Der amerikanische Sozialist
16. Juli 2015"Sozialist" ist ein schmutziges Wort in der US-Politik, doch Bernie Sanders kümmert das wenig. "Ich würde keine Sekunde lang abstreiten: Ich bin ein demokratischer Sozialist", sagte Sanders gegenüber der "Washington Post", als er 2006 für den Senat des Bundesstaates Vermont kandidierte.
Sanders ist ein unkonventioneller US-Politiker. Er ist parteilos, hat sich jedoch der Fraktion der Demokraten angeschlossen. Von 1991 bis 2007 war er Mitglied des Repräsentantenhauses - so lange wie kein anderer parteiloser Politiker in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Ende April gab Sanders seine Kandidatur für die Vorwahlen der Demokraten bekannt und ist damit einer der Herausforderer von Hillary Clinton im Kampf um die Präsidentschaftskandidatur.
Zunächst galt Sanders als Außenseiter, doch er widersetzt sich allen Erwartungen. Im Mai lag der 73-Jährige in Iowa, einem der Schüsselstaaten bei den Vorwahlen, laut Umfragen 45 Prozentpunkte hinter Hillary Clinton. Mittlerweile hat er seinen Abstand auf 19 Prozentpunkte reduziert. In New Hampshire liegt Sanders sogar nur acht Prozentpunkte hinter Clinton.
Anfang Juli sprach er vor mehr als 10.000 Menschen in Madison, Wisconsin - die bislang größte Kundgebung des Wahlkampfes. In der Stadt Portland im Bundesstaat Maine sprach Sanders vor rund 7000 Menschen. "Niemand im Weißen Haus wird die Macht haben, es allein mit der Wall Street, mit den Konzernen und mit der Milliardärsklasse aufzunehmen", rief der Senator seinen Unterstützern in Maine zu. "Der einzige Weg für den Wandel ist, wenn wir eine starke Graswurzelbewegung entwickeln, wenn wir diese politische Revolution machen, wenn wir zusammen stehen. Dann erreichen wir den Wandel."
Skandinavisches Amerika
Aber wie würden die USA aussehen nach Sanders‘ "politischer Revolution"? Wahrscheinlich ähnlich wie Dänemark, Norwegen oder Schweden. "In diesen Ländern haben alle Menschen ein Recht auf kostenlose Gesundheitsversorgung, dort sind Schulen und Universitäten kostenlos, und in diesen Ländern sind Altersvorsorge und Kinderbetreuung besser als in den Vereinigten Staaten", sagte Sanders kürzlich in einem Interview in der Talkshow "This Week" auf ABC. "In diesen Ländern arbeitet die Regierung im Großen und Ganzen für normale Leute, für die Mittelklasse, anstatt für die Klasse der Milliardäre, wie es in unserem Land der Fall ist."
Eine Aussage, die besonderes bei Progressiven gut ankommt. Aber werden weite Teile der amerikanischen Bevölkerung einen selbsternannten demokratischen Sozialisten unterstützen, der das Land nach dem Vorbild Nordeuropas umbauen will? "In diesem Land gab es die McCarthy-Ära und die Angst vor der 'roten Gefahr'", sagt John Nichols, Washington-Korrespondent für das Magazin "The Nation". "Es gab hier Kommunistenhetze und Angriffe auf Sozialisten. Das ist selbst in den letzten Jahren immer noch Teil unseres medialen Lebens gewesen."
Nichols berichtet seit Jahren über Sanders. Obwohl sich die USA sowohl wirtschaftlich als auch strukturell sehr von Europa unterscheiden, glaubt der Journalist, dass das Land reif sei für die populistische Anti-Austeritäts-Botschaft, die in den letzten Monaten über den Atlantik nach Amerika geschwappt ist. Sanders mache sich diese Stimmung zu Nutze.
Nach einer Gallup-Umfrage sind zwei Drittel der Amerikaner unzufrieden mit der Wohlstandsverteilung in den USA. Ein parteiübergreifendes Phänomen: Drei Viertel der Demokraten und immerhin 54 Prozent der Republikaner sind besorgt über die Einkommensungleichheit. "Da gibt es Raum im Rennen von 2016 für Botschaften, die die ökonomischen Grundsätze der Vereinigte Staaten wirklich in Frage stellen", sagt Nichols.
Generationenkonflikt
Die ältere Generation der Baby-Boomer wolle eher den Status-Quo erhalten, sagt Alexandra Reckendorf, Expertin für US-Politik an der Virginia Commonwealth University. Die Baby-Boomer seien in einer Zeit aufgewachsen, in der das Etikett "sozialistisch" tabu war. Die jüngere Generation dagegen sei offener gegenüber radikalerem Wandel, ist sich Reckendorf sicher. "Sie sind in Fragen von wirtschaftlicher Ungleichheit ein wenig mitfühlender und empathischer", so die Wissenschaftlerin. "Viele haben das Gefühl, sie säßen im selben Boot oder sie sind jung und idealistisch genug zu denken, dass dieser Wandel funktionieren könnte."
Junge US-Amerikaner sind wegen der immer teurer werdenden Studiengebühren insgesamt mit rund 1,2 Billionen Dollar (1,08 Billionen Euro) verschuldet. Sanders brachte einen Gesetzesentwurf ein, nach dem alle vierjährigen Studiengänge an staatlichen Hochschulen gebührenfrei sein sollen, finanziert durch eine Steuer auf Spekulationen an der Wallstreet.
Harter Kampf
Aber nach Einschätzung von Arthur Sanders, Politologe an der Drake University in Les Moines im Bundesstaat Iowa ist die breite Öffentlichkeit in den USA noch nicht soweit für eine solch progressive Politik. Als Beispiel nennt Sanders, der mit dem Senator aus Vermont weder verwandt noch verschwägert ist, Obamacare. Laut einer Umfrage von Kaiser Health Tracking sehen nur 43 Prozent der Amerikaner das Gesetz zur Reform des Gesundheitssystems positiv. Für Bernie Sanders hingegen geht Obamacare nicht weit genug. "Wenn er weiterhin so wie in der Vergangenheit für eine staatliche Einheitskrankenkasse argumentiert - die Bürger sind noch nicht dafür bereit; sie sind kaum bereit für Obamacare", sagt Arthur Sanders.
Bislang ist Bernie Sanders zudem kaum zu den Afroamerikanern und den Latinos durchgedrungen, die überwiegend Hillary Clinton unterstützen. Zwar mischte der Senator bei der Bürgerrechtsbewegung im Chicago der 1960er Jahre mit, heute repräsentiert er jedoch mit Vermont einen überwiegend weißen Bundesstaat.
Außerdem nimmt Sanders aus Prinzip kein Geld von Konzernen an. Während Hillary Clinton schon 45 Millionen Dollar für ihre Kampagne gesammelt hat, kommt Sanders durch relativ kleine Spenden gerade einmal auf 15 Millionen Dollar. Doch egal, ob er sich am Ende die Nominierung sichern kann, der demokratische Sozialist aus Vermont hat schon jetzt einen bedeutenden Einfluss auf die politische Debatte. Und vielleicht ist das sein wahres Anliegen. "Er drängt Clinton nach links", sagt Arthur Sanders. "Er würde allerdings niemals sagen, dass das der Grund für seine Kandidatur ist."