Das EU-Parlament wird weiblicher
2. Juli 2019"Wenn ich morgens beim Frühstück die Zeitung aufschlage, dann sehe ich ein Europa der alten weißen Männer in dunklen Anzügen, die in irgendwelchen Hinterzimmern Verträge unterschreiben", sagte 2014 die grüne Europaparlamentarierin Terry Reintke. Das sei nicht ihr Europa, fügte sie hinzu.
Immer mehr Politiker setzen sich inzwischen für eine geschlechtergerechte Verteilung der politischen Ämter und Mandate in der Europäischen Union ein. Gerade erst drängte der französische Präsident Emmanuel Macron darauf, dass die vier europäischen Spitzenjobs, also die Ämter des EU-Kommissionspräsidenten, des Ratspräsidenten, des Außenbeauftragten und des Chefs der Europäischen Zentralbank (EZB), mit zwei Frauen und zwei Männern besetzt werden müssten.
Frauenanteil steigt von 36 auf 40 Prozent
Nur langsam nähert sich das Europaparlament in seiner Zusammensetzung der Geschlechterverteilung in der Bevölkerung. Im Vergleich zu 2014 hat sich der Frauenanteil weiter vergrößert - auf jetzt 40 Prozent. 446 Männer und 302 Frauen nehmen bei der konstituierenden Sitzung am Dienstag ihre Plätze ein.
Eigentlich wären es insgesamt 751 Abgeordnete, aber die drei Plätze der in Spanien gewählten Europaabgeordneten Oriol Junqueras, Antoni Comín und Carles Puigdemont werden vorerst unbesetzt bleiben. Die spanischen Behörden blockieren die Mandate der katalanischen Separatisten.
Die Grünen schießen sogar über das Ziel hinaus
Ein Blick auf die einzelnen Fraktionen im Europaparlament zeigt, dass der Frauenanteil ungleich verteilt ist. Die Spitzenposition nimmt mit 39 Frauen und 37 Männern die Fraktion Grüne/European Free Alliance (EFA) ein. Sie setzt sich aus den Grünen und der Freien Europäischen Allianz zusammen, in der sich unabhängige Abgeordnete, Piraten und Vertreter staatenloser Nationen und benachteiligter Minderheiten zusammengeschlossen haben. Die Fraktion hatte im letzten Parlament 51 Mitglieder, nach den Wahlerfolgen der Grünen bei der Europawahl sind es jetzt 76 Mitglieder aus insgesamt 16 EU-Ländern.
In allen anderen Fraktionen sind weniger als die Hälfte der Parlamentarier weiblich. Mit 48 Prozent Frauenanteil steht Renew Europe auf Platz zwei in diesem Ranking. Die Fraktion hat sich 2019 frisch gegründet und tritt die Nachfolge der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE) an. Im neuen Parlament wird sie mit 109 Abgeordneten politisch die drittstärkste Kraft sein. Auf 45 Prozent Frauenanteil bringen es GUE/NGL, die Konföderale Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordischen Grünen Linken. Sie hat nur 40 Mitglieder und ist damit die kleinste Fraktion im Europaparlament.
Die zweitstärkste politische Kraft im Kreis der neuen Abgeordneten ist die Fraktion der Europäischen Sozialdemokraten S&D. Von den 152 Abgeordneten sind 43 Prozent Frauen. Auf die durchschnittliche Frauenquote des Europaparlaments, also 40 Prozent, bringt es die in diesem Jahr neu gegründete ID, ein Zusammenschluss von neun rechtspopulistischen, nationalistischen und rechtsextremen Parteien, darunter die italienische Lega, der französische Rassemblement National und die deutsche AfD. Ziel der ID war es eigentlich, größte Fraktion im neuen Europaparlament zu werden. Doch weder die Abgeordneten der polnischen PiS noch der ungarischen Fidesz ließen sich anwerben.
Die größte Fraktion ist männlich
Die Ungarn blieben trotz großer Auseinandersetzungen in der EVP. Die Europäische Volkspartei bleibt mit ihren 182 Abgeordneten die größte Fraktion im Parlament. Sie kommen aus christlich-demokratischen und bürgerlich-konservativen bis hin zu nationalkonservativ-rechtspopulistischen Mitgliedsparteien in der Europäischen Union. 120 Männer stehen 62 Frauen gegenüber, die Frauenquote beträgt damit 34 Prozent.
