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Politik

"Cumhuriyet": Zielscheibe Erdogans?

8. März 2018

In der Türkei geht der umstrittene Prozess gegen die regierungskritische Zeitung "Cumhuriyet" weiter - wegen "Terrorpropaganda". Über eine Redaktion, die sich nicht einschüchtern lassen will. Julia Hahn aus Istanbul.

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Türkei Prozess Cumhuriyet in Istanbul
"Ihr seid nicht alleine": Demonstranten solidarisieren sich mit inhaftierten Journalisten von Cumhuriyet in IstanbulBild: Getty Images/AFP/B. Kilic

Cumhuriyet unter Druck

Das Gebäude von "Cumhuriyet" im Istanbuler Stadtteil Şişli sieht inzwischen fast selbst aus wie ein Hochsicherheitsgefängnis. Das Blatt ist eine der wenigen Tageszeitungen in der Türkei, die noch nicht von der Regierung gesteuert wird. Nach zahllosen Drohungen und mehreren versuchten Anschlägen in der Vergangenheit ist man hier vorsichtig geworden. Wer hinein will in das Redaktionsgebäude, muss an bewaffneten Sicherheitsleuten vorbei und durch eine Metalldetektor-Kontrolle.

Oben im Dachgeschoss ist gerade Redaktionskonferenz. Es geht um den türkischen Militäreinsatz in Syrien, um einen Bericht über Frauenrechte, um aktuelle Meldungen aus dem Ausland. Viele der Reporter, die hier die Themen der nächsten Ausgabe besprechen, hatten wegen ihrer Berichte schon mal Ärger mit den Behörden. Doch sie schreiben weiter.

"Wir werden von den staatlichen Stellen ganz bewusst ausgeschlossen. Wir bekommen keinen Zugang zu Informationen, wir dürfen nicht mal an den Pressekonferenzen des Präsidenten teilnehmen", sagt Faruk Eren, der den Chefredakteursposten übernommen hat, nachdem sein Vorgänger Murat Sabuncu im Herbst 2016 festgenommen wurde.

Türkei Zeitung-Medium Cumhuriyet
Das Redaktionsgebäude von Cumhuriyet gleicht einem HochsicherheitstraktBild: DW/Julia Hahn

Gefährliche Lektüre

Für Eren und seine Kollegen wird es immer schwieriger jeden Tag eine Zeitung herauszubringen. Wegen des Drucks der Regierung, sagt er, seien viele Anzeigenkunden abgesprungen, die Verkaufszahlen drastisch gesunken. "Sie kriminalisieren uns - inzwischen gehen unsere Leser ja sogar schon ein Risiko ein, wenn sie mit einer 'Cumhuriyet' unter dem Arm herumlaufen. Trotz dieser Umstände, geben wir unser Bestes."

Regelmäßig berichtet die Zeitung über Gerichtsverfahren gegen ihre eigenen Leute. Im aktuellen "Cumhuriyet"-Prozess sind seit Sommer vergangenen Jahres 17 Journalisten und Mitarbeiter angeklagt. Der Vorwurf lautet: "Unterstützung von Terrororganisationen", wie der verbotenen Kurdenorganisation PKK oder der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen, die von Präsident Recep Tayyip Erdoğan für den Putschversuch im Juli 2016 verantwortlich gemacht wird.

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"Sie kriminalisieren uns": Faruk Eren, Chefredakteur der regierungskritischen Tageszeitung CumhuriyetBild: DW/Julia Hahn

Die Anklage fordert zwischen sieben und 43 Jahre Haft. "Unsere Freunde sitzen völlig zu Unrecht im Gefängnis", sagt Faruk Eren. "Die 'Cumhuriyet' war schon immer eine politische Zielscheibe: für Faschisten, für Fundamentalisten - für alle Extremisten, die ein Problem damit haben, dass wir unsere journalistische Arbeit machen. Jetzt sind wir die Zielscheibe der Regierung."

Die meisten der Angeklagten wurden bei den ersten Anhörungen für die Dauer des Prozesses freigelassen, doch drei sitzen nach wie vor in Haft - seit mehr als 14 Monaten. Aus Solidarität mit ihnen druckt die Redaktion die Fotos der drei jeden Tag aufs Neue auf den Titel der "Cumhuriyet": Chefredakteur Murat Sabuncu, der Herausgeber Akın Atalay und Ahmet Şık, der bekannteste Investigativ-Reporter der Zeitung.

