1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Erwachen der Vermittlungs-Macht

Dagmar Engel, Hauptstadtstudio Berlin29. Dezember 2015

Von der Ukraine über Iran bis zur Syrien-Krise - die deutsche Außenpolitik hat im Jahr 2015 bemerkenswert oft als Vermittler eingegriffen. Die Deutschen haben offenbar ihre Rolle in der internationalen Politik gefunden.

https://p.dw.com/p/1HJeJ
Minsker Verhandlungen mit Angela Merkel (Foto: Reuters)
Bild: Lazarenko/Ukrainian Presidential Press Service via Reuters

Krise 1 - Ostukraine im Februar

Die Nacht hindurch, fast 17 Stunden dauern die Verhandlungen im weißrussischen Minsk. Am Ende kommt ein Abkommen heraus, mit dem bis heute alle unzufrieden sind. Aber zu dem Zeitpunkt stehen die Zeichen in der Ostukraine auf Krieg - Krieg zwischen der Ukraine und den Separatisten, die von Russland unterstützt werden. In Minsk ringen die deutsche Bundeskanzlerin und der französische Präsident den russischen und ukrainischen Präsidenten einen Plan ab, der eine Lösung überhaupt erst vorstellbar macht.

Die Umsetzung von "Minsk" ist nach wie vor lückenhaft, die Waffenruhe brüchig. Aber in regelmäßigen Abständen treffen sich die Außenminister der vier Länder - Ukraine, Russland, Deutschland, Frankreich - und sprechen über die nächsten kleinen Schritte.

Parallel dazu ist es den Deutschen gelungen, die EU-Sanktionen gegen Russland zu verschärfen und aufrecht zu erhalten - gegen die Interessen einiger Europäer und auch die von Teilen der deutschen Wirtschaft.

Jean-Claude Juncker, Präsident der EU-Kommission (Grafik: DW)
Jean-Claude Juncker, Präsident der EU-Kommission

Krise 2 - Griechenland im Juli

Auch in der Verhandlungsnacht vom 13. Juli zeigt sich eine der besonderen Qualitäten der deutschen Außenpolitik: Stehvermögen. Wieder verhandelt Angela Merkel 17 Stunden lang. Dann ist das dritte Hilfspaket für Griechenland geschnürt. Die im Januar neu gewählte griechische Linksregierung unter Alexis Tsipras hatte monatelang versucht, aus der geltenden EU-Rettungslogik mit ihren strengen Reformauflagen auszubrechen. Tsipras‘ Mittel der Wahl: Spaltung. Die Deutschen erklärt er zum Buhmann, gleichzeitig sucht er Verbündete unter den anderen südeuropäischen Staaten.

Doch da zeigt sich eine der weiteren Qualitäten der deutschen Außenpolitik: Sie kann einbinden. Angela Merkel und wieder Francois Hollande, die konservative Bundeskanzlerin und der sozialistische Staatschef, demonstrieren beim gemeinsamen Besuch in Athen europäische Geschlossenheit. Das vorherrschende Gefühl nach der Zustimmung im Juli: Erschöpfung und Erleichterung, keine Begeisterung: Das griechische Drama ist eine Serie, die nächste Staffel läuft bereits.

Frank-Walter Steinmeier, deutscher Außenminister (Grafik: DW)
Frank-Walter Steinmeier, deutscher Außenminister

Ende einer Krise - Iran im Juli

Zwölf Jahre Verhandlungen, eine Schlusskurve von 14 Tagen, in denen die Unterhändler ihre selbstgesetzten Fristen wieder und wieder verschieben - wieder stundenlanges zähes Verhandeln. Und dann steht es, in Wien am 14. Juli: das Atomabkommen mit dem Iran. Für kein anderes Land gelten so strenge Kontrollen: 25 Jahre lang werden alle nuklearen Aktivitäten Irans kontrolliert, Anreicherung und Entwicklung eng begrenzt. Im Gegenzug hebt der Westen seine Wirtschaftssanktionen auf, kann sie aber umgehend wieder in Kraft setzen, falls Iran das Abkommen verletzt.

