"Den Radikalen das Wasser abgraben"
11. Mai 2004DW-WORLD: Die Verabschiedung einer europäischen Verfassung ist Ende letzten Jahres unter anderem am Widerstand Polens gegen den vorgesehenen Abstimmungsmodus im EU-Ministerrat gescheitert. Ist die polnische Regierung inzwischen zu einem Kompromiss bereit?
Cimoszewicz: Wir schließen nicht aus, dass wir die doppelte Mehrheit als Grundprinzip akzeptieren könnten. Aber gleichzeitig wollen wir näher an die Prinzipien von Nizza heran. Es liegen mehrere Kompromissvorschläge auf dem Tisch, unter anderem der des Präsidenten des Verfassungskonvents, Valerie Giscard d’Estaing. Er sieht eine Mischung der Abstimmungsverfahren vor: Die doppelte Mehrheit als Basis, darüber hinaus soll in bestimmten Fällen auch eine Abstimmung nach den Nizza-Regeln möglich sein. Es ist allerdings die Aufgabe der irischen Regierung, einen endgültigen Vorschlag zu präsentieren. Wir glauben immer noch, dass eine Lösung bis Ende Juni möglich ist, also noch unter der irischen Ratspräsidentschaft. Aber andererseits möchte ich hier auch nicht die Illusion vermitteln, als sei das ganz leicht und das Problem bereits gelöst. Nein, es ist in der Tat noch nicht gelöst.
Wird es in Polen ein Referendum über die EU-Verfassung geben?
Die große Mehrheit der Polen möchte ein Referendum. Auch die Mehrheit der Parlamentarier und der Präsident sind dafür. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass es ein Referendum geben wird. Aber damit das Referendum gültig ist, müssen sich 50 Prozent der Wähler daran beteiligen, und das ist in Polen nicht garantiert. Es kann also sein, dass wir das Referendum mit der Präsidentschaftswahl im Herbst 2005 zusammenlegen, um eine ausreichend hohe Beteiligung zu erreichen. Das kann aber auch bedeuten, dass sich die Debatte über die Innenpolitik und die Debatte über die Verfassung vermischen. Das ist nicht die beste Lösung, aber aus praktischen Gründen die einzig mögliche.
Die Situation im Irak wird immer schlechter, das zeigt nicht zuletzt der Mord an einem polnischen Fernsehreporter und seinem Kameramann. Auch zwei polnische Soldaten sind in den letzten Tagen ums Leben gekommen. Hat sich Ihre Einschätzung des Konflikts im Irak geändert?
Was die Position des Präsidenten und der Regierung angeht: nein. Die Teilnahme polnischer Soldaten an der Stabilisierungsmission im Irak steht nicht in Frage. Dafür haben wir uns aus wichtigen Gründen entschieden. Es war sehr wichtig für die Qualität der transatlantischen Beziehungen, für unsere eigene Sicherheitsstrategie und für die Zukunft der Iraker. Und daran hat sich nichts geändert. Ich teile Ihre Meinung nicht, dass die Situation im Irak immer schlechter wird. Es gibt viele Orte, an denen das Leben relativ normal verläuft. Das ist auch die Erfahrung aus dem Sektor, den Polen kommandiert. Aber vielleicht waren wir anfangs alle zu optimistisch, was die politischen Fortschritte angeht. Das ist inzwischen wirklich zu einem zentralen Problem geworden. Wir müssen deshalb dringend den politischen Prozess im Irak stärken und beschleunigen.
Ist es denkbar, dass Polen seine Truppen aus dem Irak zurückzieht?
Die Meinungsumfragen zeigen, dass sehr viele Polen das fordern. Ich meine aber trotzdem: Polen sollte seine Soldaten nicht aus dem Irak zurückziehen, so lange die Lage dort es nicht erlaubt. In dieser Sache habe ich gar keine Zweifel. Aber wenn das Parlament der neuen polnischen Regierung nicht das Vertrauen ausspricht und es erneut zu einem Regierungswechsel kommen sollte, dann muss ich sagen: Ich kann mir persönlich nicht vorstellen, eine andere Außenpolitik zu vertreten, auch nicht in der Irak-Frage.
Die deutsch-polnischen Beziehungen sind nicht frei von Spannungen – das hat auch die hitzige Diskussion über das geplante "Zentrum gegen Vertreibungen" gezeigt. Was kann getan werden, um das Verhältnis der beiden Länder zu verbessern?
Die Antwort auf diese Frage ist einfach: Alle Menschen in Deutschland und Polen, die die Aussöhnung zwischen beiden Ländern in den letzten Jahren vorangebracht haben, sollten den Radikalen auf beiden Seiten das Wasser abgraben. Ich habe mehrmals mit dem deutschen Außenminister Joschka Fischer darüber gesprochen, und wir haben eine gemeinsame Idee: Mindestens zwei Mal im Jahr sollte es ein großes Treffen zwischen Bürgern aus beiden Ländern geben, an dem Journalisten, Intellektuelle, Jugendliche und viele andere teilnehmen. Am 30. April hatten Joschka Fischer und ich ein fantastisches Treffen mit Studenten der Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder. Das ist nur ein Beispiel – wir sollten uns treffen, vor allem die jungen Leute, und offen über alle Themen sprechen.