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PolitikChina

Decoding China: Glaubenssache Islam

Dang Yuan
28. Juni 2024

Keine der großen Weltreligionen hat ihren Ursprung in China. Schon früher brachten die Machthaber die Glaubenssache unter ihre strikte Kontrolle. Die atheistische Regierung von heute sieht sich in dieser Tradition.

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Das islamische Glaubensbekenntnis steht in arabischer Schrift auf einem blauen Schild
Das islamische Glaubensbekenntnis in arabischer SchriftBild: DW

"Salam Aleikum", grüßte ich den Herrn an der Kasse der Großen Moschee in der zentralchinesischen Stadt Xian. "Wa aleikum assalam!", grüßt er auf Arabisch zurück. "Sie sind Muslim. Eintritt frei!" Er bat mich herein.

Nein, ich bin kein Muslim. Ich wollte die alte Moschee besuchen. Sie ist inzwischen eine Touristenattraktion der ehemaligen Hauptstadt Chinas, die als Chang'an, Ewiger Frieden, bekannt ist. Nichtmuslime zahlen einen Eintritt von umgerechnet fünf Euro. In Xian ein stolzer Eintrittspreis.

Der Herr an der Kasse ist trotzdem begeistert von meinem muslimischen Gruß. Offenbar grüßen ihn andere Inlandstouristen nur auf Chinesisch. Sein Angebot nahm ich dankend an.

China | Große Moschee in Xian
Gebetshalle in der Moschee in XianBild: DW

Erste Moschee im 7. Jahrhundert

Xian ist der Endpunkt der alten Seidenstraße. Seit dem 7. Jahrhundert - in der Tang-Dynastie - gab es intensiven internationalen Austausch. Der Tang-Herrscher beauftragte den kaiserlichen Pilgermönch Xuanzang, Mahayana-buddhistische Texte aus Indien nach China zu holen und sie von Sanskrit ins Chinesisch zu übersetzen. Der Buddhismus ist genau wie der Islam ein Import.

Die ersten Geistlichen muslimischen Glaubens erreichten das Reich der Mitte über den Seeweg. Sa'd ibn Abi Waqqas, Wegbegleiter des Propheten und Religionsstifters Mohammad, traf den Tang-Kaiser im Jahr 651. Vom politischen Machthaber Chinas erhielt dann der muslimische Feldherr die kaiserliche Konzession, die erste Moschee in China zu errichten.

Um diese Zeit soll auch die große Moschee in Xian erbaut worden sein, unweit von der Kaiserresidenz. Auch vom Westen sind über das muslimisch geprägte Zentralasien arabische Händler in die chinesische Hauptstadt gekommen. Sie brachten Luxusgüter und fremde Ideen mit sich. Heute befindet sich die Moschee an einem Bazar, mitten im Muslimviertel.

Einfach erklärt: Die Geschichte der Seidenstraße

Islam ja, aber kontrolliert

Doch die Moschee in Xian ist anders. Allein optisch unterscheidet sie sich von der islamischen Architektur. So ist zum Beispiel das prägende Element - das Minarett - wie eine Pagode gestaltet. Auch die Gebetshalle folgt dem traditionellen chinesischen Stil. Der Zwang zum Umbau von Moscheen ist der augenfällige Beleg dafür, dass die Religionsfreiheit in China massiv eingeschränkt wird. Religionsfreiheit ist in Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen garantiert, die eine völkerrechtlich verbindliche Norm für die Volksrepublik China ist.

Die Forderung nach Anpassung war immer wieder politische Maßgabe im historischen China. Ein weitverbreitetes Sprichwort etwa sagt, neun von zehn Huis heißen mit Nachnamen "Ma". Der Nachname ist in China häufig und geht auf den Propheten Mohammad zurück. Dem ersten Kaiser der Ming-Dynastie Zhu Yuanzhang (1328-1398) war der Nachname Mu Han Mu De (Mohammad) nicht chinesisch genug. Er verfügte durch Dekret, dass Menschen anderen Glaubens einen chinesischen Nachnamen annehmen, Einheimische heiraten und auf die eigenen Trachten verzichten mussten. So mussten die Huis ihren Nachnamen verkürzen und sich der kaiserlichen Macht beugen.

Eine Spendenbox mit arabischen und chinesischen Schriftzeichen
Box für SpendenBild: DW

Machthaber kontrollieren die Religion

Derzeit leben etwa 17 Millionen Muslime in China, wie die Washingtoner Denkfabrik Pew Research ermittelte. Die meisten davon sind Schiiten. Sie verteilen sich in zehn staatlich anerkannte ethnische Gruppen. Die größten davon sind die Huis und die Uiguren mit je knapp acht Millionen Gläubigen.

Wie die christlichen Kirchen dürfen die Muslime in China keine direkten Kontakte zum Ausland unterhalten. "Nur die 'patriotischen' Religionsvereinigungen dürfen nach den detaillierten Verwaltungsvorschriften innerhalb ihrer Tempel, Kirchen, Moscheen und registrierten Versammlungsorte legal aktiv werden. Dafür müssen sie sich an den sozialistischen Staat anpassen", schreibt die Bundeszentrale für politische Bildung.

