Deutscher ESC-Beitrag steht fest
27. Februar 2020"Dieser Bubi tritt für uns beim ESC an", verkündete die "Bild"-Zeitung am frühen Donnerstagnachmittag. Doch die ESC-Gemeinde war schon früher informiert. Denn Benjamin Dolic hatte sich aus Versehen schon am Donnerstagmorgen verraten: In einem Instagram-Post hatte er so eindeutige Hinweise gegeben, dass die ESC-Fans überzeugt waren, dass er der deutsche Teilnehmer sein würde.
Dolic musste mehrere Auswahlverfahren durchlaufen und gleich zwei Jurys für sich gewinnen: eine "Eurovisions-Jury" mit 100 ESC-Kennerinnen und Kennern aus Deutschland und eine internationale Expertenjury aus 20 Musikprofis. Der für den deutschen ESC-Beitrag verantwortliche TV-Sender Norddeutscher Rundfunk (NDR) hatte dieses komplizierte Auswahlverfahren erstmals bei Michael Schulte angewendet, der beim ESC 2018 den vierten Platz erreichte.
Keine Fernsehzuschauer mehr beteiligt
2019 in Tel Aviv ging diese Rechnung nicht so gut auf; der deutsche Beitrag "Sister" landete abgeschlagen auf dem vorletzten Platz. Neu in diesem Jahr ist, dass Fernsehzuschauer gar keine Stimmberechtigung mehr haben. In den Jahren zuvor wurden die Ergebnisse der Juryvotings und die der Fernsehzuschauer miteinander verrechnet, diesmal wurde der deutsche Beitrag vor der TV-Sendung festgelegt und lediglich in einer kurzen bunten Show dem Publikum präsentiert.
Beste Kandidatenschmiede: TV-Castings
Wie so oft in den vergangenen Jahren haben die Scouts vom NDR die Ohren und Augen offen gehalten und ganz genau beobachtet, welche Talente aus den TV-Castings hervorgegangen sind. Benjamin Dolic hat 2018 bei der Castingshow "The Voice of Germany" den 2. Platz belegt. Er ist 22 Jahre alt, stammt aus Slowenien und zog vor vier Jahren mit seiner Familie in die Schweiz. Zurzeit lebt der Sänger in Berlin.
Thomas Schreiber, der Unterhaltungschef des NDR, ist über die Wahl Dolics hocherfreut: "Ben Dolic ist ein Ausnahmetalent. Mit seiner glasklaren und gefühlvollen Stimme hat er völlig zurecht die beiden unabhängigen ESC-Jurys überzeugt." Ben habe einen hohen künstlerischen Anspruch und arbeite hart an sich, so Schreiber. "Ich bin mir sicher, dass er schnell die deutschen und auch die europäischen Fans für sich gewinnen wird." Und das junge Talent freut sich mächtig auf seinen Auftritt beim ESC. Das sei schon von Kindesbeinen an sein Ziel gewesen, sagte Dolic der Presseagentur dpa. "Natürlich wollen wir den besten Platz belegen," so der junge Mann weiter, "aber mein Ziel - und das des Teams - ist, dass wir am Ende den besten Auftritt hinlegen. Und wir geben alles, dass wir das schaffen und dann sehen wir, wo wir damit landen."
Erfolgreiches Komponistenteam
Mit heller Popstimme singt er beim ESC in Rotterdam (12. - 16. Mai 2020) eine gefällige Tanznummer, die wie eine Mixtur aus den erfolgreichen ESC-Songs der letzten Jahre klingt: Pop aus Tschechien, der Schweiz und ganz viel Schweden. Die Fans sind nicht hellauf begeistert, aber enttäuscht sind sie auch nicht. Entgegen dem eher düsteren Titel ist "Violent Thing" eine fröhliche Partynummer, bei der sicherlich allerhand los sein wird auf der Bühne. Es gebe eine Reihe schlechterer Songs in diesem Jahr, ist der Tenor in den sozialen Netzwerken.
Das Lied wurde vom österreichisch-bulgarischen Produzenten und Songwriter Boris Milanov und seinem Team geschrieben. Seine Kompositionen schafften es beim Eurovision Song Contest in den vergangenen vier Jahren immer unter die Top 7 und gleich drei Mal unter die Top 4: Kristian Kostov wurde 2017 mit "Beautiful Mess" für Bulgarien Zweiter, Cesár Sampson 2018 mit "Nobody But You" für Österreich Dritter und Poli Genova 2016 mit "If Love Was a Crime" für Bulgarien Vierte.
25 von 41 ESC-Teilnehmern stehen fest
Von den 41 Teilnehmern, die in diesem Jahr beim ESC in Rotterdam antreten werden, sind bereits 25 klar. Wettbüros haben die Listen schon auf dem Schirm und sehen zurzeit die Beiträge aus den skandinavischen Ländern und Italien weit vorne und Deutschland im hohen Mittelfeld. Von einem Trend kann man aber noch nicht sprechen, es sind ja noch nicht alle Teilnehmer bekannt. Ein Facebook-User äußert sich dennoch zuversichtlich: "Immerhin schön, dass nach Bekanntgabe des Deutschen Beitrages die Wetten nicht gleich in den Keller gehen, wie eigentlich sonst immer."
Die Gastgeber Niederlande schicken einen zarten Singer-Songwriter ins Rennen - ganz nach dem erfolgreichen Rezept aus dem Vorjahr: Junger verletzter Mann trägt eine herzerweichende Ballade ohne Schnickschnack und Glamour vor. Duncan Laurence sang sich 2019 mit "Arcade" auf das Siegertreppchen und holte den Musikwettbewerb in die Niederlande.
Deutsche Chancen?
Beim Blick in die Erfolgs- oder Misserfolgsstatistiken der letzten zehn Jahre fällt auf: Nach dem großen Erfolg der deutschen Sängerin Lena, die den ESC 2010 gewann, gab es für weibliche Acts aus deutschen Landen nicht viel zu lachen. Es hagelte letzte und vorletzte Plätze. Die einzigen beiden Männer, Roman Lob (2012) und Michael Schulte (2018) waren mit einem 8. beziehungsweise 4. Platz verhältnismäßig erfolgreich. Nun ist wieder ein junger Mann für Deutschland am Start - vielleicht hilft es.
sw/suc (dpa)