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"Das Fahrrad ist Trend in Brasilien"

Greta Hamann18. Juni 2013

Fahrrad fahren? Das machen doch nur arme Leute. So die weit verbreitete Meinung vieler Brasilianer. Doch immer mehr Menschen bewegen sich auf zwei Rädern fort. Das ist allerdings nicht ganz so einfach.

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Foto: Viele Menschen mit Fahrrädern auf einem Platz (Foto: CC BY 2.0: Gonzalo Cuellar Mansilla | Quelle: http://www.flickr.com/photos/gonza2010/5488063770/ | Lizenz: http://creativecommons.org/licenses/by/2.0/deed.de)
Fahrradfahren Brasilien - critical massBild: CC BY 2.0/Gonzalo Cuellar Mansilla

Eine ungewöhnliche Szene freitagabends in einem Park mitten in der südbrasilianischen Großstadt Curitiba: Eine kleine Dame sitzt auf einem Mountainbike, versucht, das Gleichgewicht zu halten. Neben ihr steht ein junger Mann, der sie am Sattel hält. Er gibt dem Fahrrad einen Schub, sie fährt. Beide jubeln.

Cristina de Araújo Lima ist 58 Jahre alt und will Fahrrad fahren lernen. Über ein halbes Jahrhundert hat sie nicht mehr auf einem Rad gesessen.

Und das obwohl sie eines der größten Events zur Förderung der Fahrradnutzung in Curitiba mit organisiert: Den "Desafio Intermodal", ein jährlich stattfindendes Wettrennen bei dem verschiedene Transportmittel von Fahrrädern bis Bussen gegeneinander antreten. Alle müssen die gleiche Strecke zurück legen. Das Rennen soll zeigen mit welchem Transportmittel man in Curitiba am besten voran kommt. Bisher hat das Fahrrad immer gewonnen.

Im Interview mit Global Ideas erzählt die Professorin für Architektur und Urbane Entwicklung an der Universität von Paraná, warum sie das Fahrrad fahren wieder neu lernen muss und wie sie sich als Radfahrerin auf den Straßen einer brasilianischen Großstadt fühlt.

Global Ideas: Haben sie in Brasilien Angst, in der Stadt Fahrrad zu fahren?

Foto: Eine Frau dreht an einem Fahrrad-Reifen (Foto: DW/Greta Hamann)
Cristina de Araújo Lima freut sich auf weitere Radfahrstunden.Bild: Greta Hamann

Cristina de Araújo Lima: Ja. Viele Autofahrer verhalten sich sehr aggressiv den Fahrradfahrern gegenüber. Unfälle sind an der Tagesordnung, man muss wirklich sehr vorsichtig sein. In Curitiba macht das Fahrrad nur rund drei Prozent des Individualverkehrs aus, über 60 Prozent der Leute nutzen hier öffentliche Verkehrsmittel und mehr als ein Viertel bewegt sich mit dem Auto fort. Viele Radfahrer benutzen hier die Busspuren, da es keinen Fahrradweg gibt und sie besser zu befahren sind. Da können einen die großen Busse als kleinen Fahrradfahrer schnell übersehen. In Curitiba haben die öffentlichen Verkehrsmittel allerdings einen besonders hohen Stellenwert, da sie hier mehr gefördert werden. In kleineren Städten benutzen wiederum mehr Leute Auto und Fahrrad.

Abgesehen vom Verkehr muss man hier auch immer Angst vor Überfällen haben. Ich wohne acht Kilometer von der Uni entfernt. Der Weg zum Campus führt durch stark befahrene Straßen, die noch keinen Fahrradweg haben und vorbei an einer Favela. Wenn man dann, wie ich, nicht ganz so sicher auf dem Rad unterwegs ist, überlegt man es sich natürlich zwei Mal, ob man nun mit dem Fahrrad oder anders zur Arbeit fährt.

Sie haben jetzt ihre erste Fahrradfahrstunde hinter sich, fühlen Sie sich denn schon sicherer?

