1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Das Brexit-Chaos soll in die Verlängerung

9. April 2019

Es gibt kaum Zweifel daran, dass die EU-Partner den Briten nochmal eine Brexit-Verschiebung zugestehen. Die Frage ist nur, unter welchen Bedingungen - und wie lange. Sogar ein Stichtag im März 2020 ist im Gespräch.

https://p.dw.com/p/3GWUY
London Brexit Protest Monster Nachts
Bild: picture-alliance/AP Photo/F. Augstein

Der Beginn des EU-Sondertreffens ist für 18.00 Uhr angesetzt. Eine halbe Stunde später bekommt Premierministerin Theresa May ihre Chance, den Rest der EU zu überzeugen. Oberstes Ziel für beide Seiten ist es, einen Austritt Großbritanniens ohne Vertrag noch abzuwenden. Denn die Zeit bis zu einem ungeordneten Brexit läuft. Das kennen wir schon.

Kurz vor dem ursprünglich vorgesehenen Ausstieg am 29. März wurde die Uhr angehalten und auf den 12. April, den Freitag dieser Woche, gestellt. Wenn es keine Einigung mit der EU gibt, scheidet Großbritannien an diesem Tag ohne Austrittsvertrag aus der Union aus - es sei denn, der Sondergipfel einigt sich auf eine weitere Verschiebung. Und danach sieht es im Moment aus.

Bei einem Vorbereitungstreffen der EU-Botschafter soll am Dienstagabend eine Mehrheit der Mitgliedstaaten dafür plädiert haben, den Briten einen Aufschub bis zum 31. Dezember oder 1. März anzubieten. Lediglich Frankreich habe sich noch skeptisch geäußert, berichtet die Deutsche Presse-Agentur.

Macron will einen Plan sehen

Kurz vor dem Sondergipfel hat May noch einmal die beiden wichtigsten EU-Partner besucht, Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron - mit sehr unterschiedlichen Reaktionen. Merkel bringt den Briten nach wie vor eine Engelsgeduld entgegen und will fast alles tun, um einen ungeordneten Brexit zu verhindern. An Deutschland dürfte ein wie immer gearteter Aufschub wohl nicht scheitern. Macron dagegen gibt sich hart und will wissen, warum er einer Verzögerung zustimmen sollte. Er will einen Plan sehen und verhindern, dass Großbritannien in seiner verbleibenden Zeit als Mitglied noch Einfluss auf wichtige Aspekte der EU nehmen kann, etwa auf die neue Kommission, die Agrarpolitik oder den mehrjährigen Haushalt.

Deutschland Merkel empfängt May
Kanzlerin mit Engelsgeduld: Angela Merkel hat nach wie vor viel Verständnis für Theresa MayBild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Franziska Brantner von den Grünen, früher Europa-, heute Bundestagsabgeordnete, sieht es ähnlich wie Macron und nimmt kein Blatt vor den Mund: "Irgendwann muss auch mal Schluss sein. Wer den Verrückten nachgibt, bekommt noch mehr Verrückte", warnt sie. Den flexiblen Aufschub, die Tusk-Idee, um den Briten eine Brücke zu bauen, nennt sie "Brücken ins Nichts". Brantner rät dazu, hart zu bleiben, solange kein britischer Plan vorliegt.

Was kommt auf die EU zu?

Die Staats- und Regierungschefs der übrigen EU-Staaten wollen ebenfalls wissen, mit welchem Ziel. Einfach so, ohne britischen Plan, werden sie einem weiteren Aufschub wohl nicht zustimmen. Ein einziger Staat, der sein Veto einlegt, kann jede noch so kunstvolle Einigung zunichte machen.

Frankreich Präsident Macron trifft britische Premierministerin Theresa May
Die freundliche Begrüßung sollte nicht darüber hinwegtäuschen: Macron verliert die Geduld mit den Briten Bild: Reuters/C. Hartmann

Die Lage ist seit Monaten festgefahren: Eigentlich wollen weder die britische Premierministerin Theresa May noch die Mehrheit des Londoner Unterhauses und schon gleich nicht die übrigen 27 EU-Regierungen einen ungeregelten Brexit. Schon Ende vergangenen Jahres hatte man sich in Brüssel daher auf ein Abkommen geeinigt. Doch dreimal hat ihn das Unterhaus abgelehnt. May versucht inzwischen, mit der oppositionellen Labour-Partei eine Lösung zu finden - bisher vergeblich. Stattdessen probt nun der rechte Flügel ihrer Konservativen Partei den Aufstand.

Boris Johnson warnt vor der "Versklavung"

Der frühere Außenminister Boris Johnson hat gesagt, eine der Möglichkeiten, die May und Labour-Chef Jeremy Corbyn sondiert haben, die dauerhafte Zollunion mit der EU, würde Großbritannien "versklaven". Johnson wartet nur darauf, May als Parteichef und Premierminister zu beerben. Dann hätte es auch die EU mit einem knallharten Brexiteer zu tun. Auf der Labour-Seite wiederum haben viele Abgeordnete verlangt, Corbyn solle eine Zusammenarbeit mit den Konservativen von einem zweiten Referendum zum Brexit abhängig machen. Aber weder Corbyn noch May wollen noch einmal abstimmen lassen. Sie fühlen sich an das Votum von 2016 gebunden, bei dem sich etwa 52 Prozent der abstimmenden Briten für und 48 gegen den Ausstieg ausgesprochen hatten.

Derart unter Druck, hat May um einen weiteren Brexit-Aufschub eigentlich nur bis Ende Juni gebeten. Das wäre kurz nach der Europawahl, an der die Briten dann eigentlich teilnehmen müssten. Das wäre heikel. Viele in der EU befürchten in dem Fall eine Protest- und Vergeltungswahl britischer Wähler, die raus wollen aus der EU, während die europafreundlichen Wähler nicht wissen würden, wofür sie stimmen sollen, wenn ihr Land doch ohnehin die EU verlassen will. 

England Jaguar Land Rover Autofabrik in Solihull
Die Range-Rover-Produktion in Solihull soll ab Montag fünf Tage ruhen - als VorsichtsmaßnahmeBild: picture-alliance/dpa/D. Jones

Firmen bereiten sich auf das Schlimmste vor 

Unterdessen bauen einige große Autofirmen in Großbritannien für den Fall des Falles vor. Neben anderen will nun auch Jaguar Land-Rover von Montag an seine britischen Werke fünf Tage lang schließen. Mehr als die Hälfte der britischen Autobauer hat einen solchen Produktionsstopp angekündigt, um für einen möglichen chaotischen Brexit zum 12. April gewappnet zu sein. Es geht um mögliche Lieferverzögerungen von Ersatzteilen und fertigen Fahrzeugen, um eine Umstellung von Zollformalitäten, Zertifizierungen und ähnliches. Das alles muss nicht so kommen, kann aber. Auf bloße Hoffnung wollen sich die Unternehmen nicht verlassen.

Christoph Hasselbach
Christoph Hasselbach Autor, Auslandskorrespondent und Kommentator für internationale Politik