Das milde Lächeln des brutalen Politclowns
10. April 2018Dass der Chef der rechtsextremen Serbischen Radikalen Partei (SRS) Vojislav Seselj keinen Wunsch verspürt, nach Den Haag zu reisen, kann kaum überraschen, denn zwischen 2003 und 2014 verbrachte er dort mehr als ein Jahrzehnt als Angeklagter im Kriegsverbrecherprozess für das ehemalige Jugoslawien. Der Vorwurf lautete unter anderen: Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
In Belgrad war er vor den orthodoxen Ostern-Feiertagen in verschiedenen Fernsehstudios zu sehen. Zu beobachten war, dass der einstige nationalistische Hardliner längst zahmer geworden ist. In Sendungen mit Unterhaltungscharakter wirkt der ehemalige Bürgerschreck in der Gesellschaft von Volksmusiksternchen und bekannten Sportlern fast bieder. Ist er altersmilde geworden?
Ein Hetzer ohne Feinde
Wohl kaum. Ihm fehlen nur solide Feinde. Der autoritär regierende Präsident Aleksandar Vucic war Seseljs politischer Ziehsohn. Er kehrte seinem Mentor 2008 den Rücken und gründete die heute regierende Fortschrittspartei mit. Seit 2014 und seiner Entlassung aus der niederländischen Haft wegen eines ernsthaften Krebsleidens gelang es Vojislav Seselj seine wundersame Genesung dank russischer Medikamente zu verkünden, die kroatische Flagge öffentlich anzuzünden, den Kosovo-Albanern mit dem Waffengang zu drohen, sowie seine Partei wieder ins Parlament zu führen.
Doch den starken Mann Serbiens Aleksandar Vucic griff er sogar in der heißen Phase der Wahlkämpfe bei den Parlamentswahlen 2016 oder Präsidentschaftswahl 2017 nie frontal an. Die Kollegen aus der Opposition waren dagegen oft Zielscheiben seiner luzid-brutalen Verbalattacken. Die Opposition in Serbien ist schwach, Vucic stark, Seselj brav. Das muss aus der Sicht von Vucic ein idyllischer Zustand sein.
Das könnte sich schnell ändern, falls die Richter in Den Haag dem Vorschlag der Anklage folgen und den Freispruch aus der ersten Instanz vom Ende März 2016 aufheben. Seseljs Strafe sollte demnach 28 Jahre Freiheitsentzug lauten. Alternativ sieht die Anklage auch eine Wiederholung des gesamten Prozesses als angemessen an.
Fragile Umfragewerte
In beiden Fällen wäre das offizielle Belgrad verpflichtet, Seselj auszuliefern. Doch er hat es bereits klar gestellt - nach Den Haag kehre er freiwillig nicht zurück. Eventuelle Bilder einer Verhaftung und Auslieferung Seseljs würden eine gewisse politische Brisanz für den serbischen Präsidenten Vucic nach sich ziehen. Peinlich genau achtet er auf Umfragewerte und steuert mit seiner unsichtbaren Hand alle auf ihn bezogenen Botschaften sowohl bei den provokanten Boulevardzeitungen als auch bei den Mainstreammedien. Er will auf keinen Fall vor seinen Stammwählern ins schlechte Licht gerückt werden. Viele von ihnen sind ehemalige Seselj-Fans. Vucic wäre mit Beschuldigungen wie Vatermord oder Verräter bei einer Auslieferung konfrontiert.
Das ist der Grund, warum Vucic trotz seiner pro-europäischen Rhetorik bis heute zwei Parteisoldaten von Seselj nicht ausliefern ließ, obwohl die beiden seit 2015 wegen Zeugeneinschüchterung vom Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) per Haftbefehl gesucht werden. Es ist schwer vorstellbar, dass die Nebenfiguren in diesem Spiel so geschützt werden und der Hauptprotagonist geopfert werden kann.
Ein Versagen der Justiz
Viele Beobachter erachten den Freispruch für Vojislav Seselj aus dem Jahr 2016 als absurdes Ende eines kuriosen Prozesses. Selbst wenn Seselj jetzt zu rund 17 Jahren verurteilt würde, hat er bereits mehr als zwei Drittel der Strafe hinter Gittern verbracht. Somit kann er eine vorzeitige Entlassung beantragen. Alle kürzeren Strafen kämen einem Alibi-Urteil gleich, denn in der Tat wären sie eine indirekte Bestätigung des Freispruchs.
Dagegen würden alle Strafen, die über diese Grenze hinausgehen und erst Recht die Ansetzung eines neuen Prozesses eine echte politische Herausforderung für Belgrad bedeuten. Das hieße noch lange nicht, dass Vojislav Seselj tatsächlich wieder nach Den Haag käme. Der politische Preis der Nichtauslieferung müsste für Belgrad viel höher sein als ein Unbehagen bei einer Auslieferung. Gehört doch der serbische Präsident zu den Stabilisatoren entlang der Flüchtlingsroute. Man wird ihn nicht ohne Not in die Hände von Putin schubsen.
Ganz gleich wie das endgültige Urteil ausfällt: den Opfern des Hasses, den Vojislav Seselj seit Jahrzehnten predigt, kann es kaum eine Genugtuung verschaffen. Denn zu lange und zu widersprüchlich verlief bisher die juristische Aufarbeitung des jugoslawischen Desasters.