Ja sehr. Ich lerne neben dem Gleichgewicht auch wie man den Autofahrern Zeichen gibt. In Zukunft will ich mein Fahrrad öfter nutzen. Mein Chef José Belotto versucht mich schon seit Jahren dazu zu bringen, mit dem Rad zur Arbeit zu kommen.

Doch erst einmal werde ich an den Sonntagen anfangen, wenn die Straßen Curitibas teilweise für Autos gesperrt sind, so dass nur Fahrradfahrer unterwegs sind. Irgendwann benutze ich das Fahrrad vielleicht auch mehr in meinem Alltag, noch ist mir das aber nicht möglich.

Sie haben bereits als Sechsjährige Fahrrad fahren gelernt und waren als Kind oft mit ihren Eltern auf dem Fahrrad unterwegs. Eigentlich sagt man doch, dass man Rad fahren nie verlernt.

Foto: Ein Mann hält das Fahrrad einer Frau am Sattel fest (Foto: DW/Greta Hamann)
Richtig in die Pedale treten. Fernando Rosenbaum bietet die Fahrradfahrstunden mehrmals pro Woche an.Bild: Greta Hamann

Das stimmt. Ich habe es auch nicht wirklich verlernt. Mein Lehrer war ja auch ganz überrascht, dass ich mich schon in der ersten Stunde alleine halten konnte. Aber man verliert doch das Gefühl dafür und diese Leichtigkeit ist auch nicht mehr da. Ich muss mich wieder an das Rad gewöhnen.

Als ich Fahrrad fahren gelernt habe, gab es in Curitiba noch viel weniger Autos. Die Straßen waren ruhiger und ich war viel unterwegs mit meinem Rad. Ich habe meinem Rad sogar einen Namen gegeben: Es hieß "Bernadini".

Bei den vollen Straßen heutzutage muss man erst einmal richtig trainieren, bevor man allein mit dem Rad loszieht.

Wie war das für Sie dann, nach so vielen Jahren wieder auf dem Fahrrad zu sitzen?

Letztes Jahr war ich in Paris im Urlaub. Freunde von mir wollten mit mir durch die Stadt radeln, ich habe zwar lange nicht mehr auf einem Rad gesessen, doch ich dachte, dass das schon klappen wird.

Ich habe schon geschafft, vorwärts zu kommen. Doch ich hatte absolut kein Gleichgewichtsgefühl mehr, ich wusste nicht wie ich den Autofahrern Zeichen geben konnte und konnte nicht einmal an den Ecken abbiegen.

Deswegen bin ich froh, das alles hier bei Fernando zu lernen. Er hat mir von Grund auf alles nochmal beigebracht. Schon in der ersten Stunde habe ich es bei ihm geschafft, mich komplett mit dem Oberkörper umzudrehen und nach hinten zu schauen. Das hat mich sehr überrascht und vor allem motiviert mich diese erste Fahrstunde weiter zu machen.

Noch benutzen die meisten Brasilianer ja lieber das Auto, um von A nach B zu kommen. Allein in den letzten zehn Jahren hat sich die Anzahl der Autos in Brasilien mehr als verdoppelt. Trotzdem sieht man, dass immer mehr Menschen auch das Rad nutzen, sogar in einer Großstadt wie Curitiba, die ja eigentlich durch die vielen Berge nicht so geeignet ist fürs Rad fahren. Was muss getan werden, um die Fahrradnutzung weiter zu fördern?

Nach Zahlen der nationalen Organisation des öffentlichen Nahverkehrs (ANTP) benutzen heute wirklich noch sehr wenige Menschen das Fahrrad. In São Paulo sind es beispielsweise nur ein Prozent der Bevölkerung. In Brasilien gilt das Auto einfach als sehr wichtiges Statussymbol. Manche Leute bevorzugen es sogar, sich ein Auto zu kaufen, anstatt in eine anständige Wohnung oder ein Haus zu investieren. Außerdem wächst die Kaufkraft der Brasilianer mit der guten Wirtschaftssituation. Deswegen können sich immer mehr Menschen ein Auto leisten. Und wenn es keine geeignete Infrastruktur gibt, dann können die Leute auch nicht das Rad benutzen. Das ist doch ganz klar.

