Deniz Yücel zum PEN-Präsidenten gewählt
27. Oktober 2021Das internationale PEN-Zentrum gilt als Stimme verfolgter Schriftstellerinnen und Schriftsteller. Die Vereinigung wurde vor 100 Jahren in London gegründet, seit 1924 gibt es ein deutsches PEN-Zentrum, dessen Mitglieder derzeit ihre Jahresversammlung in der Frankfurter Paulskirche abhalten. Zu ihrem neuen Präsidenten wählten sie am 26,10.2021 den deutsch-türkischen Journalisten und Autor Deniz Yücel. Vorgängerin Regula Venske war nicht mehr angetreten. Yücels Wahl hat Signalwirkung.
"Ich bin sehr dafür, die intellektuelle, politische und kulturelle Auseinandersetzung mit den Feinden der offenen Gesellschaft zu führen, und bilde mir ein, dabei nicht zimperlich zu sein", sagte Yücel in seiner Rede vor den Mitgliedern des PEN in der Paulskirche. "Aber ich bin davon überzeugt, dass wir als Autorinnen und Autoren, dass wir als PEN um des Prinzips willen und um unserer Glaubwürdigkeit willen im Zweifel immer für die Freiheit des Wortes und der Kunst sein müssen." Er fügte hinzu: "Auch für die Freiheit des dummen Wortes, auch für die Freiheit der bescheuerten Kunst, auch dann wenn es wehtut. Gegen die Mächtigen, gegen die Bösen - und wenn es sein muss auch gegen die Guten."
Er fühle sich durch seine Wahl "sehr geehrt", so Yücel im Interview mit der Deutschen Welle. Im Jahr 2017 war er in der Türkei als Korrespondent der Zeitung "Die Welt" wegen angeblicher Terrorpropaganda inhaftiert worden. Ein ganzes Jahr lang saß er in Untersuchungshaft. Erst nach einem politischen Tauziehen kam er frei und konnte ausreisen. Ein Gericht in Istanbul verurteilte ihn in Abwesenheit wegen Terrorpropaganda. Derzeit ist eine weitere Anklage gegen ihn wegen "Herabwürdigung der türkischen Nation" und Beleidigung ihres Präsidenten anhängig.
Verantwortung für die Freiheit des Wortes
Seine Bewerbung um das Amt des PEN-Präsidenten habe "durchaus mit dieser Erfahrung zu tun", so Yücel im DW-Gespräch, "obwohl ich mir eigentlich nach meiner Freilassung fest vorgenommen hatte, mich nicht auf die Rolle desjenigen beschränken zu lassen, der im Kerker des Kalifen gesessen hat." Schließlich sei "auch das eine Form, das Gefängnis mit sich herumzuschleppen", auch das sei "eine Form von Unfreiheit". Doch sei er in eine Situation geraten, die auch eine gewisse Verantwortung mit sich bringe, jedenfalls in Fragen der Freiheit des Wortes und der Kunst. "Ich habe mich entschieden, mich dieser Verantwortung nicht nur als Journalist zu stellen, sondern auch als Präsident des Deutschen PEN."
Als solcher schlägt Yücel einen kämpferischen Ton an. Seine Worte in der Paulskirche werden wie Balsam auf die Seelen der Autorinnen und Autoren gewirkt haben - gerade in diesen Tagen, in denen sich die diplomatische Krise zwischen zehn westlichen Staaten (darunter auch Deutschland) und der Türkei zugespitzt hatte. Deren Botschafter hatten sich in einer gemeinsamen Erklärung für den seit vier Jahren inhaftierten türkischen Kulturförderer Osman Kavala eingesetzt. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte mit Eskalation gedroht. Nach einem Tweet der USA scheint der Konflikt nun zunächst einmal beigelegt.
Verlierer des Tauziehens könnte allerdings Osman Kavala sein. Dessen Leid könne er zum Teil nachfühlen, sagt Yücel, der 2017 im selben Hochsicherheitsgefängnis saß wie Kavala. "Aber eben nur ein Jahr", so Yücel zur DW, "Kavala ist schon vier Jahre dort. Außerdem ist er ein paar Jahre älter als ich. Für ihn zählen die Jahre mehr." Es sei ein Skandal, dass Kavala trotz einschlägiger Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte weiter festgehalten werde.
Für Rauswurf der Türkei aus dem Europarat
Wegen der "systematischen und von Erdogan persönlich angeordneten Missachtung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte" verlangt der neue PEN-Präsident die Suspendierung der türkischen Mitgliedschaft im Europarat. "Alle Unterzeichnerstaaten der Europäischen Menschenrechtskonvention haben den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als höchste Instanz in Menschenrechtsfragen anerkannt", so Yücel, der die Straßburger Richter auch in eigener Sache angerufen hat. "Es ist ein Verstoß gegen geltendes türkisches Recht und die geltende türkische Verfassung, dass Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in der Türkei nicht befolgt werden."
Schon die Person Deniz Yücels verkörpert Kampfeswillen und Durchhaltekraft. Der in Berlin lebende Journalist wurde für seine Arbeit mit mehreren Preisen ausgezeichnet. So erhielt er für seine parodistische Kolumne "Vuvuzela" über die Fußballweltmeisterschaft 2010 den Kurt-Tucholsky-Preis 2011 für literarische Publizistik. 2017 bekam er - auch als Solidaritätsbekundung - mehrere Preise. Das Erste Deutsche Fernsehen brachte 2019 die Dokumentation "Deniz Yücel - Wenn Pressefreiheit im Gefängnis landet".
Über die Zeit seiner Haft berichtete Yücel in dem Buch "Agentterrorist", das 2019 erschien und zugleich die politischen Verhältnisse in der Türkei analysiert. Im Mai 2019 wurde Deniz Yücel in das deutsche PEN-Zentrum aufgenommen. Zwei Jahre später ist er nun sein Präsident. Für den Journalisten Yücel ist das ein Rollenwechsel. Die Schriftsteller- und Autorenvereinigung hat einen verfolgten Autor an seine Spitze gewählt, der so wortgewaltig wie streitbar wirkt. An seine Seite wählten die Verbandsmitglieder Astrid Vehstedt als neue PEN-Vizepräsidentin und Writers-in-Exile-Beauftragte. PEN-Generalsekretär Heinrich Peuckmann und Vizepräsident Ralf Nestmeyer, zuständig für die Writers-in-Prison-Arbeit, wurden in ihren Ämtern bestätigt.
Das deutsche PEN-Zentrum mit seinem Geschäftssitz in Darmstadt ist eine von weltweit mehr als 150 Schriftstellervereinigungen, die im PEN International zusammengeschlossen sind. PEN steht für Poets, Essayists, Novelists.