"Ich verteidige mich nicht, ich klage an"

Vor allem Şık nutzt den Prozess gegen ihn und seine Kollegen immer wieder, um sich selbst Gehör zu verschaffen. "Ich verteidige mich hier nicht, ich klage an", rief er dem Richter in einer Anhörung zu. Und im Dezember wurde der Prozess sogar abgebrochen und Şık aus dem Gerichtssaal geworfen, nachdem er die türkische Regierung in seiner Verteidigung unter anderem als "diktatorisches Regime" bezeichnet hatte. Von Unterstützern bekam er Beifall.

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Schlagabtausch: Die Gerichtszeichnung zeigt den Investigativ-Reporter Ahmet Şık, der aus dem Saal geworfen wurdeBild: Tarık Tolunay

Yonca Şık sieht ihren Mann seit über einem Jahr nur im Gerichtssaal oder im Gefängnis. Und sie ist darauf vorbereitet, dass das erstmal so bleibt. "Ahmet hat nichts falsch gemacht - er ist im Recht. Deshalb verliere ich nicht die Hoffnung: Ich glaube an Ahmet, und ich glaube an mich selbst", sagt sie. "Aber Erwartungen? Nein, von dieser Justiz und diesem Staat erwarte ich gar nichts mehr."

Von ihrer Istanbuler Wohnung aus organisiert Yonca Şık Solidaritätsaktionen für ihren Mann und seine Kollegen oder Shuttle-Busse für Journalisten und Prozessbeobachter. Die aktuelle Anhörung findet im Silivri-Gefängniskomplex statt, zwei Autostunden vom Istanbuler Stadtzentrum entfernt. "Wenn man die Haftbedingungen von Ahmet und seinen Kollegen kennt und dann sieht, wie sie trotz allem vor Gericht stehen und den Journalismus verteidigen - das macht viele Menschen stolz."

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Yonca Şık, Ehefrau des inhaftierten Investigativ-Reporters Ahmet Şık, sieht ihren Mann nur im GerichtssaalBild: DW/Julia Hahn

Kontakt zum "Staatsfeind"

"Absurd" nennt sie die Terrorismusvorwürfe immer wieder. Ihr Mann Ahmet saß vor Jahren schon einmal im Gefängnis, weil er ein kritisches Buch über die Machenschaften des islamischen Predigers Fethullah Gülen geschrieben hatte. Gülen, der seit den 90er Jahren im US-amerikanischen Exil lebt, war damals noch einflussreich in der Türkei. Das Buch wurde 2011 noch vor Veröffentlichung verboten und Autor Şık verhaftet.

Heute gilt Gülen als Staatsfeind Nummer eins in der Türkei, und Şık wird Gülen-Propaganda vorgeworfen. "Ahmet ist seit 28 Jahren Journalist, und er schreibt vor allem über Rechtsverstöße. Es ist deshalb nicht das erste Mal, dass er Probleme mit dem Staat hat oder der Staat Probleme mit ihm", sagt Yonca Şık. "Alle Beweise gegen ihn in der Anklageschrift sind journalistische Berichte und Interviews, die er geführt hat. Er hat einfach nur seinen Job gemacht."

Cumhuriyet unter Druck

Mehr als 120 Journalisten sitzen nach Angaben von Reporter ohne Grenzen derzeit in der Türkei im Gefängnis - so viele wie in keinem anderen Land. Die Vorwürfe gegen die "Cumhuriyet"-Mitarbeiter nennt die Organisation politisch motiviert und Präsident Erdoğan einen "Feind der Pressefreiheit". Erst vor wenigen Wochen wurden mehrere türkische Journalisten und Autoren, darunter die Brüder Ahmet und Mehmet Altan, zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt.

Der Richterspruch hat viele Menschen in der Türkei schockiert, auch die Journalisten von "Cumhuriyet". "Natürlich macht uns das Angst, auch unsere Kollegen könnten hohe Haftstrafen bekommen", sagt Chefredakteur Eren. "Aber wir lassen uns davon nicht einschüchtern". So lange sie können, wollen sie unabhängig und kritisch berichten, so Eren - wenn es sein muss auch über Prozesse gegen ihre eigenen Leute.