Trotzdem schätzen gerade hier in Curitiba immer mehr Menschen das Fahrrad. Sie merken, dass die Stadt die Radnutzung stark fördert: Es gibt immer mehr Fahrradwege, es gibt Orte, an denen man sein Fahrrad sicher unterstellen kann, die Zahl der Fahrradläden und der Werkstätten steigt an.

Daneben brauchen wir aber auch Organisationen, die sich für die Rechte der Radfahrer einsetzen. Die Politik muss sich ebenfalls dafür stark machen, dass Radfahrer mehr gefördert werden und ihnen mehr Raum im Stadtbild zugestanden wird.

Der Bürgermeister von Curitiba ist an seinem ersten Arbeitstag mit dem Fahrrad ins Rathaus gefahren und mit ihm alle seine Mitarbeiter. Das war eine klare positive Nachricht an die Bevölkerung.

Ich glaube das Fahrrad kann mit der Zeit zu einem richtigen Kult werden, dem viele folgen wollen. Es ist jetzt schon Trend. Viele charismatische Leute benutzen schon seit Langem das Fahrrad in Curitiba: Da fällt mir natürlich sofort der "Oil Man" ein. Das ist ein Mann, der oft nur mit einer Badehose bekleidet und mit reichlich Sonnenöl beschmiert durch Curitiba radelt. Hier in Curitiba gibt es dann noch den "Desafio Intermodal", den wir jährlich organisieren. Außerdem findet jeden letzten Freitag im Monat die "Bicicletada" statt, dann fährt eine Gruppe von rund 50 Personen durch Curitiba, um für das Fahrrad als Transportmittel zu werben. Diese Bewegung gibt es auch in vielen anderen Großstädten in Brasilien, wie in Rio de Janeiro, São Paulo oder Porto Alegre. Sie entstammt sogar einer internationalen Bewegung, der "critical mass".

Wie sieht es ansonsten in ganz Brasilien aus, gibt es noch mehr Veranstaltungen und Aktionen zur Unterstützung des Fahrrads als Transportmittel?

Es gibt zahlreiche engagierte Aktivisten und Gruppen, die sich für das Fahrrad einsetzen. Die ersten Aktivisten, die schon vor zehn Jahren anfingen, für das Fahrrad zu werben, wurden teilweise sogar regelrecht kriminalisiert. In Curitiba beispielsweise malten 2007 Aktivisten selbst einen Radweg auf die Straße - aus Protest. Sie sollten danach eine hohe Geldstrafe zahlen. Solche Aktionen gab es auch in anderen Großstädten Brasiliens.

Eine besonders schöne Aktion, finde ich, ist das Projekt: "Mit dem Fahrrad zur Arbeit". Es wurde von zwei Organisationen ins Leben gerufen, der "Rodas da Paz" (deutsch: Räder des Friedens) und "Bike Anjo" (deutsch: Fahrradengel). Sie fahren jeden Tag mit dem Fahrrad zur Arbeit und versuchen, einen offiziellen "mit dem Fahrrad zur Arbeit-Tag" einzuführen. Der soll dann jeden zweiten Freitag im Monat sein. Außerdem setzen sie sich in vielen Großstädten Brasiliens für den Bau neuer Fahrradwerkstätten und Kulturzentren, die Fahrradfahrunterricht anbieten und das Fahrrad an sich fördern, ein.

In der Hauptstadt Brasília gibt es sogar Freiwillige, die diejenigen, die sich noch nicht alleine mit dem Fahrrad zur Arbeit trauen, begleiten.

Daneben gibt es aber noch viele kleine Veranstaltungen und Initiativen von engagierten Leuten: Es gibt Kulturorte, wo Theaterstücke aufgeführt werden zum Thema Rad fahren, es gibt unabhängige Radfahrer, die Fahrradwegkarten entwickeln, auf denen die besten Straßen aufgezeichnet werden, die man trotz fehlender Fahrradwege gut nutzen kann; mittlerweile gibt es sogar Angebote für touristische Sightseeing-Touren auf dem Fahrrad. Das ist wirklich eine tolle Entwicklung.