Wagner: Trainerdämmerung auf Schalke
28. Mai 2020Für die Verantwortlichen des FC Schalke 04 könnte es in gewisser Hinsicht ein Vorteil sein, dass wegen der Corona-Pandemie nur Geisterspiele zugelassen sind. Dürften die Fans nämlich ins Stadion, müssten sich Klubchef Clemens Tonnies, Sportvorstand Jochen Schneider, Trainer David Wagner und die Spieler beim nächsten Heimspiel am Samstag gegen Werder Bremen sicher einige böse Kommentare auf Bannern oder in Sprechchören gefallen lassen. So aber können die frustrierten Anhänger der Königsblauen ihrem Frust nur in den sozialen Netzwerken Luft machen. "Schalke ist aktuell wie ein Horror-Film, der immer gruseliger wird. Und man kann einfach nicht umschalten, weil die Fernbedienung kaputt ist", schreibt ein Fan auf Twitter und listet die Verantwortlichen des Klubs als Hauptdarsteller des Horrorstreifens auf. Andere Kommentare fallen noch hämischer aus.
Verheerende Rückrundenbilanz
Mit der 1:2-Niederlage am Mittwoch bei Fortuna Düsseldorf, der zehnten Partie in Serie ohne Sieg, ist Schalke auf den letzten Platz der Rückrundentabelle abgerutscht, sogar hinter Bundesliga-Schlusslicht und So-gut-wie-Absteiger SC Paderborn. Nur sieben Punkte aus den vergangenen elf Spielen, 5:24 Tore, eine verheerende Bilanz. Hätten die Schalker nicht so eine gute Hinrunde gespielt und bis zur Winterpause 30 Punkte gesammelt, schwebten sie jetzt in akuter Abstiegsnot. Die Nerven liegen blank, und die Ratlosigkeit ist mit Händen zu greifen. Hatte Trainer Wagner im vergangenen Herbst im DW-Interview noch als Ziel formuliert, auf Schalke "etwas Besonderes kreieren" zu wollen, erklärte er am Mittwoch, seine Mannschaft sei aktuell zu "nichts anderem in der Lage" als dem Mauerfußball, den sie in Düsseldorf geboten hatte. Die Situation sei "mental nicht einfach", sagte Wagner.
Schneider erteilt Wagner Jobgarantie
Nach den Gesetzmäßigkeiten des Profifußballs müsste der Stuhl des 48 Jahre alten früheren Premier-League-Trainers eigentlich kräftig wackeln. Doch Sportchef Schneider stärkte Wagner am Tag nach der neuerlichen Pleite nicht nur demonstrativ den Rücken ("Es gibt nicht diesen einzigen Schuldigen, wir alle sind gefordert."), sondern gab dem Trainer sogar eine Jobgarantie. "Wir werden die richtigen Schlüsse aus dieser Krise der vergangenen Monate ziehen, im Sommer die notwendigen Entscheidungen treffen und mit Beginn der Vorbereitung auf die neue Saison mit David Wagner unseren roten Faden wieder aufnehmen und gestärkt aus der Situation hervorgehen", sagte Schneider in einem Interview des Fernsehsenders "Sky".
Prekäre finanzielle Lage
Wie viel diese Worte wert sind, hängt allerdings vom Abschneiden der Schalker in den letzten sechs Saisonspielen ab. Vielleicht gelingt dem Tabellen-Neunten ja doch noch der Sprung auf einen Europa-League-Startplatz, was bei fünf Zählern Rückstand auf Rang sechs nicht unmöglich erscheint. Etwas überraschend, weil voreilig sagte Schneider dem Europapokal bereits Adieu. Dieser sei "aktuell definitiv kein Thema", so der Sportvorstand. Dabei bräuchten die Schalker die Einnahmen aus dem internationalen Geschäft dringend. Den Klub drücken Schulden in Höhe von rund 200 Millionen Euro. Während der Corona-Pause wurden die Schalker immer wieder als einer jener Handvoll Bundesliga-Vereine genannt, denen der finanzielle Kollaps drohte. Dieser Kelch ging an den Schalkern vorüber. Noch.
Auf dem Weg zum "neuen HSV"
So viel dürfte aber klar sein: Die Schalker brauchen dringend sportlichen Aufwind, um nicht, wie es mancher Fan in den sozialen Netzwerken formulierte, zum "neuen HSV" zu werden. Einen Offenbarungseid wie in Düsseldorf darf sich die Mannschaft von Trainer Wagner gegen Werder Bremen nicht mehr leisten. Sonst dürften Wagners Tage auf Schalke gezählt sein - allen Treuebekenntnissen zum Trotz.
In Schalke setzt die "Trainerdämmerung" nämlich gewöhnlich früher ein als andernorts. Seit Huub Stevens erstem Einsatz als Coach der Königsblauen (1996 bis 2002) hat sich kein Schalke-Trainer länger als zwei Jahre halten können. Nicht umsonst heißt es in einem Schalker Fangesang: "Tausend Trainer schon verschlissen".