Deutschland hat seine große Rolle als Vermittler gespielt - Iran vertraut den Deutschen besonders, obwohl sie unverbrüchlich an der Seite Israels stehen. Letzteres und die Bereitschaft, mit der jahrelangen Sanktionspolitik auch Nachteile für die eigene Wirtschaft in Kauf zu nehmen, stärken gleichzeitig das Vertrauen der anderen Seite, der fünf Veto-Mächte im UN-Sicherheitsrat. Mit Außenminister Steinmeier vermittelt einer, der die Erfahrung schon aus seiner ersten Amtszeit mitbringt. Zehn Jahre - mit Unterbrechung - geredet, belohnt mit einem historischen Abkommen.

Gebran Bassil, Außenminister des Libanon (Grafik: DW)
Gebran Bassil, Außenminister des Libanon

Die große Krise - Syrien und die Flüchtlinge im Spätsommer

Nach mehr als vier Jahren Bürgerkrieg holt der Bürgerkrieg in Syrien Europa und ganz besonders Deutschland ein. Millionen Syrer sind bereits vor dem Terror des Assad-Regimes und des IS geflohen, die meisten zunächst in die Nachbarländer. Dort aber sorgt die Weltgemeinschaft immer schlechter für sie, die UN müssen Rationen kürzen. Im Sommer beginnen die syrischen Flüchtlinge, nach Norden zu ziehen. Deutschland gilt als das gelobte Land, nachdem es seine Grenzen für Kriegsflüchtlinge geöffnet hat.

Die meisten anderen Europäer loben diese Entscheidung nicht. Aber unter dem Druck der Flüchtlingszahlen und der wachsenden Sorge, dass der Terror des IS übergreift, kommen am 30. Oktober tatsächlich erstmals alle Schlüsselakteure in Wien zusammen, um über einen politischen Plan für Syrien zu sprechen - wirklich alle, auch die Regionalmächte Saudi-Arabien und Iran. Sie sind sich spinnefeind, aber sie haben sich überzeugen lassen: Zwei Wochen vor den Wiener Gesprächen besuchte der deutsche Außenminister beide Länder zu politischen Gesprächen.

Parallel wird es eng im Luftraum über Syrien: Seit den Terroranschlägen von Paris am 13. November fliegen auch Franzosen und Briten Angriffe auf den IS in Syrien, deutsche Aufklärungs- und Tankflugzeuge unterstützen sie.

Jackson Janes, Präsident des American Institute for Contemporary German Studies (Grafik: DW)
Jackson Janes, Präsident des American Institute for Contemporary German Studies

Dauerkrisen

Es steht nicht gut um Europa, die Solidarität bröckelt. Deutschland ist eingekreist von Ländern, in denen die Wähler mehrheitlich in Richtung Re-Nationalisierung und Abschottung marschieren. Großbritannien bewegt sich laut Umfragen in Richtung ganz raus aus der EU. Die deutsche Außenpolitik kämpft darum, den Brexit zu verhindern. Die Bundeskanzlerin trifft sich in diesem Jahr vier Mal allein mit dem britischen Premier, nicht gezählt die Extra-Gespräche am Rande der Gipfeltreffen.

Das transatlantische Verhältnis driftet auseinander, zu besichtigen am Umgang mit China: Die Deutschen schauen auf China mit handelspolitischem Blick, die Perspektive der USA ist konflikthafter und militärisch geprägt.

Wladislaw Below, Leiter des Zentrums für Deutschland-Studien an der Russischen Akademie der Wissenschaften (Grafik: DW)
Wladislaw Below, Leiter des Zentrums für Deutschland-Studien an der Russischen Akademie der Wissenschaften

In Afrika drohen die ewigen Potentaten und die Korruption die Chancen des Kontinents abzuwürgen - nicht nur in Burundi. Acht Reisen in Staaten von Subsahara-Afrika hat der deutsche Außenminister 2015 unternommen.

Insgesamt 65 Länder hat Frank-Walter Steinmeier in diesem Jahr besucht, dazu die Trips nach Brüssel, Genf und Wien. Die Strategie dahinter? Es gibt sie nicht, die eine große außenpolitische Strategie. Es sei denn, das permanente Bemühen, zu vermitteln und nicht aufzugeben, zählt als solche.