Eine Sonderrolle nimmt die EFDD ein. In der Statistik des Europaparlaments und des britischen Informationsservice Dods People, auf die sich diese Datenanalyse bezieht, ist die Fraktion Europa der Freiheit und der direkten Demokratie mit 43 Mitgliedern und einer Frauenquote von 37 Prozent noch aufgeführt. Nachdem die AfD aber in die Fraktion ID wechseln wird und die italienische Fünf-Sterne-Bewegung ebenfalls ihren Austritt aus der EFDD bekannt gegeben hat, wären die formalen Bedingungen für eine Fraktionsbildung nicht mehr gegeben. Der britische Brexit-Verfechter Nigel Farage hat allerdings angekündigt, die Fraktion mit anderen Mitgliedern weiterführen zu wollen.
Die wenigsten Frauen finden sich in der EKR, der Fraktion der European Conservatives and Reformists. Sie zählt im neuen Parlament 62 Mitglieder, von denen knapp ein Drittel Frauen sind. Die national-konservative und EU-kritische Fraktion gibt es seit 2009. Die meisten Mitglieder gehören der polnischen Partei für Recht und Gerechtigkeit (PiS) an.
Schweden entsendet prozentual die meisten Frauen
Insgesamt betrachtet schicken die Mitgliedsstaaten also mehr Männer als Frauen in das neue EU-Parlament. Im Einzelnen zeigt sich aber, dass es durchaus Abweichungen zwischen den einzelnen Ländern gibt.
Schweden und Finnland liegen im Ranking ganz vorne. Auf ein exakt ausgeglichenes Verhältnis von Frauen und Männern bringen es Frankreich (74 Abgeordnete), Österreich (18 Abgeordnete), Slowenien und Lettland (je acht Abgeordnete), sowie Malta und Luxemburg (je sechs Abgeordnete). Deutschland stellt mit 96 Abgeordneten zwar den größten nationalen Anteil am Europaparlament. Mit nur 36 Prozent Parlamentarierinnen landet es im Ranking nach Frauenquote aber nur auf Platz 18.
Weniger als 30 Prozent Frauen entsenden Bulgarien (17 Abgeordnete), Litauen (elf Abgeordnete), Griechenland (21 Abgeordnete), Rumänien (32 Abgeordnete) und die Slowakei (13 Abgeordnete). Abgeschlagen auf dem letzten Platz landet Zypern. Die sechs Abgeordneten sind alle Männer.
Das neue Parlament ist jünger
Ein Blick auf das Alter der 748 Parlamentarier ergibt rechnerisch einen Durchschnitt von 51 Jahren. Im 2014 gewählten Parlament lag der Altersdurchschnitt noch bei 56 Jahren.
Aufgeschlüsselt auf die Parteien zeigt sich, dass bei den Grünen, den Liberalen, den Linken und den Fraktionslosen die Mehrheit der Parlamentarier jünger als der Altersdurchschnitt ist. In den rechten und konservativen Fraktionen, aber auch unter den Sozialdemokraten finden sich mehrheitlich eher ältere als junge Parlamentarier. Der jüngste Europaabgeordnete ist 21 Jahre alt und gehört der Fraktion Grüne/EFA an. Der älteste ist 83 und Mitglied der EVP.
Was kommt nach dem Brexit?
Wenn Großbritannien aus der EU austritt, wird sich die Zusammensetzung des Europaparlaments deutlich ändern. Es würden 34 weibliche und 39 männliche britische Abgeordnete ausscheiden. Ihre Sitze würden aber nicht gleichmäßig auf alle übrigen 27 Staaten verteilt. Stattdessen soll die Anzahl der Abgeordneten von 751 auf 705 sinken. 46 der 73 britischen Sitze werden für mögliche EU-Erweiterungen in die Reserve gestellt. Die verbleibenden 27 Sitze werden auf leicht unterrepräsentierte EU-Länder verteilt. Deutschland gehört nicht dazu.
Frankreich, Italien, Spanien und die Niederlande sollen zwischen drei und fünf zusätzliche Sitze erhalten. Zehn weitere Länder würden ebenfalls aufgestockt. Damit würde sich die politische Zusammensetzung des Parlaments in jedem Fall ändern. Inwieweit der Frauenanteil beeinflusst wird, ist derzeit noch nicht absehbar.
Mitarbeit: Juuso Järviniemi