Das Große Fressen
17. Februar 2004Mit gepflegter Nahrungsaufnahme hat das nichts tun. Die vier gereiften Herren in Marc Ferreris Skandalfilm "Das Große Fressen" (1973) suchen die orgiastische Befriedigung. Des Lebens überdrüssig fressen sich die Freunde munter zu Tode. Die 125 Minuten deftiger Fressgier gelten als eine der kunstvollsten Auseinandersetzungen mit dem Thema Essen. Ferreris Film ist jetzt Namensgeber für eine Ausstellung der Kunsthalle Bielefeld, die bis Ende April 2004 zeitgenössische Kunst aus und über Nahrungsmittel präsentiert.
Völlerei und Verfall
76 Kunstwerke von Andy Warhols Konservendosenbildern bis zu Dieter Roths stinkenden Käse- und Salamilandschaften widmen sich einem spannenden Themenspektrum zwischen Schokoladensirup und Stuhl, zwischen Völlerei und Verfall. Gezeigt werden Werke von 30 international bekannten Künstlerinnen und Künstlern aus Amerika und Europa, darunter unter anderem Joseph Beuys, Damien Hirst und Paul McCarthy."Wir zeigen ganz bewusst keine barocken Stilleben oder Äpfel von Magritte, sondern stellen die Frage, warum das Thema Essen seit 1960 sowohl in den USA als auch in Europa so anhaltend in die bildende Kunst eingezogen ist", erklärt Kunsthallenleiter Thomas Kellein.
Während amerikanische Künstler beginnen, zu Beginn der 1960er-Jahre alltägliche Konsumgüter zu glorifizieren, erklären ihre europäischen Kollegen reale Lebensmittel zur Kunst. Beauftragt das zu malen, was ihm am meisten bedeutet, pinselt Andy Warhol eine überdimensionierte Tomatensuppedose von Campells auf die Leinwand. Im Großformat stilisiert er die Konserve zur Ikone und entlarvt gleichzeitig Oberflächlichkeit und Leere des alltäglichen Komsums. Nachgekauft und aufgewärmt bedarf es keiner Überredungskunst mehr um zu begreifen, dass sich nicht mehr viel hinter dem Deckel der Dose befindet.
Kunstfähiger Schimmel
In Europa nimmt man sich zeitgleich die Tantenweisheit, dass mit dem Essen nicht zu spielen sei, beherzt zur Brust, nur um es dann gerade doch zu machen. Auf den ersten Blick wenig appetitlich wirken die stinkigen Landschaften aus Wurst und Käse die der Schweizer Dieter Roth Ende der 1960er-Jahre entwirft. Schaumige Schimmelflocken in apartesten Farben sind die Folge. Wer jemals eine Obsttorte nach mehreren Wochen im Küchenschrank wiederentdeckte weiß wovon die Rede ist. Doch der Schimmel wird schließlich kunstfähig und der Verfall als Mahnung interpretiert. Zwei Weltkriege und Erfahrungen von Elend und Leid verweisen in den Werken europäischer Künstler verspielt auf die Vergänglichkeit allen Lebens – und sei es dem Lebenszyklus einer Scheibe Käse.
Provokant und immer noch fabulös wird in Bielefeld auch Piero Manzonis Blechdose mit "Künstlerscheiße" präsentiert, die seit 1961 ungeöffnet die Phantaise anregt. Die Neonleuchtschriften von Bruce Nauman und Timm Ulrichs erinnern schließlich daran, dass im englischen Wort "Death" auch das Wort "Eat" steckt. Ein letzter Hinweis auf den endgültigen Zerfall und das Vergehen. Unvergessen bleibt hier Ferreris Film, der die Überflussgesellschaft und ihre Auswüchse in einem mächtigen Gefurze verenden lässt. "Sie werden alle an ihrem Vergnügen ersticken", sagt Regisseur Ferreri. Guten Appetit.
"Das Große Fressen – Von Pop bis heute". Die Ausstellung ist vom 25. Januar bis zum 24. April 2004 in der Kunsthalle Bielefeld zu sehen.