlich ein Durchbruch vermeldet werden konnte. Und ebenso wenig überrascht, dass nicht alle, die von dem in Anlehnung an das Vorgängerabkommen als "Cotonou 2.0" oder "post-Cotonou" bezeichneten Deal betroffen sein werden, mit den Ergebnissen zufrieden sind. 

Afrikanische Bedürfnisse nicht berücksichtigt? 

Ausgerechnet in Subsahara-Afrika, der für die EU wichtigsten der drei OACPS-Regionen, scheint der Unmut groß. Selbst OACPS-Verhandlungsführer Robert Dussey, Außenminister von Togo, räumt im DW-Interview ein, dass es hätte besser laufen können: "Wir waren uns untereinander nicht einig. Die EU wusste aber sehr genau, was sie wollte." 

Für Unzufriedenheit sorgt nun allerdings weniger das Thema Menschenrechte, bei dem es während der Verhandlungen immer wieder Unstimmigkeiten gegeben hatte - etwa mit Blick auf Fragen der sexuellen Orientierung. Stattdessen sehen Wirtschaftsvertreter und Beobachter in Afrika ein viel grundsätzlicheres Problem: Obwohl das Abkommen noch gar nicht ratifiziert ist, halten sie Teile der Einigung mit der EU schon jetzt für überholt. 

Nigeria Homosexualität Polizei-Razzia in Lagos
Der Umgang mit Homosexualität war ein Streitpunkt des AbkommensBild: Reuters/T. Adelaja

Schon das Format des Abkommens sei nicht mehr zeitgemäß, sagt John Maré, früherer stellvertretender südafrikanischer Botschafter bei der EU und Spezialist für EU-Afrika-Beziehungen. "Die Bedürfnisse von kleinen Inselstaaten in der Karibik und im Südpazifik sind ganz andere als in Kontinentalafrika, wo es riesige Länder wie beispielsweise den Kongo gibt. Das sind völlig unterschiedliche Interessensgebiete", so Maré. 

Fokus auf Umwelt und nachhaltige Entwicklung

Zwar gebe es diesmal, anders als noch im Cotonou-Abkommen von 2000, eine sogenannte "Drei-plus-eins-Struktur", die die individuellen Bedürfnisse der drei Partnerregionen unter dem Schirm des Grundsatzabkommens stärker berücksichtigen soll. Doch Maré ist skeptisch: "Wir hoffen, dass es einen größeren regionalen Fokus geben wird, aber der Teufel liegt bei diesen Dingen manchmal im Detail." 

Begrüßenswert sei aber, dass die Themen Klima, Umwelt und nachhaltige Entwicklung im neuen Abkommen explizit als Schwerpunkte der künftigen Zusammenarbeit festgehalten seien, so Maré. Der europäische Green New Deal, das milliardenschwere Investitionsprogramm der EU für den nachhaltigen Umbau der Wirtschaft, könne so auch eine Chance für Afrika werden. Dass die EU es diesbezüglich ernst meine, zeige etwa das EU-Africa Green Investment Forum der Europäischen Investitionsbank, das Ende April in Lissabon stattfand. 

Windenergie in Kenia
Endlich im Fokus: nachhaltige EntwicklungBild: picture-alliance/Photoshot/Z. Yingquan

Auch der ghanaische Unternehmensberater Michael Kottoh findet, dass die Einigung mit Blick auf die Wirtschaftsbeziehungen die richtigen Prioritäten setzt: "Ich gehe davon aus, dass das Abkommen für Unternehmen in Ghana und anderen afrikanischen Ländern neue Möglichkeiten und Investitionen im Bereich grüne Technologien und in der Digitalwirtschaft bringen wird." Aktuell sei aber noch unklar, wie afrikanische Firmen diese neuen Möglichkeiten für sich nutzen könnten - diesbezüglich sei eine schnelle Aufklärung wichtig.  

"Verpasste Chance" 

Doch bei aller Vorfreude über mögliche neue Investitionen aus Europa treibt afrikanische Unternehmer und Politiker vor allem eine Frage um: Was bedeutet das Post-Cotonou-Abkommen für das innerafrikanische Freihandelsabkommen AfCFTA, das derzeit auf dem Kontinent implementiert wird? 

Denn während das AfCFTA einmal analog zum europäischen Binnenmarkt den freien Handel auf dem gesamten Kontinent inklusive Nordafrikas ermöglichen soll, regelt Cotonou 2.0 lediglich die Rahmenbedingungen für den Handel zwischen der EU und den Ländern südlich der Sahara. Dadurch entstehe ein potenzielles "Minenfeld voller Probleme", konstatiert der südafrikanische Ex-Diplomat John Maré - etwa durch mögliche Handelshemmnisse zwischen Staaten in Nord- und Subsahara-Afrika, die gleichzeitig Handel mit der EU treiben wollen. 

Warenverkehr an der Grenze zwischen Elfenbeinküste und Ghana
Streitpunkt: Wie lassen sich Afrikas Binnenhandel und der Außenhandel mit der EU in Einklang bringen?Bild: Getty Images/AFP/S. Kambou

Von einer "verpassten Chance" spricht deshalb auch Unternehmsberater Michael Kottoh: "Es wäre wunderbar gewesen, Synergien zwischen den beiden Abkommen zu schaffen. Davon hätten beide profitiert. Aber das AfCFTA wird im Post-Cotonou-Abkommen leider kaum erwähnt." Kottoh hofft, dass das neue Grundsatzabkommen entsprechend angepasst wird. Ansonsten könnte am Ende auch die EU das Nachsehen haben: "Die afrikanische Freihandelszone wird zur geopolitischen Kraft werden, zuerst auf dem Kontinent selbst und dann in der ganzen Welt. Wenn die EU das nicht rechtzeitig erkennt, kann es gut sein, dass die verschiedenen Abkommen mit der EU für Afrika am Ende nicht mehr so relevant sein werden." 

Vision gemeinsame Freihandelszone

Diese Gefahr sieht auch der Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft. Es sei ein Fehler, dass die Vision eines Kontinent-zu-Kontinent-Vertrags zwischen der EU und der Afrikanischen Union (AU) nicht aufgegriffen worden sei, erklärte Hauptgeschäftsführer Christoph Kannengießer in einer Pressemitteilung. "Das eigentliche Ziel sollte darin bestehen, in Verhandlungen über eine Freihandelszone zwischen der EU und der AU einzutreten." Er hoffe daher, dass das Post-Cotonou-Abkommen für Afrika lediglich eine Übergangslösung sein werde. 

Ob die Verantwortlichen in Brüssel, allen voran die EU-Kommissarin für Internationale Partnerschaften Jutta Urpilainen, die Kritik aus der Wirtschaft ernst nehmen, wird sich wohl spätestens auf dem kommenden EU-AU-Gipfel zeigen. Der ist nach einer pandemiebedingten Verschiebung vergangenes Jahr längst überfällig und könnte laut Experten richtungsweisend werden. Ein neuer Termin für den Gipfel steht allerdings noch nicht fest.

Mitarbeit: Daniel Pelz, Marina Strauss