Offener Arbeitsmarkt
1. März 2007Ganz behutsam hat die Regierung in Den Haag den Arbeitsmarkt für die neuen EU-Staaten geöffnet. Der erste Schritt war die Abschaffung der Zugangsquote für Arbeitskräfte aus den Beitritts-Staaten – maximal 22.000 Arbeitskräfte durften einreisen. Im Juni 2006 entband die Regierung dann 23 Branchen von der Pflicht, vor der Beschäftigung beispielsweise eines Polen zunächst nach gleich qualifizierten Niederländern oder Bürgern aus den alten Mitgliedsstaaten zu suchen. Im Dezember wurde diese Regelung auf weitere 16 Branchen ausgeweitet.
Polnische Supermärkte in Den Haag
Mittlerweile sind Zehntausende Polen, Tschechen und Ungarn in die Niederlande gekommen. "Den Haag hat eine Reihe von polnischen Supermärkten", berichtet Günther Gülker von der deutsch-niederländischen Handelskammer. Die letzten Zugangsbarrieren für die neuen Arbeitskräfte sind aber erst am Donnerstag (1.3.07) gefallen: Nun ist jeder Arbeiter aus den neuen EU-Staaten überall willkommen – denn er wird dringend gebraucht: Bei vier Prozent Arbeitslosigkeit gibt es 250.000 freie Stellen im Land. Branchen wie das Baugewerbe suchen händeringend Personal. "Es herrscht ein akuter Mangel an Arbeitskräften", sagt Gülker.
Regierung und Arbeitgeberverbände sind überzeugt davon, dass die neuen Arbeitskräfte das Wirtschaftswachstum ankurbeln, das 2006 bei 2,9 Prozent lag. "Die Öffnung des Arbeitsmarktes kann durchaus einen positiven wirtschaftlichen Effekt haben", urteilt Paul de Beer, Wirtschaftsprofessor an der Universität Amsterdam. Branchen mit Fachkräftemangel könnten auf Wachstum hoffen. Langfristig könnte die Liberalisierung aber zu einem gewissen Lohndumping führen. "Es wandern viele Arbeitnehmer ein, die bereit sind, zu niedrigeren Löhnen zu arbeiten. Das wird nicht ohne Folgen bleiben," erklärt de Beer.
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit
Um Nachteile für die heimischen Arbeitnehmer zu verhindern, hat sich der frühere Arbeitsminister Henk van Hoof eine Menge einfallen lassen. Sein Werk führt Nachfolger Piet Hein Donner fort, der am 22. Februae im neuen Kabinett unter Premierminister Jan Peter Balkenende vereidigt wurde. Per Gesetz hat die Regierung festgelegt, dass die neuen Arbeiter genauso viel verdienen müssen wie ihre niederländischen Kollegen. Außerdem sollen sie nur über zertifizierte Agenturen vermittelt werden. In Vereinbarungen mit der Regierung haben sich die Arbeitgeber verpflichtet, für anständige Unterkünfte zu sorgen, und bei einer Aufsichtsstelle können Verstöße gegen die neuen Regeln gemeldet werden.
"Diese flankierenden Maßnahmen waren unbedingt nötig", sagt Professor de Beer. Für gleiche Löhne ist also erst einmal gesorgt, was die mächtigen Gewerkschaften zumindest teilweise zufrieden stellte. Außer ihnen begehrt aber niemand so richtig gegen die Arbeitsöffnug auf, wie Günther Gülker berichtet. "Die Niederländer nehmen das gelassen hin. Was sollte ihnen bei der guten Lage am Arbeitsmarkt schon passieren?"
Deutschland und Österreich hinken bei Öffnung hinterher
Die Niederlande sind nicht der erste EU-Staat, der seinen Arbeitsmartk öffnet. Großbritannien, Irland und Schweden hatten nach der Osterweiterung erst gar keine Beschränkungen eingeführt. Finnland, Griechenland, Italien, Portugal und Spanien haben ihre Zugangshindernisse bereits abgebaut. Belgien, Dänemark, Frankreich sowie Luxemburg werden bis 2009 folgen. Nur Deutschland und Österreich wollen an den Übergangsfristen voraussichtlich bis 2011 festhalten. Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) sieht darin einen "notwendigen Puffer zum Schutze unserer Arbeitsmarktes und unseres Handwerks." Für Bürger aus Bulgarien und Rumänien haben fast alle EU-15-Staaten Restriktionen erlassen. Anders die der EU 2004 beigetretenen Länder: Sie heißen die südosteuropäischen Arbeiter meist willkommen.
Deutschland und Österreich argumentieren mit ihrer geografischen Lage: Durch ihre Nähe zu den neuen Mitgliedsländern wären sie vom Zuzug besonders betroffen. Analysen der EU-Kommission geben Österreich recht: Der Anteil der "neuen" EU-Bürger an der Bevölkerung hat sich in den vergangenen drei Jahren auf 1,4 Prozent verdoppelt. In Deutschland stieg die Quote nur leicht auf 0,7 Prozent. Auch die Statistik des Münchener Ifo-Institutes zeigt, dass in Österreich die Effekte der Osterweiterung größer sind: Während 2004 und 2005 fast 24.000 Osteuropäer zum Arbeiten nach Österreich kamen, waren es in Deutschland 12.000. "In Österreich sind Grenzregionen wie das Burgenland und das Waldviertel einer starken Migration ausgesetzt. Gerade im Handwerk kam es zu einer gewissen Verdrängungssituation", erklärt Jörg Lackenbauer, Ökonom am Centrum für europäische Politik (CEP) in Freiburg.
Positive Wirtschaftseffekte
In den meisten Ländern blieb der Bevölkerungsanteil der "neuen" EU-Bürger nach der Erweiterung stabil, wie eine Studie der EU-Kommission zeigt. In Schweden lag die Quote weiterhin bei 0,2 Prozent, obwohl es keinerlei Zugangsbarrieren gab. Wo sich Effekte auf die Volkswirtschaft messen ließen, waren sie positiv: Arbeitnehmer aus Osteuropa hätten dazu beigetragen, Qualifikationslücken in den alten Mitgliedstaaten zu schließen, schreibt die Kommission. Ökonom Lackenbauer bestätigt dies. In Großbritannien sind mehr als 450.000 Menschen aus den Beitrittsstaaten eingewandert. "Die Wirkung auf die inländischen Arbeitskräfte blieb aber gering", sagt Lackenbauer. "Man hat von der Migration profitiert, weil das Produktionspotenzial und das Bruttoinlandsprodukt gestiegen sind."
In Deutschland ist die Debatte um die Billigarbeitskräfte zeitweilig verstummt. Doch es rumort schon wieder, weil die Beitrittsstaaten hinter den Kulissen Druck machen. Tschechien kündigte an, die Freizügigkeit ab dem 1.1.2009 zum Schwerpunkt seiner EU-Ratspräsidentschaft zu machen. Die Verwirklichung der Freizügigkeit sei dringend geboten, sagt Jörg Lackenbauer. Denn ohne die bestehenden Übergangsfristen wäre das Bruttoinlandsprodukt in der EU um bis zu ein Prozent höher, rechnet der Ökonom vor. "Außerdem gehört die Arbeitnehmerfreizügigkeit zu den Grundfreiheiten des Binnenmarktes", sagt Lackenbauer. "Der EG-Vertrag schreibt ihre Verwirklichung ausdrücklich vor."