Ein Hui-Muslim sitzt an der Moschee in Xian
Ein Hui-Muslim wartet auf das AbendgebetBild: DW

So berichtet die britische Tageszeitung The Guardian, dass im Februar die letzte große Moschee in China, die noch Merkmale im arabischen Stil bewahrt hatte, ihre Kuppeln verloren habe. Auch die Minarette des Gotteshauses in Shadian in der Südwestprovinz Yunnan wurden radikal in einen chinesischen Baustil verändert.

"In der chinesischen Geschichte gab es viele Kaiser und Staatsmänner, die sich auf die Kontrolle und Herrschaft über das Volk konzentrierten. Deswegen stellten sie alle Religionen unter staatliche Aufsicht", sagt Historiker und Philosoph Qin Guoshang. "Sie ergriffen Maßnahmen, um den Einfluss der göttlichen Macht zu schwächen, durch Unterdrückung häretischer Ideen und Glaubensrichtungen, Einführung staatlich gelenkte Religionen und Einschränkung religiöser Aktivitäten." Es sei heute in China nicht anders, fügt Qin hinzu.

Teilansicht der Großen Moschee in Xian
Moschee in Xian - im chinesischen BaustilBild: DW

Anpassung der Hui, systematische Demütigungen der Uiguren

Man hat zu glauben, was der Staat zulässt - so wie die Huis, die ich in Xian treffe. Sie zählen aufgrund ihres Glaubens zu den 56 eigenständigen Nationalitäten in China, unterscheiden sich aber nicht wesentlich von der Mehrheit der chinesischen Bevölkerung, den Han-Chinesen. Ihr Identitätsfaktor des Glaubens führe nicht zu einer Ausgrenzung, sondern zu einem überwiegend freundschaftlichen Verhältnis zu den Han, schrieb Frauke Drewes, die bis 2015 an der deutschen Universität Münster über Islam in China geforscht hatte. "Man kann davon ausgehen, dass die Hui der Han-Mehrheit sehr nahestehen, näher als den Glaubensgenossen anderer Nationalitäten."

Türkei: Uiguren fürchten die Abschiebung

Die andere große Muslimgruppe der Uiguren sei dagegen "systematischen Demütigungen, Strafen und Folter" ausgesetzt, berichtet Amnesty International. Die Pekinger Regierung hatte in der Autonomen Region Xinjiang, wo die meisten Uiguren wohnen, sogenannte Berufsbildungszentren eingerichtet und gab an, der muslimischen Minderheit Zugang zu ermöglichen, ein Handwerk zu lernen. Sie lernten in diesen Einrichtungen, die international als Internierungslager betrachtet werden, Chinesisch und kommunistische Ideologie. Das sei ein Versuch, die religiöse Identität auszulöschen, kritisierten Menschenrechtsorganisationen. Inzwischen hätten alle "Berufsschüler" ihren "Abschluss gemacht" und seien somit entlassen worden, berichtete die Regionalregierung Xinjiang 2019.

"Ein Ende der Unterdrückung von Uiguren bedeutet dies allerdings nicht", schreibt Sinologe Björn Alpermann der Universität Würzburg für die Bundeszentrale für politische Bildung. In Xinjiang strebe die Zentralregierung aber weiter "die Assimilation der minorisierten Ethnien an und betreibt einen kulturellen Genozid". Die Repressionen seien heute unsichtbar. "Die Straßensperren wurden durch Überwachungskameras ersetzt. Das Ziel ist es weiterhin, die minorisierten Ethnien an die Han-Chinesen anzupassen und in allen Lebensbereichen zu kontrollieren." Inzwischen leben nach dem letzten Zensus 11,6 Millionen Uiguren in Xinjiang mit knapp 11 Millionen Han-Chinesen zusammen. 

Xinjiang: Chinas muslimische Minderheiten

Glaube nicht salonfähig

Viele Uiguren haben ihrer Heimatprovinz den Rücken gekehrt. In den boomenden Metropolen finden sie besser bezahlte Jobs, meistens in den Muslimrestaurants. Und ihren Glauben leben sie im Untergrund.

Im muslimischen Fastenmonat traf ich eine Kellnerin aus Xinjiang im Pekinger Barviertel Sanlitun. In ihrem Nudelsuppenrestaurant hing an der Wand ein Hinweisschild in der chinesischen Sprache: "Verzehr von selbst mitgebrachtem Essen verboten! Schweinefleisch verboten!"

Rotes Verbotsschild an der Großen Moschee in Xian
Touristen erhalten keinen Zutritt in die GebetshalleBild: DW

Es war im Fastenmonat Ramadan - drei Tage vor dem Zuckerfest. Ich wollte von ihr erfahren, wann die Sonne untergehen würde und die Muslims essen durften. Sie schaute mir zunächst irritiert an und später auf ihr iPhone. Dann flüsterte sie mir ins Ohr: "Pssst, bitte stören Sie andere Gäste nicht! Es sind noch 13 Minuten bis zum Sonnenuntergang."

Den chinesischen Begriff des Fastenmonats "Zhai Yue" bringen nämlich die Han-Chinesen nicht automatisch mit Verzicht auf Essen und Trinken in Verbindung. "Yue" bedeutet Monat. Und "Zhai" heißt im religiösen Sinne oberflächlich verstanden "vegetarisches Essen für Buddhisten und Taoisten".

China: Buddhistisches Heiligtum wird zerstört

 

"Decoding China" ist eine DW-Serie, die chinesische Positionen und Argumentationen zu aktuellen internationalen Themen aus der deutschen und europäischen Perspektive kritisch einordnet.