Denkmalfieber in Russland
15. Oktober 2016Ein älterer bärtiger Mann in königlicher Kleidung sitzt auf einem Ross. In der einen, ausgestreckten Hand hält er ein christliches Kreuz, in der anderen - ein Schwert. So stellt das Denkmal den ersten russischen Zaren, den Moskauer Großfürsten, genannt Iwan der Schreckliche, dar. Es wurde diese Woche in der südrussischen Stadt Orjel eingeweiht. Die rund fünf Meter hohe bronzene Figur auf dem Betonsockel steht neben einer orthodoxen Kathedrale.
Umstrittener Herrscher
Ursprünglich hätte das Denkmal neben einem Schauspielhaus für Kinder stehen und bereits Anfang August eingeweiht werden sollen. Der Anlass damals: der 450. Jahrestag der Stadtgründung. Doch es gab Widerstand. Aktivisten protestierten sowohl gegen den ausgewählten Ort, als auch gegen die Glorifizierung einer umstrittenen historischen Figur. Iwan IV. regierte das im Moskauer Fürstentum entstandene russische Reich im 16. Jahrhundert mit eiserner Hand: Seine berüchtigten Opritschniki, eine Art Leibgarde, verbreiteten Angst und Schrecken. Seine brutale Herrschaft brachte Iwan den Zusatznamen "Der Schreckliche".
Für den Gebietsgouverneur Vadim Potomskij sind solche Schattenseiten kein Problem. "Iwan der Schreckliche hat Russland stark gemacht und seine Grenzen ausgeweitet", sagte er einem staatlichen Sender. Die Stadt ließ eine Umfrage durchführen, wonach sich die meisten Bürger, rund drei Viertel, für das Denkmal aussprachen.
Wladimir schaut auf Wladimir
Es ist nur das jüngste Beispiel für das regelrechte Denkmalfieber, das Russland erfasst zu haben scheint. Am Sonntag wird in Moskau mit der Errichtung des Denkmals für einen anderen Fürsten begonnen: Wladimir. Der Großfürst von Kiew gilt als einer der wichtigsten Herrscher in der Geschichte des mittelalterlichen Staates Kiewer Rus, in dem Russland und die Ukraine die Wurzeln ihrer Völker, ihrer Staatlichkeit und ihres christlich orthodoxen Glaubens sehen. Ein großes Denkmal für Wladimir steht bereits seit über 150 Jahren in Kiew, nun will Moskau sein eigenes haben.
Auch das Wladimir-Denkmal hätte ursprünglich woanders stehen sollen. Geplant war eine gigantische Skulptur, 25 Meter hoch, die am Rande der Sperlingsberge über der russischen Hauptstadt aufragen hätte sollen. Doch es gab Proteste der Bevölkerung. Auch viele Experten sprachen sich dagegen aus. Die Behörden haben dann entschieden, ein kleineres Denkmal, rund 16 Meter hoch, an einem anderen Ort errichten zu lassen. Nun wird der Großfürst Wladimir auf dem Borowizkij Hügel, in Sichtweite des Kremls stehen, wo ein anderer Wladimir derzeit über das Land herrscht: Putin. Jedes Mal wenn der russische Präsident in den Kreml fahren wird, wird er am Wladimir-Denkmal vorbeifahren. Manche Beobachter vermuten, dass das neue Denkmal eher Putin als dem Kiewer Fürsten gilt. Die Einweihung ist für den 4. November geplant, den Tag der Volkseinheit in Russland.
Ein Denkmal für Putin gibt es in Russland übrigens bereits. Es wurde 2015 in Sankt Petersburg, der Heimatstadt des russischen Präsidenten aufgestellt. Idee und Umsetzung: Andrej Poljakow, ein Kosaken-Aktivist. Putin in Gestalt eines römischen Imperators steht auf Poljakows privatem Grundstück.
Kalaschnikow als Symbol für ein modernes Russland
Noch symbolischer für ein modernes Russland scheint ein Denkmal, das Anfang 2017 in Moskau eröffnet werden soll. Es ist ein Denkmal für Michail Kalaschnikow, den 2013 verstorbenen sowjetischen Konstrukteur des berühmten Maschinengewehrs. Seine sieben Meter hohe Darstellung soll in der Waffengasse in der Moskauer Stadtmitte stehen. Im Hintergrund plant der Bildhauer Salawat Schtscherbakow eine Weltkugel, die die Verbreitung der Waffe symbolisieren soll. Außerdem soll die Komposition den Heiligen Georg auf einem Ross enthalten. Schtscherbakow nennt das Maschinengewehr Kalaschnikow eine "Waffe des Guten". Der 61-jährige Künstler, derzeit die Nummer eins bei solchen Projekten in Russland, ist auch der Erschaffer der Denkmäler für den Fürsten Wladimir in Moskau und Iwan den Schrecklichen in Orjol.
Für den russischen Publizisten Oleg Kaschin sind diese Denkmäler hochsymbolisch. Die Erdkugel hinter Kalaschnikow sehe eher bedrohlich als feierlich aus, sagte Kaschin der DW. "Im heutigen Russland ist es normal geworden, über einen Krieg nicht wie über eine Tragödie, sondern wie über gute Werbung für russische Waffen zu sprechen", stellt der Publizist fest. Pazifismus sei außer Mode, daher sei der "zyklopische Kalaschnikow" ein adäquates Symbol für den Zeitgeist im heutigen Russland.
Stalin nicht überall populär
Es ist eine Epoche, in der vor allem umstrittene Herrscher der Vergangenheit wieder verehrt werden - Hauptsache sie haben Russlands Reich stärker und größer gemacht. Ein Paradebeispiel dafür ist Josef Stalin. In den letzten Jahren wurden in mehreren russischen Städten unzählige Stalin-Denkmäler aufgestellt, vor allem von Anhängern der kommunistischen Partei.
Die Bevölkerung reagierte darauf nicht immer positiv. So wurde in der sibirischen Stadt Surgut ein erst im September errichtetes Stalin-Denkmal Anfang Oktober von den Behörden demontiert. Es sei illegal und außerdem seien viele Bürger dagegen, hieß es aus der Stadtverwaltung. Fast die Hälfte der Bevölkerung in Surgut sei Opfer des Stalin-Terrors geworden, so eine Sprecherin.